"Polizeiruf" aus Magdeburg:Neues vom Trickser

Polizeiruf 110: Dünnes Eis; Polizeiruf 110 "Dünnes Eis"

Wo steckt die entführte Kim? Kommissar Köhler (Matthias Matschke) läuft in diesem "Polizeiruf" vielen falschen Fährten hinterher.

(Foto: MDR/Frédéric Batier)

Was ist Wahrheit und was Lüge? "Dünnes Eis", der neue "Polizeiruf" aus Magdeburg, führt seine Zuschauer wenig originell, aber angenehm unaufgeregt in die Irre.

Kolumne von Luise Checchin

Die Erkenntnis:

Nichts ist, wie es scheint. Das ist eine Grundannahme, die eigentlich jedem Krimi zugrunde liegen sollte, aber dieser Magdeburger Polizeiruf dekliniert sie immerhin konsequent durch. Er tut dies auf der dramaturgischen und auf der inhaltlichen Ebene. "Dünnes Eis" beginnt mit einer Szene, die dem Zuschauer den Ausgang des Falles nahelegt. Und der Film präsentiert eine Hauptfigur, die recht schnell als pathologische Lügnerin entarnt und somit diskreditiert wird. Aber dann kommt doch alles ganz anders als gedacht.

Darum geht es:

Die 23-jährige Kim Peelitz wird auf dem Weg zur Arbeit entführt. Die Entführer nennen ihrer Mutter Anja zwei Bedingungen für die Freilassung. Sie soll 100 000 Euro Lösegeld zahlen und sie darf auf keine Fall zur Polizei gehen. Letzteres ignoriert die Mutter geflissentlich, aber den Ermittlern Doreen Brasch, Dirk Köhler und Uwe Lemp, ist sie trotzdem keine große Hilfe. Je mehr Zeit verrinnt, desto durchsichtiger wird ihr Lügenkonstrukt und desto verzweifelter untersuchen die Kommissare das Umfeld Kims nach Hinweisen auf ein Motiv.

Bester Auftritt:

Wenn eine Figur beim Publikum gleichzeitig Wut und Mitleid erregt, hat die Schauspielerin etwas richtig gemacht. Christina Große gelingt dieses Kunststück mit ihrer Darstellung der Anja Peelitz. Zu Beginn erscheint sie als eine liebevolle, besorgte Mutter. Dann schleicht sich etwas Kühles, Unberechenbares in ihr Spiel, man fängt an der Figur zu misstrauen. Warum behindert diese Frau die Befreiung ihrer Tochter, fragt man sich irritiert. Als schließlich das Ausmaß ihrer Lügen offensichtlich wird, als sich herausstellt, dass die Tasche mit dem Lösegeld in Wirklichkeit nur Prospekte enthält, schlägt die Irritation in Mitleid um. Man sieht einen Menschen, der in sich selbst gefangen ist, dessen Krankheit den Leuten schadet, die er am meisten liebt. Die Hilflosigkeit der Anja Peelitz zeigt sich im Kleinen - in nervösen Gesten, in einer tiefsitzenden Sprachlosigkeit - und ist genau deshalb so eindrücklich.

Bezeichnender Dialog:

Die Ermittler haben soeben erfahren, dass Anja Peelitz gelogen hat. Das Erbe, die 100 000 Euro, von denen die Frau aller Welt erzählt hatte und das die Entführer als Lösegeld fordern, existiert gar nicht. Zurück im Komissariat verarbeiten Doreen Brasch und Dirk Köhler die Ermittlungspanne mit einer altbewährten Strategie: gegenseitigen Schuldzuweisungen.

Brasch: Frau Peelitz fantasiert die ganze Zeit, Herr Köhler. Sie haben ihr jedes Wort geglaubt. Sie haben sie sogar unbeaufsichtigt in die Bank laufen lassen. Und dann haben Sie noch nicht mal in diese verschissene Tüte geguckt.

Köhler: Sie auch nicht.

Brasch: Ich war nicht dabei! Und hab' ihr auch nicht verständnisvoll ihr Händchen gehalten. Was haben Sie denn noch alles übersehen?

Köhler: Ja, das ist eine wichtige Frage, das kann ich mir vorstellen, dass Sie das fragen. Sie übersehen nämlich gar nichts. Ich hab gestern in aller Eile die Mails durchgesehen, ich bin einem Unbekannten hinterhergerannt, ich hab den abgehackten Finger von Kim Peelitz gefunden. Und Sie spielen hier den lieben Gott und entscheiden, was Lüge und Wahrheit ist.

Und was ist jetzt Lüge und was Wahrheit?

Als Zuschauer glaubt man, zumindest eine Sache verstanden zu haben: In der ersten Szene von "Dünnes Eis" sah man die Leiche einer jungen Frau. Dann springt der Film in der Zeit zurück und man erfährt von der Entführung Kims. Klare Sache, denkt man, dieser Polizeiruf erzählt, wie die Ermittler dabei versagt haben, die junge Frau zu befreien. An welcher Stelle ging das Ganze schief? Indem der Film die Handlung vorweg nimmt, entsteht ein Sog. Gerade weil der Zuschauer nach und nach ahnt, dass hier etwas nicht stimmen kann. Die Gewissheiten beginnen ins Wanken zu geraten, wenn Kims Mutter als pathologische Lügnerin enttarnt wird. Die eigentliche Täuschung aber steckt in der Dramaturgie. Denn bei der Leiche vom Anfang handelt es sich gar nicht um Kim, sondern um ihre Freundin Michelle. Nun ist dies nicht die originelleste Pointe, die man sich vorstellen kann, aber immerhin kommt sie angenehm unaufgeregt daher.

Schlusspointe:

Die Kommissare Köhler und Brasch haben es geschafft, sie haben Kim befreit. Zusammen sitzen sie im Wohnzimmer der Mutter und rätseln, wer Michelles Mörder sein könnte. Als die Mutter beiläufig erwähnt, dass es das Erbe ja gar nicht gebe, rastet Kim aus. Sie gesteht, die Entführung vorgetäuscht und ihre Komplizin Michelle getötet zu haben, als die versuchen wollte, aus der Sache auszusteigen. So drehen sich die Rollen um: Die unschuldige Lügnerin entlockt ihrer Tochter, der Täterin, die Wahrheit.

Die besten Zuschauerkommentare:

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