Online-Journalismus:Springer und die Revolutionäre

Kai Diekmann, Bild, Axel Springer in San Francisco

Bild-Chefredakteur Kai Diekmann besichtigt in San Francisco das Start-up-Beratungsunternehmen RocketSpace.

(Foto: dpa)

Mit "Bild" traut sich zum ersten Mal eine Boulevardzeitung hinter die Paywall. Doch es geht um mehr als nur um ein Abomodell. Es geht um die radikale Anwendung der Gesetze des Web. Welche Rolle der Journalismus dabei spielt? Unklar.

Von Claudia Fromme, Katharina Riehl und Claudia Tieschky

Einen kleinen Gruß aus Palo Alto hat Kai Diekmann schon einmal nach Berlin vorausgeschickt. Bei Facebook empfahl er seinen "dear BILD-colleagues", den lieben Bild-Kollegen, einen Link zu Forbes-Autor Lewis DVorkin, der sich mit Journalismus im digitalen Zeitalter beschäftigt. Die Mission eines großen Reporters, heißt es da, bleibe dieselbe, aber es kämen neue Aufgaben dazu. Ein Reporter in der digitalen Zeit, so DVorkin, trete direkt mit den Lesern in Kontakt, er lerne ein Vermarkter zu sein und spiele mit der Technik. Er verstehe die Geschäftsmodelle hinter seinem Beruf und beginne, wie ein Unternehmer zu denken.

In ein paar Tagen kommt Kai Diekmann, Chefredakteur der Bild-Zeitung, aus dem Silicon Valley nach Berlin zurück. Wenn man es richtig verstanden hat, war seine Hauptaufgabe genau das: wie ein Unternehmer zu denken. Die Auflage der Bild-Zeitung sinkt seit Jahren, aktuell liegt sie bei 2,6 Millionen - auch wenn die Erlöse aus Print immer noch fließen. Ein dreiviertel Jahr hat der Axel-Springer-Verlag Diekmann im Tal der Gründer Ideen für die digitale Zukunft seiner stärksten Marke sammlen lassen. Was bei Bild bald passieren soll, hat er im Handelsblatt schon mal als "Revolution" angekündigt. Eine digitale Revolution soll es natürlich sein, dazu passt, dass Springer kommenden Montag einen Teil dieser Zukunft vorstellen wird: Bild Plus, die Bezahlstrategie von Bild.de, die nicht nur, aber auch die von Springer gekauften Bundesligarechte refinanzieren soll.

Man wolle das führende digitale Medienunternehmen im Land werden, erklärte Konzernchef Mathias Döpfner im März. Das klingt auf jeden Fall ehrgeizig.

Pläne für eine multimediale Unterhaltungswelt

Auch Bild Plus soll mehr sein als eine Bezahlschranke, hinter der sich Bundesligatore und ein paar exklusive Geschichten verbergen. Hört man sich um im Verlag, bei der Konkurrenz, bei Werbepartnern, Verbänden und Mediaagenturen, klingt es eher so: Was Springer sich vorstellt, könnte der entschlossenste Versuch eines deutschen Verlags sein, eine Marke ins Internet zu übersetzen. Aus Bild, wenn man es richtig deutet, soll eine multimediale Unterhaltungswelt werden - aus Nachrichten, Fußball, Filmen, Meinungen, Produkten und Kontakten. Eine Welt, die man eigentlich für nichts mehr verlassen muss.

Es ist auch ein Konzept, das sich die Erlöse überall sucht, wo man sie kriegen kann. Folge dem Geld, der Tipp von Informant Deep Throat im Watergate-Skandal hat im Journalismus längst eine neue Bedeutung.

Verlage folgen dem Geld ins Netz, und zwar am besten mit mehreren Geschäftsmodellen, die nebeneinander existieren und auch kleinteilig sein dürfen. Die Jagd nach neuen Erlösen läuft nach dem Prinzip Schrotflinte. Das Modell ist ohnehin heikel: In der Webwelt, in der Promi-Meldungen überall frei zu haben sind, kann für Bild die Bezahlschranke direkt auf den Boulevard der Dämmerung führen. Ringier in der Schweiz hat gerade die Einführung der Paywall für den Blick verschoben. Auch die britische Sun, das große Vorbild für den leibhaftigen Axel Springer, bastelt noch an ihrer Pay-Strategie. Reichweite, die harte Währung, will keiner leichtfertig riskieren, indem er Mauern errichtet. Beim Spiegel hat dieser Konflikt gerade zwei Chefredakteure den Posten gekostet. Döpfner und Neu-Nerd Diekmann haben in diesen Wochen viele Zuschauer in der Branche.

Volks-Bibel und Volks-Zahnbürste

Es geht auch darum, mit dem offenen Bereich von Bild.de möglichst viele Klicks zu erzielen, um Reichweite und Werbepreise zu stärken. Der Verlag, der schon in der analogen Welt von der Volks-Bibel bis zur Volks-Zahnbürste alles mögliche unter die Leute brachte, dürfte dank Diekmanns Fortbildungskurs viel ausprobieren, was Reichweite bringt. Fragt sich nur, welche Rolle der Journalismus in dieser Welt eigentlich noch spielt. "Eine dramatisch andere", sagt einer bei Springer. Das gedruckte Wort auf eine digitale Abspielfläche zu verlagern, sei nicht das Ziel. Boulevard sei schon immer mehr Bild und Ton als Text gewesen, sagt ein anderer. Für Bild sei der Schritt zur multimedialen Marke ein sehr viel logischerer als bei der Konkurrenz.

Vor vielen Jahren hatte Springer einmal sehr früh die sehr gute Idee, Bild in Bäckereien zu verkaufen. Das Prinzip, da zu sein, wo alle sind, soll nun das Netz übernehmen. Eine neue Bäckerei sozusagen.

Als der Spiegel kürzlich über 200 Stellen spekulierte, die durch den Umbau zum Digitalkonzern bei Bild wegfallen könnten, dementierte Springer zwar die Zahl. Richtig sei aber, dass man die digitale Transformation beschleunige und in multimedialen Journalismus investiere. Ob und in welchem Umfang Stellen abgebaut und wo wiederum aufgebaut werden, werde diskutiert. In den Redaktionen bei Bild hat das für große Aufregung gesorgt. Von Springer heißt es nun, man werde "für die Umsetzung der digitalen Transformation eher mehr als weniger Journalisten" benötigen.

Bundesliga als Zugpferd

Sehr konkret ist bereits das Abo-Modell für Bild. Die kostenpflichtigen Beiträge sollen dem Vernehmen nach in drei Preiskategorien zwischen 99 Cent und 14,99 Euro zu haben sein. Die Höhe richtet sich, wie es heißt, danach, auf welchen Geräten die Inhalte zum Kunden kommen: nur Online, über Apps auf Smartphone oder iPad, oder sogar auf Papier. Die Bundesliga kann nur buchen, wer auch ein Abo hat. Auf Anfrage wollte sich ein Sprecher des Konzerns zu den in der Branche kolportierten Preisen nicht äußern.

Ein Treiber für die Paywall bei Bild.de ist zweifelsohne der Fußball, der seit jeher im Boulevard die zentrale Rolle spielt, was man auch daran sieht, dass der einstige Sportchef Alfred Draxler mit Marion Horn die Geschäfte bei Bild führt, während Kai Diekmann im Valley Kapuzenpulliträgern nachstellt. Die Bundesliga soll ein Zugpferd von Bild Plus werden - und muss es wohl. Für etwa 24 Millionen Euro hat Springer beim Bieterpoker vor einem Jahr die Rechte fürs Internet eingekauft. Das muss refinanziert werden. Vier Jahre lang darf Bild.de nun von der kommenden Saison an Zusammenfassungen jeder Partie zeigen. Die Clips dürfen nur 90 Sekunden bis sechs Minuten lang sein und frühestens eine Stunde nach Abpfiff online gehen, bis Mitternacht muss jeder Abruf bezahlt werden, danach ist er gratis und werbefinanziert. Paid Content ist also keine Frage der Wahl, sondern schlicht Vertragspflicht.

Am Samstag ist Bild.de zehn Minuten früher dran als die Sportschau in der ARD um 18.30 Uhr. Natürlich gibt es Menschen, die den Vorsprung wichtig finden. Aber noch wichtiger ist das Rundumpaket. Die Aboerlöse, natürlich. Es gibt exklusive Werbepartner, klar. Vor allem aber passt der Coup in Springers Bewegtbildstrategie. Das Video-on-Demand-Angebot "Bildmovies" läuft seit Januar auf Bild.de, für 8,99 Euro hat der Nutzer Zugriff auf Blockbuster und US-Serien. Pläne für einen eigenen digitalen TV-Sender liegen bei Springer auf Eis, aber begraben sind sie keinesfalls. Während bei klassischer Bannerwerbung im Internet die Weiterklickrate bei gerade mal einem Prozent liegen soll, treffen virale Kampagnen einen ganz anderen Nerv bei den Nutzern. Um diese Anzeigenkunden anzuziehen, braucht es aber ein attraktives Umfeld. Daran baut man gerade.

Für die Bundesliga etwa wurde ein eigener Videoplayer entwickelt, rund um die Clips gibt es Laufweganalysen, Statistiken, Kommentare, Mitmachfunktionen. Das Prinzip ist modular, der Nutzer kann Inhalte über Facebook teilen, mit der Redaktion chatten, die angehalten ist, fortan zu bloggen, was das Zeug hält. Diekmanns Idee, dass die Grenzen zwischen Leser und Reporter verschwimmen, wird konkret. Bei Springer schwärmt man von einer "Männerspielwiese". Wie sich das verträgt, vom Berichterstatter zum Partner der Liga zu werden, fragt man sich nicht, vielleicht auch, weil Quote bares Geld bedeutet.

Größtes Risiko an Abomodellen ist der mögliche Verlust an Reichweite. Momentan ist Bild.de mit 273 Millionen Visits ganz vorne. Welt.de verzeichnete im November 2012 vor Einführung des Zahlmodells 47 Millionen Besuche, aktuell sind es 48 Millionen. Die Page Impressions, also die klassischen Klickzahlen, sanken im selben Zeitraum von 214 auf 194 Millionen.

Blogger oder Journalisten?

Die Branche hat darauf im Moment vor allem eine Antwort, die Phantasien befeuert: Die Einbindung von Bloggern, Gastbeiträgen und sozialen Netzwerken in die eigene Marke. Bei einer Präsentation vor Bild-Werbekunden soll kürzlich auch dieses Szenario für die Boulevardmarke die Rede gewesen sein - was Spekulationen um die künftige Rolle von Journalisten bei Springer weitertreibt. "Die journalistische Arbeit von Redakteuren wird nie durch - auf welchem Weg auch immer - generierten Content von Bloggern oder sonstige Social Media-Inhalte ersetzt werden", entgegnet ein Konzernsprecher.

Vieles an dem Grundrauschen rund um die Bild-Paywall ist vielleicht nur Storytelling für Kunden. Doch beim Branchenverband der Zeitschriftenverleger VDZ beobachtet man das sogenannte Contributor-Modell interessiert. Die Huffington Post, die nun mit Burdas Tomorrow Focus nach Deutschland kommt, setzt darauf - und ist umstritten. Die Blogger arbeiten meist ohne Honorar und bestreiten einen Großteil der Webseite. "Egal, welches Contributors-Modell möglicherweise sinnvoll ist, wir werden deshalb nicht auf Journalisten verzichten", heißt es bei Springer.

Die Huffpo "hat das Thema jetzt für unseren Markt nochmal richtig angeheizt", sagt VDZ-Geschäftsführer Stephan Scherzer. "Es gibt da draußen Spezialisten, die können vielleicht nicht immer die gradesten Sätze schreiben, aber sie können Themen bespielen, die eine Redaktion nicht abdecken kann", sagt er. Mit alldem taucht die Medienmarke dann als Treffer in Suchmaschinen auf, das bringt Klicks. Das US-Wirtschaftsmagazin Forbes hat inzwischen mehr als 3000 Blogger und "eine Top-Reichweiten-Story in den USA". Das Magazin bezahlt seine Top-Blogger zudem nach dem Anzeigenerlös, der Reichweite und der Qualität, die ihr Traffic erzeugt.

Dass Kai Diekmanns neuer Held Lewis DVorkin von Forbes kommt, ist sicher nur Zufall.

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