Führungsstil bei zweitgrößter ARD-Anstalt:Peter Boudgoust - zu sehr Moderator, zu wenig Navigator

Peter Boudgoust

Der Jurist Peter Boudgoust, 61, ist seit 2007 Intendant des SWR und strebt eine dritte Amtszeit bei dem Sender an.

(Foto: SWR/Monika Maier)

Der SWR-Intendant macht es gerne vielen recht. Nicht nur beim Tohuwabohu um die AfD in den TV-Diskussionen hat er schon viele irritiert.

Porträt von Max Hägler

Peter Boudgoust weiß schon, dass es viele Vorurteile über seine Anstalt gibt. Letzthin traf er jemanden, der schlug ihm vor, die Zahl der Volksmusiksendungen im SWR-Fernsehen doch endlich auf ein erträgliches Maß zu reduzieren. Der SWR-Intendant schmunzelt unter seinem Schnauzbart. Denn: "Wir haben gar keine regelmäßigen volkstümlichen Musiksendungen im Fernsehen."

Eine kleine Anekdote, die Sinnbild ist dafür, wie schwer sich die zweitgrößte ARD-Anstalt tut, den Ruf des altbackenen Heimatsenders abzustreifen, den der SWR auch im neunten Jahr von Boudgoust noch hat.

Wobei zuletzt nicht nur die gefühlte Volksmusik am Image kratzte: Die Landtagswahlen am 13. März in den beiden SWR-Ländern haben den Sender durcheinandergebracht.

In Baden-Württemberg begann es mit der Idee eines Duells unter dreien, was nicht nur begrifflich schwierig war, sondern auch dem CDU-Mann Guido Wolf nicht passte: Er alleine vor der Kamera gegen die Spitzen der grün-roten Regierung? Er wollte nicht.

Der SWR setzte nun auf die ganz große Runde, inklusive der Linken und der AfD. Das wollten Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) und Stellvertreter Nils Schmid (SPD) nicht, denn die AfD sei "demokratiefeindlich".

Der Appell kam erst, als jeder auf jeden geschimpft hatte

Widerwillig lud der SWR die neue Partei wieder aus, genau wie in Rheinland-Pfalz: Dort sträubte sich Regierungschefin Malu Dreyer (SPD) gegen die AfD.

Boudgoust nahm das "mit zusammengebissenen Zähnen" hin und schlug vor, jeweils mit den in beiden Länderparlamenten vertretenen Parteien zu diskutieren, ergänzt um Interviews mit der Linken, der AfD und in Rheinland-Pfalz der FDP. Das wiederum sagte der dortigen CDU-Spitzenkandidatin Julia Klöckner nicht zu: "Mit unserer Teilnahme würden wir die skandalöse Einflussnahme der SPD und die so erzwungene, falsche Reaktion des SWR nur noch belohnen."

Von der Seitenlinie kam auch noch Ex-ZDF-Chef Nikolaus Brender und mahnte den SWR, die "Programmhoheit" zu behalten, nicht einzuknicken vor Wünschen der Politik. Schließlich, nachdem schon jeder auf jeden geschimpft hatte, ein ultimativer, scharfer Appell von Boudgoust. Und da willigten doch fast alle ein zu den "Elefantenrunden" - am 10. März. Nur Dreyer lässt sich vertreten.

Der Vorwurf, eingeknickt zu sein, hat ihn geärgert

Die Pierre M. Krause Show

SWR-Vorzeigeprogramm Pierre M. Krause Show: Spannendes zwischen Eisenbahnromantik und Zoo-Sendungen.

(Foto: SWR/Stephanie Schweigert)

Das Tohuwabohu verstimmt Boudgoust immer noch. "Der Vorwurf, ihr seid vor der Politik eingeknickt, ist falsch und hat mich geärgert. Ich kann einen Politiker nicht zwingen, in eine Sendung zu kommen." Die Parteien hätten sich selbst geschadet und dem SWR, sagt er. Alle relevanten Meinungen müssten aufs Podium, auch wenn man die Positionen falsch findet.

Es klingt dabei doch ein wenig Märtyrerhaltung durch, die manche in seinem Haus nicht angemessen finden. Den Ärger habe der Sender schon auch selbst mitverschuldet, sagt etwa ein maßgeblicher Redakteur. Boudgoust hätte früh die Linie klar vorgeben sollen. Als er seinen Ärger artikulierte, atmete man im Haus auf: endlich!

Boudgoust, 61, ist im SWR und auch bei seinem Nebenjob als Arte-Präsident meist so etwas wie der erste Moderator bei internen Angelegenheiten: "Ich will entscheiden in Kenntnis aller Argumente pro und contra." Und alle Argumente, das heißt bei ihm: wirklich alle.

Jeder im SWR kann berichten von Arbeitsgruppen zu Strukturen oder Programminhalten, die Boudgoust dann bremste: gut! Aber wir müssen noch dieses oder jenes bedenken. Meist waren es Wünsche von konkurrierenden Unterchefs, die er da weitertrug. Das ist die Kritik, die man hört: Er zaudert zu sehr.

Der SWR leidet an einem Geburtsfehler

Seit Amtsantritt hat er das durchgezogen, ist für alle ansprechbar, in der Kantine und sonst. Das hat der noch jungen Anstalt anfangs sehr gutgetan, die aus der Fusion zweier Sender hervorging und an einem Geburtsfehler leidet: Zwei Bundesländer, drei Standorte (Stuttgart, Mainz und das beschauliche Baden-Baden), sieben Direktoren, die sich nicht immer grün sind. Im Radio doppelt sich deshalb manches und ist von schwankender Qualität - aber ein Info-Kanal auf UKW fehlt.

"Wenn man den SWR neu gründen würde, käme niemand auf die Idee, solch eine Konstruktion zu wählen", sagt Boudgoust. Aber einerseits sei die Verteiltheit gar nicht mehr so schlimm; auf seinem Handy zeigt er die App, mit der Korrespondenten überall live Radio machen können: "Da freut sich das Kind im Manne!" Und außerdem sei durch den permanenten Diskurs "die Gefahr viel geringer, dass wir vorschnell oder unüberlegt in die falsche Richtung losrennen".

Der SWR hat sich insgesamt mit diesem Führungsstil ordentlich entwickelt. SWR3 ist eine der stärksten Radiowellen in Deutschland. Das SWR-Fernsehen sei, berichtet Boudgoust, das dritte Programm mit den höchsten Zuschauergewinnen seit 2012 (allerdings kam man von ganz hinten).

Jurist, kein Journalist - vielleicht wägt Boudgoust deshalb so viel ab

Zwischen Eisenbahnromantik und Zoo-Sendungen mischen sich immer öfter spannende Formate wie Politikdiskussionen mit Clemens Bratzler, die "Pierre M. Krause Show" und bald auch das Kabarettistensendung "Ab durch die Heimat".

Insofern steht es nicht schlecht um Boudgousts Wunsch nach Wiederwahl im Sommer. Einige Reformen wolle er zu Ende bringen, sagt er. Mehr investigative Recherche etwa. Und es geht auch um die Präsenz auf Handys und Computern: "Wir werden den SWR komplett neu ordnen und alle Verbreitungswege mit bedenken."

Den Wunsch teilen viele im Sender, aber sie wünschen sich eben weniger Moderation, mehr Navigation vom Chef. Boudgoust ist Jurist, kein Journalist und vielleicht trägt das dazu bei, dass er so viel abwägt. Er sei "Teil eines fachkundigen Publikums" und habe als Aufgabe, dem Journalismus gute Grundlagen zu geben. Das zieht kaum jemand in Zweifel, zumal er derzeit sehr deutlich gegen Lügenpresse-Vorwürfe arbeitet.

Er will in "selbstgebastelte Echokammern" gelangen, Stimmen von Kritikern einbinden, und er wünscht, dass seine Redakteure offener im Fernsehen oder Radio über Fehler sprechen. Sein Haus hat eher gespart als andere in der ARD, ist deshalb von großen Verwerfungen verschont geblieben, wenn man von der Zwangsfusion der Orchester absieht.

Boudgoust war es auch, der jahrelang an einem deutschlandweiten Jugendprogramm im Fernsehen arbeitete, vielleicht am vehementesten innerhalb der öffentlich-rechtlichen Intendantenriege: Weil der öffentlich-rechtliche Rundfunk doch ein Legitimationsproblem bekomme, wenn bald kein junger Mensch mehr zuschaue.

Manche Intendanten sind sauer auf ihn

In der entscheidenden Runde erklärte Boudgoust dann: Wir kommen ohne mehr Geld aus. Damit müssen jetzt alle Intendanten leben, bei ARD und ZDF, und manche sind deswegen immer noch sauer.

Allerdings freute es die Ministerpräsidenten, die sich letztlich für ein Jugendangebot rein im Internet entschieden - was Boudgoust nie im Sinn hatte. "Ich habe einige Tage und Nächte gebraucht, um die Entscheidung zu verdauen", sagt er in der Rückschau. Und wieder betont er den positiven Aspekt: Es sei eine enorme Chance, ganz auf Online zu setzen.

Das ist, man muss es ihm zugutehalten: sehr gut moderiert!

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