Persönlichkeitsrechte:Schutz erlaubt

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entscheidet über die Verpixelung des Angeklagten bei Mordprozessen - und über die Frage, ob ein Mensch weniger schutzbedürftig ist, wenn er die Tat bereits gestanden hat.

Von Wolfgang Janisch

Deutsche Richter dürfen auch in spektakulären Mordprozessen anordnen, dass Fotos des Angeklagten aus dem Gerichtssaal zu dessen Schutz verpixelt werden müssen. Das hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entschieden und damit Beschwerden des Axel-Springer-Verlags und des Senders RTL abgewiesen. Danach sind solche Verfügungen eines Vorsitzenden Richters grundsätzlich zum Schutz der Persönlichkeitsrechte zulässig. Die Einschränkung der Pressefreiheit sei nicht sonderlich gravierend.

Auslöser der Medienklagen war ein bedrückender Mordprozess vor dem Landgericht Potsdam. Ein damals 28-jähriger Mann hatte seinen Vater erstochen und seine Mutter erschlagen - die Leichen zerstückelte er später. Das Gericht sollte am Ende auf lebenslang erkennen. Aber zum Prozessauftakt im Januar 2011 verfügte das Gericht mit Blick auf die Unschuldsvermutung, Bilder aus dem Gerichtssaal dürften nur dann veröffentlicht werden, wenn das Gesicht des Angeklagten darauf unkenntlich gemacht werde. Springer und RTL behaupteten zudem, der Richter habe den Fotografen mit dem Ausschluss von künftigen Prozessen gedroht, sollten sie gegen seine Order verstoßen; ob diese Äußerung gefallen ist, blieb aber umstritten.

Der Menschenrechtsgerichtshof bescheinigte dem Potsdamer Gericht, die Anordnung sei verhältnismäßig gewesen. Das Ziel, die Persönlichkeitsrechte des Angeklagten zu schützen, sei vor allem deshalb legitim, weil er zum Prozessauftakt noch als unschuldig zu gelten habe. Damit bewegt sich der Straßburger Gerichtshof auf derselben Linie wie das Bundesverfassungsgericht, das dies ebenfalls für zulässig erachtet hat, selbst in aufsehenerregenden Verfahren: In einem Beschluss aus dem Jahr 2008 hatte Karlsruhe eine Pixel-Verfügung im Prozess gegen den Angeklagten im sogenannten Holzklotz-Prozess gebilligt, der damals großes Medieninteresse hervorgerufen hatte.

Bemerkenswert an dem Straßburger Urteil ist aber, dass der besondere Schutz der Unschuldsvermutung trotz eines Geständnisses des Angeklagten gelten soll. Nach der Karlsruher Rechtsprechung kann sich der Persönlichkeitsschutz verringern, sobald der Täter die Tat zugegeben hat. Davon geht ausweislich der Begründung prinzipiell auch der Straßburger Gerichtshof aus. Allerdings müsse ein Geständnis immer erst auf seine Tragfähigkeit überprüft werden, zumal im konkreten Fall: Ein Gutachter hatte dem Angeklagten eine schizoide Persönlichkeitsstörung attestiert.

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