"Polizeiruf" aus Rostock:"Wenn man sich nicht kümmert, dann wird ein Brot braun"

Lesezeit: 3 min

Provokant wie sonst kaum jemand: Anneke Kim Sarnau und Charly Hübner im Rostocker Polizeiruf. (Foto: NDR/Sandra Hoever)

Erst Wiesbaden, dann München, nun handelt auch der Rostocker "Polizeiruf" von Rechtspopulismus. Aber die beiden Oberprovokateure König und Bukow machen das wett.

Von Carolin Gasteiger

Die Erkenntnis:

Rechtspopulisten, völkische Siedler, verängstigte Bürger, unterdrückte Aggressionen - der Rostocker Polizeiruf greift das große Thema der nun zu Ende gehenden ARD-Krimisaison auf. Und reiht sich damit thematisch hinter den Münchner Fall vergangene Woche ein, in dem es um sogenannte Reichsbürger ging, und den Wiesbadener Tatort von Mai, in dem die Kommissare auf einem Biobauernhof völkischer Siedler ermittelten. "In Flammen" bedient sich, so scheint es zumindest, aus beiden und mischt ein wenig AfD-Persiflage unter. An sich ist es ja lobenswert, wenn die ARD-Krimis die Realität nicht ignorieren, sondern gesellschaftliche Themen aufgreifen. Aber wenn Rechtspopulismus in dieser Häufigkeit auftaucht, verfahren Tatort und Polizeiruf ähnlich missverständlich wie neuerdings Talkshows: Sie suggerieren, Deutschland hätte keine anderen Probleme als den rechten Rand. Vielleicht hat Deutschland aber auch einfach keine anderen Krimi-Ideen. Was wiederum ein ganz anderes Problem wäre.

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Darum geht's:

Sylvia Schulte kandidiert als Rostocker Oberbürgermeisterin und vertritt die rechtspopulistische Partei PFS. Ihr Publikum begeistert sie mit Slogans wie "Es ist Euer Land - holt es Euch zurück!" oder "Wir sind das Volk!", während ihr syrischstämmiger Assistent am Rande der Bühne die Worte laut mitliest. Eines Morgens finden die Kommissare Katrin König und Alexander Bukow eine verkohlte Leiche auf einem Acker. Bald stellt sich heraus, dass es Sylvia Schulte ist und die Politikerin bei lebendigem Leib verbrannt wurde. Die Ermittlungen führen Bukow und König in die Tiefe der rechtspopulistischen Partei, aber auch zu Schultes Exmann Erik Meissner, der als völkischer Siedler einen Bauernhof betreibt und an Kooperation mit jeglichen staatlichen Vertretern, also auch der Polizei, kein bisschen interessiert ist.

Bezeichnender Dialog:

König und Bukow fahren von einem Besuch auf Meissners Hof zurück und diskutieren im Auto, was sie gesehen haben.

König: "Die süßen kleinen Kinder backen Brot. Die Mädchen mit straffen Zöpfen, die Jungs mit strammem Scheitel. Auf dass ihnen ihre Eltern den braunen Blut-und-Boden-Dreck schon in der Kita ins Hirn stopfen.(...)"

Bukow: "Was ist denn daran so schlimm, wenn Kinder Brot backen lernen?"

König: "Gar nichts. Brot backen lernen ist eine ganz tolle Sache, es sollte nur nicht zu braun sein."

Bukow: "Wenn man sich kümmert, wird ein Brot nicht braun, aber wenn man sich nicht kümmert, dann wird ein Brot braun. Dann wird es sogar dunkelbraun. Gucken Sie sich doch einmal um hier. Die Dörfer sind alle am Arsch. Es gibt keine Krippen mehr, keine Kindergärten, keine Schulen, ist alles verlegt. Die Leute sind auf sich allein gestellt. Wenn sich von oben keiner kümmert, dann läuft man dem hinterher, der die größte Fresse hat. Egal, welche Farbe der trägt. Und das war schon immer so."

Top:

Anneke Kim Sarnau und Charly Hübner verleihen ihren Figuren König und Bukow so viel eigenes Charisma und Macken, dass es einfach nicht langweilig wird, ihnen zuzusehen. Wenn König etwa Erik Meissner gegenüber provokant und mit Inbrunst das R in "brrrraune Jugendsünde" rollt, schwankt sie gekonnt zwischen Mut und Peinlichkeit. Oder wenn Bukow dem unkooperativen Erik Meissner erst eine reinhaut und dann die Pistole zieht, schockiert und fasziniert der Kommissar gleichermaßen, weil er immer wieder an seine Grenzen geht. Wie unberechenbar sowohl König als auch Bukow mit ihrer Umwelt agieren, ist große Unterhaltung. Als König Bukow in der allerletzten Szene doch auf das dräuende Disziplinarverfahren anspricht und man hofft, dass sich beide endlich aussprechen, Bukow sie aber schroff abweist ("Nacht, Frau König"), ist man fast enttäuscht, dass es vorbei ist. Hier verabschieden sich zwei der spannendesten ARD-Krimifiguren in die Sommerpause.

Flop:

Mit einer an die AfD erinnernden rechtspopulistischen Partei, völkischen Siedlern und einer reaktivierten Combat 18-Zelle manifestiert sich die Abkehr von Staat und Gesellschaft in "In Flammen" gleich dreifach. Zwischen den einzelnen Gruppen und deren ureigenen Beweggründen durchzublicken, ist nicht einfach. Und ein bisschen verwirrend.

Pointe:

Verbrannt wurde Schulte nicht von der eigenen Partei oder ihrem Exmann. Sondern von einer Frau, auf die sie als junges Mädchen einen Molotow-Cocktail geworfen hatte. Schultes Vergangenheit als Mitglied einer rechtsextremen Gang hat sie also eingeholt. Auf die Zukunft ihrer Partei hingegen wirkt sich Schultes Tod positiv aus. Ihr Kompagnon Roland Herlau weiß aus dem Mord Profit zu schöpfen. Am Mikrofon ruft er die PFS zur Geschlossenheit auf, nicht ohne gehörig gegen die Medien und die angeblich von ihnen verbreiteten Lügen zu hetzen. Und Schultes syrischstämmiger Assistent liest nun eben die Worte Herlaus am Rande der Bühne laut ab.

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