Satire in Polen:"Wir können es nicht zeigen - wir haben Angst vor der Regierung"

Satire in Polen: Mikołaj Cieślak (re.), der Assistent, ist ganz nah dran am Vorsitzenden, verkörpert von Robert Górski.

Mikołaj Cieślak (re.), der Assistent, ist ganz nah dran am Vorsitzenden, verkörpert von Robert Górski.

(Foto: Karolina Grabowska)

Politische Satire ist im polnischen Fernsehen nicht mehr erwünscht. Nun feiern zwei Kabarettisten mit einer Parodie über den Pis-Vorsitzenden Jarosław Kaczyński im Internet Erfolge.

Von Florian Hassel, Warschau

Nach über zweieinhalb Jahrzehnten auf polnischen Bühnen und im Fernsehen ist Robert Górski Zuneigung des Publikums gewohnt. Doch was er derzeit erlebt, ist auch für den 45 Jahre alten Kabarettisten neu. "Selbst von Baustellen rufen Arbeiter: Herr Robert, wann kommt die nächste Folge?" Polens Präsident wurde zum Wirken Górskis schon ebenso befragt wie die Regierungschefin, die Minister für Verteidigung und Inneres - und natürlich Jarosław Kaczyński.

"Ucho prezesa" (Das Ohr des Vorsitzenden) heißt die Satiresendung, mit der Górski und sein Kabarettpartner Mikołaj Cieślak innerhalb kürzester Zeit ein Millionenpublikum erreicht haben - und das, obwohl die im Januar gestartete Serie nur im Internet zu sehen ist.

Das Ohr, das ihr den Namen gibt, gehört Jarosław Kaczyński, dem Prezes (Vorsitzenden) der regierenden Partei "Recht und Gerechtigkeit" (Pis). Kaczyński hat kein öffentliches Amt inne, und doch ist er es, der in Polen die Fäden zieht. Politiker und Funktionäre, Diplomaten und Kirchenleute pilgern in die Parteizentrale in der Warschauer Nowogrodzka-Straße 84/86. Dort, im Büro des Prezes, spielt "Das Ohr des Vorsitzenden".

Górski, Cieślak und ihre Kollegen vom "Kabarett der moralischen Unruhe" sind Polens wohl bekannteste Satiriker. Als fünfköpfige Kabaretttruppe touren sie durch Theater und Bürgerzentren. Jahrelang traten sie auch im öffentlich-rechtlichen Fernsehen TVP 2 auf. Dort zogen sie in der Sendung "Regierungssitzung" ("Posiedzienie rządu") den damaligen Ministerpräsidenten Donald Tusk durch den Kakao.

Als die Pis im November 2015 die Regierung übernahm, wurde auch sie schnell zur Zielscheibe - etwa in einem an den "Krieg der Sterne" angelehnten Sketch, in dem Robert Górski im Kostüm des Imperators die politische Allmacht Kaczyńskis aufs Korn nahm. Als der damals neue TVP-Chef Jacek Kurski (Eigenlob: Kaczyńskis "Bullterrier") Kabarett "das Symbol des Niedergangs des öffentlichen Fernsehens" nannte, meinte er Górski und Cieślak. Ein paar Monate später war es mit öffentlich-rechtlicher Satire über die Pis vorbei.

Plötzlich waren die Internet-Portale nicht mehr interessiert

Als Górski und Cieślak im Herbst 2016 das Konzept für das "Ohr des Vorsitzenden" vorstellten, "sagten uns polnische Fernsehsender: Ja, es ist sehr lustig, aber wir können es nicht zeigen - wir haben Angst vor der Regierung."

Deren Einflussmöglichkeiten sind nicht nur beim öffentlichen Fernsehen groß. Anzeigen polnischer Staatsfirmen machen auch bei den Privaten einen großen Teil der Werbeeinnahmen aus. Und weil die amerikanischen Besitzer von Polens wichtigstem privaten Fernsehsender TVN gegenüber der Pis angeblich einen Verkauf ablehnten, sind als Drohgebärde schon Neuvergaben zentraler Fernsehfrequenzen im Gespräch.

In einem solchen Klima abnehmender Medienfreiheit waren am "Ohr des Vorsitzenden" Polens große Internet-Nachrichtenportale "zuerst sehr interessiert - doch antworteten dann nicht mehr", erzählt Górski.

7,5 Millionen Klicks für die erste Folge - mehr schaffen auch die populären Seifenopern nicht

Also mieteten die Satiriker ein Fernsehstudio und verfilmten die von Górski geschriebenen Sketche auf eigene Kosten - mit Górski als "Prezes" und Cieślak als allgegenwärtigem Assistenten Mariusz Płaszczak, für Polen unschwer als Persiflage auf Innenminister Mariusz Błaszczak zu erkennen.

Das Geschehen spielt im Büro des "Prezes", mit Überwachungskameras und einem Safe mit belastenden Dokumenten über die polnische Elite - "wer in der Kommunistischen Partei war und wer nicht, wer seine Frau geschlagen hat und wer nicht, wer Bestechungsgeld genommen hat und wer trank", so Cieślak.

Und wie in der Wirklichkeit pilgert die polnische Elite zur Audienz beim Prezes, zum "Ohr des Vorsitzenden". Präsident Andrzej Duda, im Volksmund wegen seines Abnickens selbst offen rechtswidriger Gesetze "der Notar" genannt, wird von der Sekretärin trotz langen Wartens gar nicht erst zum Prezes vorgelassen.

Bei den ersten Sketchen dominierten Intrigen und persönliche Schwächen. Harte politische Streitthemen wie die vom Prezes gesteuerte Demontage von Polens Verfassungsgericht kamen nur am Rande vor. Bei den Polen aber traf das "Ohr des Vorsitzenden" einen Nerv. Fast 7,5 Millionen Klicks für die erste Folge, kaum weniger für die folgenden - diese Raten übertrifft auch Polens Fernsehen mit populären Seifenopern nicht.

Kaczyński selbst hat die Sendung gesehen und Fehler entdeckt: sein Kater trinke gar keine Milch

Im polnischen Fernsehen ist Satire über den PiS-Vorsitzenden Jarosław Kaczyński nicht mehr erwünscht, doch auf den Straßen des Landes dient Polens starker Mann Karikaturisten immer noch als Vorlage.

Auf den Straßen Polens dient Jarosław Kaczyński Karikaturisten immer noch als Vorlage: hier bei einem Demonstrationszug am Internationalen Frauentag in Warschau am 8. März 2017.

(Foto: AP)

Das Wochenmagazin Polityka fragte in einer Titelgeschichte: "Zieht die populäre Kabarettserie das Image der Regierung ins Lächerliche - oder macht sie sie menschlicher?" Mikołaj Cieślak hat darauf eine eindeutige Antwort: "Wenn diese Frage gestellt, aber unterschiedlich beantwortet wird - dann machen wir unseren Job richtig."

Denn die Satiriker wollen "nicht als zu eindeutig oder gar einseitig auf Seiten der Opposition rüberkommen". Zwar hält vor allem Robert Górski, der alle Drehbücher für das "Ohr des Präsidenten" schreibt, wenig von der Pis und ihrem Modell für Polen: Kaczyński behandele das Land so wie Wladimir Putin Russland, wolle alles selbst entscheiden und demontiere dafür demokratische Institutionen. Auch Kaczyńskis Vision eines "christlichen Volksstaates", in dem sich Regierung und katholische Kirche ins Privatleben der Polen einmischen, gefällt Górski nicht.

Gleichwohl ist die Satire im "Ohr des Vorsitzenden" milder, harmloser als etwa im englischen "Spitting Image" oder der "Heute-Show" in Deutschland. Erster Grund, so Górski und Cieślak: die Traditionen des polnischen Kabaretts. "Es gab schon im kommunistischen Polen populäre Satiriker - etwa das Kabarett TEY aus Posen. Ganz Polen hörte ihre illegal auf Kassette aufgenommenen Auftritte, auch wir sind damit aufgewachsen."

Anfang der 1980er-Jahre spielten Satiriker sogar im Fernsehen in der Sendung "Das Hinterzimmer des Geschäfts" mit den Themen kommunistischer Mangelwirtschaft. "Doch im Publikum saß immer auch der Zensor. Man konnte ihn daran erkennen, dass er nie lachte."

Um am Zensor vorbeizukommen, arbeiteten die Satiriker "mehr mit Anspielungen und Suggestionen als in England oder Deutschland", sagt Górski. "Auch wir verfolgen einen eher delikaten Ansatz. Wir wollen keinen aggressiven Ton. Der politische Blutdruck ist in Polen heute so hoch, dass wir mit Humor dazu beitragen wollen, die Spannung abzubauen und etwas Luft aus dem Ballon zu lassen. Deswegen sehen uns beide Seiten, deswegen ist die Sendung so erfolgreich", stimmen Górski und Cieślak überein.

In den neuen Folgen soll es "schärfer als zuvor zur Sache gehen"

Ein weiterer Grund für den Erfolg könnte ihr kabarettistisches Nahezumonopol sein: Andere früher erfolgreiche Satiriker sind gleichsam übergelaufen und haben es wie Marcin Wolski zum Chef des Regierungsfernsehens TVP 2 gebracht oder treten wie Jan Pietrzak, als Satiriker ehemals eine Ikone der Solidarność-Bewegung, heute als Pis-Parteigänger in deren Propagandafilmen auf.

Während Präsident Duda angesäuert auf sein Porträt als Marionette Kaczyńskis reagierte, sagten andere Pis-Politiker, sie hätten über das "Ohr des Vorsitzenden" herzhaft gelacht. Der "Vorsitzende" selbst behauptete, er habe immerhin zwei Folgen gesehen - und Fehler entdeckt. Sein Kater, der in der Sendung ebenfalls eine prominente Rolle spielt, sei erwachsen und trinke deshalb keine Milch.

Nach dem Erfolg der Satire meldete sich auch das öffentlich-rechtliche Fernsehen wieder bei Górski und Cieślak und bot einen Sendeplatz für das "Ohr des Vorsitzenden" an. Unter einer Bedingung: "Wir sollten den Akzent unserer Satire nicht mehr auf den Prezes legen - sondern auf Polens Opposition." Górski und Cieślak lehnten dankend ab. In den neuen Folgen soll es "schärfer als zuvor zur Sache gehen", verspricht Górski. Dass ihnen die Inspiration ausgeht, befürchtet er nicht. "In dieser Regierung gibt es so viele farbige Charaktere und so viele absurde Ereignisse, dass wir es gar nicht abwarten können, sie in unsere Show aufzunehmen."

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