Polizeiruf "Morgengrauen":Frau an der Kante

Polizeiruf 110

Kann das Leben echt so schön sein? Karen Wagner (Sandra Hüller) und Hanns von Meuffels (Matthias Brandt) im Münchner "Polizeiruf" Morgengrauen.

(Foto: Erika Hauri)

Aus München kommt wieder einmal ein sensationell guter "Polizeiruf", und das liegt auch an Sandra Hüller. Sie spielt darin eine Justizbeamtin, der man jederzeit bereit ist, alles zuzutrauen. Sogar eine heftige Liebschaft mit dem bisher eher einsamen Kommissar dieser Fernsehserie.

Von Katharina Riehl

Die Liebe findet der Kommissar im Gefängnis. Die Liebe sitzt dort nicht in einer Zelle, sie hat nicht, wie alle anderen hier, eine Jugendstrafe abzusitzen. Sie sitzt in immer etwas spießigen Hosenanzügen in einer Amtsstube und verwaltet das, was man Resozialisierung nennt.

Die Liebe heißt Karen Wagner und sie ist die Leiterin einer Justizvollzugsanstalt, Kommissar Hanns von Meuffels trifft sie am Abend eines Mordes. Ein junger Mann hat einen anderen jungen Mann auf einer Rolltreppe umgebracht, einfach so, die Überwachungskamera sah dabei zu.

Kommissar von Meuffels bringt den Täter schnell zu einem Geständnis, doch bald darauf hängt dieser tot in seiner Zelle. Angst habe er, hatte er noch kurz zuvor gesagt. Und hatte wohl doch gar nicht ahnen können, wie berechtigt die war.

"Morgengrauen" ist wieder einmal ein sensationell guter Polizeiruf aus München, und das liegt auch an dieser Karen Wagner. Die Schauspielerin Sandra Hüller, gefeiert für ihre Theaterauftritte in Leipzig, Basel und in München, für ihre Kinofilme "Requiem" und "Über uns das All", gibt im Krimi des Bayerischen Rundfunks quasi ihr Fernsehdebüt. Sie spielt Karen Wagner, die kurze, aber heftige Liebe des bisher eher einsamen Kommissars von Meuffels (Matthias Brandt).

Bisher, sagt Sandra Hüller, sei ihr im Fernsehen nicht so viel an Material untergekommen, das sie interessiert hätte. Es gibt nicht viele deutsche Kinoschauspieler, die finanziell ohne das Fernsehen auskommen. Auch Sandra Hüller hat sich diese Freiheit vermutlich vor allem auf der Bühne erspielt.

Man trifft Sandra Hüller an einem warmen Sommerabend in München in der Kantine der Kammerspiele, sie hat gerade ihre letzte Aufführung der Saison gespielt, aber in Ferienstimmung ist sie trotzdem nicht.

Der Glaube an das eigene Glück

In Bukarest dreht sie mit der Regisseurin Maren Ade ("Alle anderen"). Es ist ein Film über einen Vater-Tochter-Konflikt, doch für Sandra Hüller bedeutet das ständige Hin und Her zwischen München und Rumänien eher einen Mutter-Tochter-Konflikt - sie muss ihr kleines Kind zu Hause lassen. Und deshalb sagt Sandra Hüller über das deutsche Fernsehen auch: "Ich muss für jeden Dreh weg von meinem Kind und mir beim Theater frei nehmen, das muss es dann schon wert sein."

Der Münchner Polizeiruf war es ihr wert, und praktischerweise wurde der ja auch nicht in Bukarest gedreht. Alexander Adolph, der Autor und Regisseur, habe immer gesagt, "Morgengrauen" sei eine Geschichte darüber, dass man immer denkt, es geht schlecht aus. "Glaubt man an das eigene Glück, oder nicht? Glaubt man, dass so eine Liebe gutgehen kann? Was gönnt man so einer Figur?" Das alles, sagt Sandra Hüller, habe sie sehr spannend gefunden. Und das Geheimnis dieses Films ist damit auch schon sehr hübsch umrissen.

Die Unmöglichkeit von Vertrauen

Es ist, wieder einmal, kein klassischer Krimi geworden, diese Episode des Polizeirufs 110, obwohl auch in der Krimihandlung selbst mehr steckt als ermittlerische Durchschnittsware.

"Morgengrauen" aber ist vor allem ein Film über das Leben und über die Unmöglichkeit von Vertrauen. Der Zuschauer traut der Liebe, der Beziehung zwischen dem Kommissar und der Justizbeamtin nicht - denn kann das Leben echt so schön sein? Und irgendwann vertraut dann auch der Kommissar nicht mehr, nicht mehr seinen Gefühlen und nicht mehr der Frau, für die er sie empfindet.

Alexander Adolph hat schon viele großartige Tatort-Folgen geschrieben und einst Senta Bergers Krimireihe "Unter Verdacht" entwickelt. Für diesen Film nun hat er Sandra Hüller und Matthias Brandt ein paar Dialoge ins Drehbuch gebaut, die man sich am besten ein paar Mal hintereinander ansieht, weil sie wie zufällig hingetupft klingen und es natürlich nicht sind.

Ganz am Anfang zum Beispiel, die beiden haben sich erst wenige Male gesehen, treffen sich Karen Wagner und Hanns von Meuffels auf der Straße vor der Justizvollzugsanstalt. Sie sagt etwas zu ihm, doch der Autolärm verschluckt ihre Worte, dann reißt sie ihn am Ärmel von der Fahrbahn, damit ihn der heranrasende Laster nicht auf der Fahrbahn verteilt.

Sie sagt: "Das ist ja die Auffahrt zur B12, da fahren die wirklich ziemlich schnell. Also das ist schon bissl gefährlich auch, da muss man schon ab und zu links und rechts ...". Und er, verlegen und als habe er gerade etwas fürs Leben gelernt, er sagt: "Absolut." Das Prinzip des peinlichen Erstgesprächs ist in dieser Szene ziemlich schön erfasst.

Sandra Hüller spielt Karen Wagner als eine Frau, der man jederzeit bereit ist alles zuzutrauen. Das liegt auch am geschickt konstruierten Drehbuch, aber es liegt natürlich an Sandra Hüller selbst, die es wie kaum eine andere Schauspielerin versteht, in ihren Rollen auf der scharfen Kante zwischen Normalität und Wahnsinn zu balancieren.

"Oft zu einfach"

In "Requiem", Hans-Christian Schmids wuchtigem Exorzismusdrama, spielte sie eine Epileptikerin, der in der süddeutschen Provinz der Siebzigerjahre zwar nicht der Teufel, aber gleich das ganze Leben ausgetrieben wird. Hüller gewann dafür den Deutschen Filmpreis und einen Silbernen Bären. Das war ihr Durchbruch.

Oder der kleine feine Film "Über uns das All", da spielte sie eine Frau, deren bisheriges Leben von einem Tag auf den anderen so nie existiert hat, als ihr Mann sich das Leben nimmt und sich seine Biografie als große Lüge herausstellt. Und Martha, die Verlassene, die um alles Betrogene, sucht sich einen neuen Mann und beginnt, ihre eigene Lüge zu leben. Frau an der Kante. Im deutschen Fernsehen gibt es nicht viele solche Rollen.

Sandra Hüller sagt, als Schauspielerin gebe es im Fernsehen für sie zu wenige verschiedene Dinge. "Es gibt Krimis, das interessiert mich nicht, und es gibt Lebensdramen, und die sind mir oft zu einfach. Und einfach sind die guten Dinge bekanntlich eher selten.

Polizeiruf 110, ARD, Sonntag, 20.15 Uhr.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: