"Ozark" bei Netflix:Wenn technische Brillanz nur noch Klischees kaschiert

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Laura Linney und Jason Bateman spielen das Paar, dessen lähmende Routine jäh zerschlagen wird. (Foto: dpa)

Die Netflix-Serie "Ozark" stößt eine gutbürgerliche Familie in den Strudel des Drogenhandels und macht die bewährte Story damit endgültig zum Genre. Das nervt leider schnell.

Von Andrian Kreye

Natürlich greift der Sog der neuen Netflix-Serie Ozark erst mal wie bei all den anderen Produktionen des Goldenen Zeitalters des amerikanischen Fernsehens mit der nachhaltigen Wirkung einer Ladung Crystal Meth im Kopf eines verarmten Dorftrottels. Womit man schon mitten in der Metaphorik und bei den Problemen der Serie ist, wenn nicht sogar dieser ganzen Qualitätsserien überhaupt.

Ozark ist ein Musterbeispiel für den Leerlauf, den der nun doch schon achtzehnjährige Welterfolg zwangsläufig irgendwann mal mit sich bringen musste. Und für die Methodik, mit der einen diese Serien trotzdem immer wieder dazu bringen, Zeit und Schlaf zu opfern.

Technisch gehört Netflix zu den Pionieren des sogenannten Binge Watching, also des exzessiven Serienguckens. Binge ist der amerikanische Ausdruck für Komasaufen. Wichtigstes und einfachstes Mittel ist dabei die Autoplay-Funktion, welche die jeweils nächste Folge einer Serie automatisch startet. Selbst Internetgiganten wie Youtube und Facebook haben das inzwischen kopiert. Netflix macht auch gar keinen Hehl daraus. Im April sagte Senderchef Reed Hastings, nicht HBO oder Youtube seien seine größten Konkurrenten, sondern der Schlaf. Deswegen hat Netflix die Taktung vor einigen Wochen auf bis zu fünf Sekunden heruntergesetzt.

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Nach einer Viertelstunde ist klar: Das Suburbia-Leben wird mit Geldwäsche finanziert

Die technische Binge-Förderung würde allerdings nicht funktionieren, wenn sie inhaltlich und handwerklich nicht so viel Substanz hätte. Man hat ja selten schlechtes Gewissen beim Binge Watching, schließlich handelt es sich um Qualitätsfernsehen und nicht um Trash. Dazu muss man gar nicht den überstrapazierten Vergleich mit dem Entwicklungsroman bemühen, da reicht schon die Tatsache, dass die Serien dem Kinofilm längst den kulturellen Rang abgelaufen haben. In genau diese Kerbe schlägt auch Ozark.

Die Geschichte muss schnell erzählt werden, weil an dieser Stelle natürlich nicht zu viel verraten werden soll. Gerade Thrillerserien wie Ozark leben vom raschen Richtungswechsel der Handlung, einem chronischen "Aha"-, wenn nicht sogar "Nö, echt jetzt, oder"-Effekt, der im Kern der inhaltlichen Sogwirkung steckt.

Hauptfiguren von Ozark sind der Finanzberater Marty Byrde, seine Frau Wendy und ihre beiden pubertierenden Kinder. Marty ist der Inbegriff des Vernunftsmenschen, Wendy die Personifizierung ehelicher und mütterlicher Großzügigkeit. Allerdings stellt sich schon nach der ersten Viertelstunde des Piloten heraus, dass Marty die bürgerliche Existenz in der komfortablen Suburbia von Chicago mit Geldwäsche für ein mexikanisches Drogenkartell finanzierte. Weil sein Geschäftspartner Bruce aus dem Kartellgeld acht Millionen Dollar für sich selbst abzweigte, kommt es zu einer Hinrichtungsszene von ausnehmender Grausamkeit.

Marty rettet sich in letzter Sekunde mit dem Versprechen, in den Ozarks eine halbe Milliarde für den Abgesandten des Kartells zu waschen. Dem ist so viel Geld dann doch wichtiger als das Prinzip. So entlässt er Marty mit einer ganzen Reihe zeitlich sehr begrenzter Auflagen in die Nacht und die Handlung in ihre Turboschleifen der sogenannten Twists.

Die Byrdes müssen also in die Ozarks ziehen, genauer gesagt an den riesigen Stausee, in eines der beliebtesten Feriengebiete des Herzlandes der USA. Nun stehen die Ozarks im amerikanischen Sprachgebrauch für tiefste Hinterwäldlerei. Das Hochland zwischen den Bundesstaaten Missouri, Arkansas, Kansas und Oklahoma ist neben den Appalachen im Osten die Heimat der Hillbillies, nicht zu verwechseln mit den Rednecks, die eher in den Prärie- und Südstaaten zu Hause sind. Beide Gruppen bilden jedenfalls den Grundstock jenes White Trash, auf den man in den gebildeten Küsten- und Universitätsstädten verächtlich herabblickt. Und nicht nur dort. Sind das nicht die Leute, die Trump gewählt haben?

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Das passt gut ins Muster vom Protagonisten in einer ihm fremden Welt. Vor allem aber liefert das den Serienmachern von Ozark Stoff für viele fiese Klischees vom weißen Bodensatz der amerikanischen Gesellschaft, der den gutbürgerlichen Verbrecher-Novizen aus der Suburbia das Leben schwer macht. Das ist eine griffige Metaphorik für die Zielgruppe der amerikanischen Qualitätsfernsehserien, die vor allem in jenen Küsten- und Universitätsstädten lebt und sich deswegen mit den Byrdes gut identifizieren kann.

Weil der amerikanische Mittelstand aber nicht nur von unten, also von den vermeintlichen Trump-Wählern, sondern auch von oben, vom grassierenden Monopolkapitalismus der US-Wirtschaft, bedrängt wird, gesellt sich in Ozark noch jene bewährte kapitalismuskritische Metapher vom Drogenhandel als dem wahren, ehrlichen und eigentlichen Kapitalismus dazu. Das ist nicht neu, mit Ozark wird daraus aber endgültig ein Genre. Denn natürlich erinnert die Geschichte von der gutbürgerlichen Familie oder Figur, die in den Strudel des Drogenhandels gerät, an Breaking Bad. Und an Weeds, an Bloodline, Power, Empire und Orange Is The New Black. Wobei das allzu gewöhnliche Familienleben der Gangster zum Gründungsmythos des amerikanischen Qualitätsfernsehens gehört. 1999 begann das Goldene Zeitalter mit dem Start der Serie The Sopranos, welche die Spießbürgerprobleme einer Mafiafamilie in New Jersey mit deren Verbrecherwelt kontrastierte.

Wie hoch kann man die Reizschwellen überraschender Wendungen noch setzen?

Handwerklich gibt es auch an Ozark nichts auszusetzen. Die Kabelsender und Streamingdienste sind inzwischen so profitabel, dass sie sich die Klügsten und Besten der Filmindustrie leisten können. Produzent, Regisseur und Hauptdarsteller von Ozark ist Jason Bateman. Der wurde mit der Serie Arrested Development berühmt und verdiente dann viel Geld damit, in überkandidelten Komödien wie Umständlich verliebt, Kill the Boss oder Office Christmas Party den vernünftigen Ruhepol zu geben. Hauptdarstellerin Laura Linney bringt sogar eine lange Liste künstlerisch wertvoller Filme und drei Oscar-Nominierungen mit.

Alleine die erste Viertelstunde etabliert die lähmende Routine des Ehe-, Familien- und Wohlstandslebens in der Suburbia, die das Drehbuch dann jäh zerstören wird, mit meisterhafter Tristesse. Wobei es streckenweise scheint, als ob sich Ozark ganz bewusst gegen die Serie absetzt, mit der sich der Vergleich am deutlichsten aufdrängt. Breaking Bad lebte von den grellen Wüstenfarben von Albuquerque, Ozark ist streckenweise so düster, dass man die Bilder kaum erkennen kann. Walter White rettet sich regelmäßig durch dreiste Unvernunft, Marty Byrde mit penetranter Rationalität. Beiden Serien gemeinsam sind die Formeln vom Paradies, das zur Hölle wird, von der Macht der banalen Familienprobleme und der Umkehrung der traditionellen Krimidynamik, dass man als Zuschauer also immer auf der Seite der Verbrecher bleibt. Denn die wahren Bösewichte sind Recht, Gesetz und Staat.

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In einem Amerika, in dem der Mittelstand erodiert und man mit ehrlicher Arbeit nicht mehr zu Wohlstand kommt, sind Serien wie Ozark mehr als Unterhaltung. Sie haben die Rolle des sozialkritischen Kinos übernommen. Vieles bleibt einem in Europa zum Glück noch fremd. Deswegen geht einem die Formelhaftigkeit des Genres wohl auch noch schneller auf die Nerven als im Ursprungsland. Wie lange kann es die immer gleichen Muster mit handwerklicher Brillanz kaschieren? Wie hoch kann man die Reizschwellen der überraschenden Wendungen noch setzen? Wann wird ein Archetyp zum Klischee? Langfristig ist der Feind des Fernsehens deswegen nicht der Schlaf, sondern das Vertrauen in bewährte Formeln.

Ozark , bei Netflix.

© SZ vom 22.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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