Polizeiruf "Fieber":Mit dem Junkie im Bett

Dieser Polizeiruf ist ein Ereignis: Der tote Junkie, der den Kommissar gleich am Anfang angeschossen hat, erweist sich später als Geist, der strafen und schmusen will. Hier kämpft jeder ums Überleben. Und wer den Kampf verloren hat, hört nicht auf zu kämpfen.

Holger Gertz

Polizeiruf 110

Ein Geist, der das Schnarchen nebenan nicht tolerieren will: Kommissar von Meuffels (Matthias Brandt) erscheint im Krankenhaus ein toter Junkie (Georg Friedrich).

(Foto: die film gmbh/Jacqueline Krause-)

Ein Junkie hält einem kleinen Jungen die Waffe an den Kopf, "ich will eine Million", brüllt er. So fängt die Geschichte an. Der Junkie hat einen Kindergarten überfallen, die Ermittler Hanns von Meuffels und Anna Burnhauser versuchen ihn zu überwältigen, das SEK ist noch nicht da.

Man sieht das verzerrte Gesicht des Junkies, man glaubt, seinen Schweiß riechen zu können. Man hört das heisere Bellen seiner Stimme, hört das Angstwimmern von Kindern. "Waffe runter!" schreit Anna Burnhauser, "nimm die beschissene Waffe runter!" Alles ist so laut, alles geht so schnell. Nichts ist mehr unter Kontrolle. Der Junkie drückt ab, der Kommissar fällt zu Boden, dann ist für den Moment alles still.

Der BR-Polizeiruf "Fieber" fühlt sich dem alten Ratschlag des Hollywood-Produzenten Samuel Goldwyn verpflichtet: "Mit einem Erdbeben anfangen und dann ganz langsam steigern." Es gibt nicht viele deutsche Kriminalfilme, die das für sich in Anspruch nehmen können, wobei "Fieber" nicht nur ein Krimi ist, er ist eine schwebende Philosophie über Leben und Sterben.

Meuffels (Matthias Brandt) wird im Krankenhaus notoperiert und gerettet, aber er ist geschockt, er steht unter Medikamenten, er hat große Schmerzen, die Kugel des Junkies hat sein Herz knapp verfehlt. Er geistert allein durch die Klinikflure, den Infusionsständer hinter sich herziehend. Oder er liegt im Bett, die Gesichter der Ärzte beugen sich wie unheilvolle Monde über ihn.

Der Zuschauer - ein wirksamer Kniff - sieht die Welt aus den Augen des verwundeten, hilflosen Ermittlers. Und er hört Ärzte, die wie Controller reden: "Der beschleunigte Heilungsverlauf verkürzt natürlich die Durchlaufzeit pro Bett und steigert so die Kosteneffizienz."

Menschen verschwinden, Krankenakten werden manipuliert. Was Meuffels erst durch einen Schleier wahrnimmt, wird allmählich konkreter, auch die vielen Asiaten, die dauernd irgendwo rumstehen, sind keine Halluzinationen, die Klinik soll an die Chinesen verkauft werden, also müssen die Bilanzen stimmen.

Regisseur Hendrik Handloegten erzählt eine tragische, komische, spannende Geschichte, in der jeder ums Überleben kämpft. Und wer den Kampf verloren hat, hört nicht auf zu kämpfen.

Der Junkie, mit dessen Tat die Geschichte begonnen hat, erscheint dem Kommissar. Der Junkie wird gespielt von großartigen Georg Friedrich. Beste österreichische Schule, irre und genial zugleich, in diesem Fall: lebend und tot. Ein Geist der besonderen Art, er entschuldigt sich für das, was er dem Kommissar angetan hat. Er legt sich zu ihm ins Bett, wie ein Kind sich zur Mutter legt. Ein Geist, der strafen und schmusen will.

Nebenan liegt Meuffels Zimmergenosse, der unfassbar laut schnarcht. "Soll ich ihn kaltmachen?" fragt der Geist, man muss sich den Wiener Stimmklang bitte dazudenken. Dann schwebt er rüber, aber das Schnarchen kann er nicht stoppen.

"Ich rede nicht mit dir, weil es dich nicht gibt", sagt irgendwann Meuffels. Brandt spielt ihn reduziert, mit diesem warmen Blick hinter hängenden Lidern, ein Mann im Flügelhemd, nicht panisch, eher fatalistisch. Er nimmt hin, dass der Geist ihn analysiert: "Ich bin das Vieh, das du wegsperrst tief in dir drinnen jeden Tag."

Man hört es schon: Auch was die Dialoge angeht, ist dieser Polizeiruf ein Ereignis.

Polizeiruf 110, ARD, Sonntag 20.15

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