Olympia-Attentat von 1972 im ZDF:Kein Heimspiel

Elf israelische Athleten, ein deutscher Polizist und fünf palästinensische Terroristen kamen ums Leben: Das ZDF dreht derzeit den ersten deutschen Spielfilm über das Olympia-Attentat von 1972. Die Geschichte eines kollektiven Scheiterns, verfilmt von einem Israeli - dem Regisseur Dror Zahavi.

Katharina Riehl

Die Essener Polizeibeamtin Anneliese Graes ist nie eine berühmte Frau geworden. In den nun bald 40 Jahren nachdem bei den Olympischen Spielen von München elf israelische Athleten, ein deutscher Polizist und fünf palästinensische Terroristen ums Leben kamen, nutzten der Münchner Polizeichef Manfred Schreiber und der bayerische Innenminister Bruno Merk mehrfach die Gunst diverser Interviews, um aktiv an der eigenen historischen Bewertung mitzuwirken. Von Anneliese Graes, der Frau, die in den Stunden der Geiselnahme am direktesten mit dem Anführer der Terroristen in Kontakt stand, ist nur ihr Name und ein Satz überliefert: Er, der Terroristenchef Issa, sei stets "höflich und korrekt" zu ihr gewesen.

Olympia-Attentat von 1972 im ZDF: Hübsche Kostümchen anstelle von Waffen - Münchens Sicherheitskonzept hatte versagt. Rainer Bock, Bernadette Heerwagen, Stephan Grossmann, Heino Ferch und Shredi Jabarin (im Bild v.l.n.r.) verkörpern die wichtigsten Rollen der ZDF-Produktion, die 2012 ausgestrahlt wird.

Hübsche Kostümchen anstelle von Waffen - Münchens Sicherheitskonzept hatte versagt. Rainer Bock, Bernadette Heerwagen, Stephan Grossmann, Heino Ferch und Shredi Jabarin (im Bild v.l.n.r.) verkörpern die wichtigsten Rollen der ZDF-Produktion, die 2012 ausgestrahlt wird.

(Foto: ZDF/Heike Ulrich)

An einem Sommertag im Jahr 2011, keine zwei Stunden nachdem das IOC im südafrikanischen Durban entschieden hat, dass die Olympischen Spiele von 1972 vorerst die einzigen Spiele in München bleiben werden, steht Bernadette Heerwagen auf einer Böschung oberhalb der Conollystraße 31 und sagt: "Als ich mich auf die Rolle vorbereitete, dachte ich erst, ich muss eine angsterfüllte Frau spielen. Aber dann habe ich gemerkt, dass das völlig falsch wäre."

Bernadette Heerwagen, blond, sehr schlank, 34 Jahre alt, trägt etwas, das aussieht wie eine sehr niedliche Stewardessen-Uniform: ein himmelblaues Röckchen. In Himmelblau waren 1972 alle Olympia-Sicherheitskräfte gesteckt worden, damit das alles möglichst anders aussähe als 1936 in Berlin.

Im olympischen Dorf dreht Nico Hofmanns Produktionsfirma Teamworx den Spielfilm München 72, der 2012, zum 40. Jahrestag der Katastrophe, im ZDF zu sehen sein wird. Es ist der erste deutsche Spielfilm zu diesem Thema, und der erste überhaupt, der am Originalschauplatz entsteht. Bernadette Heerwagen spielt Anneliese Graes, jene Polizistin aus dem Ruhrpott, die sich - wie alle von den Ereignissen überrumpelt - an jenem 5. September 1972 bereiterklärte, persönlich mit den Terroristen zu verhandeln. Im Film heißt sie Anna Gerbers, wahrscheinlich auch, weil ihr das Drehbuch noch eine Liebesgeschichte angedichtet hat.

Spielbergs Film beginnt dort, wo München 72 aufhört

München 72, eine Fiktion über den ganz großen Fehlschlag der deutschen Behörden auf dem Boden der Tatsachen, über den größten denkbaren Unglücksfall in der deutschen Nachkriegsgeschichte, ist kein einfaches Projekt - was auch ein Grund dafür sein dürfte, dass sich bisher keiner wirklich daran versucht hat. Natürlich war da Steven Spielberg, der 2005 einen Film in die Kinos brachte, der Munich hieß, aber weder in der Stadt gedreht wurde, noch wirklich dort spielt. Munich ist die Geschichte des israelischen Rachefeldzugs nach dem Attentat. Man kann sagen, dass Spielbergs Film dort beginnt, wo München 72 aufhört.

Es komme selten vor, dass zu einem historischen Ereignis dieser Tragweite nur so wenige fiktionale Filme existieren, sagt Ariane Krampe, die Produzentin. Aber München 72 sei natürlich auch keine Heldengeschichte, sondern die Geschichte eines kollektiven Scheiterns. Es dürfte wenige Szenen im Drehbuch und in den historischen Dokumenten geben, die dieses kollektive Scheitern so verdeutlichen wie jene Szene, die an diesem Sommertag in der Conollystraße gedreht wird. Die Geiseln sind bereits ein paar Stunden in Gefangenschaft. Der Krisenstab um Polizeichef Schreiber, gespielt von Heino Ferch, um Bundesinnenminister Hans-Dietrich Genscher und Bruno Merk hat sich vorgeblich mit dem Anführer Issa darauf geeinigt, Geiseln und Geiselnehmer mit einem Bus zum Flughafen Fürstenfeldbruck zu bringen, um eine Ausreise nach Ägypten zu ermöglichen. Man plante jedoch, die Terroristen in der Tiefgarage, auf dem Weg zum Bus, zu überwältigen.

Probegang in die Tiefgarage

Issa, der Verhandlungsführer der Palästinenser, bittet Schreiber, Genscher, Merk und die Polizistin Gerbers um einen Probegang in die Tiefgarage. Und weil Schreiber weiß, dass unten die Scharfschützen bereitliegen, brüllt er diesen unglaublichen Satz in den hallenden Raum, der einem zunächst nicht in den Kopf und dann - nach rund 30 Klappen - erst recht nicht wieder herausgehen will. Schreiber also, einen Meter vor dem Terroristen laufend, ruft: "Nicht schießen! Das ist ein Probegang!" Das Deutsch des Geiselnehmers reicht, um zu verstehen, was da mit ihm gespielt wird.

Sieht man heute Interviews mit Schreiber oder Merk, zum Beispiel in der ZDF-Doku Der Olympia-Mord von 2006, sprechen zwei alte Männer darüber, wie sie eigentlich alles richtig gemacht haben. Heino Ferch sagt, dass er es "bemerkenswert" findet, wie Schreiber "auch heute, im Nachhinein, über die Ereignisse spricht und gar keine Fehler sieht. Wie er noch heute sagt: Was hätten wir denn machen sollen?" Heino Ferch nimmt das mit in die Rolle. "Das ist jemand, der die meiste Zeit denkt, dass er das Richtige tut, dass die Entscheidungen, die getroffen werden, die richtigen sind."

Manfred Schreiber heißt im Film Dieter Waldner. Man kann wohl davon ausgehen, dass seine Figur etwas heikel zu inszenieren ist. In der Szene, die an diesem Abend entsteht, trägt der Polizeichef eine große Sonnenbrille, auch in der dunklen Tiefgarage. Die Sonnenbrille soll historisch überliefert sein - doch egal ob das stimmt, wirkt sie wie ein geschickt gesetztes Accessoire, ausgewählt, um seine Unnahbarkeit und einen gewissen Mangel an Feingefühl zu unterstreichen.

Für den Dreh ist an diesem Abend die Durchfahrt in der Tiefgarage gesperrt. Alle paar Minuten, wenn sich zu viele genervte Autofahrer an den Ein- und Ausfahrten stauen, wird der Dreh unterbrochen. Manchmal auch früher, wenn einer in seinem Auto die Geduld verliert, wenn plötzlich eine Hupe durch die sonst so ruhige Szenerie dröhnt, oder sich jemand weigert, den Motor auszustellen.

Man kann nicht behaupten, dass die Bewohner des Olympiadorfs sich um die Dreharbeiten hier gerissen hätten. Ariane Krampe erzählt, wie die Produktionsfirma über Wochen mit den Anwohnern verhandelt hat. "Am Ende", sagt sie, "gab es eine außerordentliche Eigentümerversammlung. Das war eine dreistündige Sitzung, manche Anwohner waren vehement gegen Dreharbeiten, viele aber auch sehr dafür." Eine einfache Mehrheit der rund 50 Anwesenden habe dann glücklicherweise gereicht. Die verhaltene Begeisterung einiger Anwohner lässt sich zum Teil sicher mit Lärm und Tiefgaragenstaus erklären. Die eigene Wohnung als Ort islamistischen Terrors, toter jüdischer Athleten und des deutschen Scheiterns im Fernsehen zu sehen, mag aber wahrscheinlich auch nicht jeder.

München 72 ist kein Mogadischu

München 72, so komisch das klingt, ist kein Mogadischu. Die Geschichte der 1977 von RAF-Terroristen entführten Lufthansa-Maschine Landshut hat Teamworx bereits vor drei Jahren für die ARD verfilmt: Am Ende dieser Geschichte steht die glückliche Rettung aller Geiseln durch eine Aktion der GSG9. Die Grenzschutzgruppe 9 übrigens - und so lässt sich ohne weiteres sagen, dass Nico Hofmann und das Fernsehen auf bestem Wege sind, die deutsche Nachkriegsgeschichte bald lückenlos aufgearbeitet zu haben - wurde am 26. September 1972 als Reaktion auf das Olympia-Attentat gegründet.

Die Geschichte der Toten von München ist ein Stoff, der - auch das wahrscheinlich mehr als der Kampf zwischen RAF und der Bundesrepublik - politisch bis heute nachwirkt. Nicht nur in Deutschland, besonders in Israel weiß jedes Schulkind, was damals, 1972, in München passiert ist. Er habe lange überlegt, warum man diesen Film macht, sagt Regisseur Dror Zahavi. Und dass er sich gefragt habe, welche Botschaft man im Jahr 2011 in die Welt schicken wolle. Dror Zahavi stammt aus Israel, dreht aber seit Jahren in Deutschland. Er hat für Teamworx unter anderem bereits Die Luftbrücke inszeniert, einen Film über die Entbehrungen im geteilten Berlin der Nachkriegszeit; eine sehr deutsche Geschichte. Mit München 72 dürfte er mehr Persönliches verbinden.

Deutsches Versagen

Dror Zahavi sagt, er habe sich nur deshalb für den Film entschieden, weil die Geschichte darin so streng aus der deutschen Perspektive erzählt wird. Weil, so meint er das wohl, der Film sich so auf keine Seite schlagen muss - weder auf die der israelischen Opfer noch auf die der brutalen, aber zum Teil natürlich auch selbst verzweifelten Täter. In seinem Film, sagt er, gehe es nur um die Geschichte des deutschen Versagens.

Der Regisseur aus Israel hat sich auf dem Olympiagelände einen Mikrokosmos geschaffen, von dem er selbst sagt, dass er der Wirklichkeit von damals sehr nahe komme. Alle israelischen Geiseln werden von Israelis gespielt, alle Palästinenser von Palästinensern. Das Team hat im Nahen Osten ein Casting für diese Rollen veranstaltet. Man muss sich also vorstellen, wie Israelis und Palästinenser am Set aufeinandertreffen, die einen mit schweren Waffen in der Hand, die anderen in einen Raum gepfercht, und es ist ja nicht so, dass sich die politische Lage im Nahen Osten in den vergangenen vier Jahrzehnten besonders entspannt hätte.

"Für die israelischen Schauspieler ist das sehr hart zu drehen", sagt Zahavi. Und es sei interessant, welch eine Dynamik es am Set gebe. "Es gibt politische Diskussionen, in denen manche auf einmal ganz andere Positionen einnehmen, als sie eigentlich haben." Manche seiner palästinensischen Darsteller seien am Set überhaupt das erste Mal mit Israelis in Kontakt gekommen.

Wie schwierig es ist, dieses deutsche Versagen zu bewerten, zeigt der Film anhand der Figuren, die von Heino Ferch und Bernadette Heerwagen gespielt werden. Als München sich auf seine Olympischen Spiele vorbereitete und sein Sicherheitskonzept erstellte, war das Ziel vor allem, dass man der Stadt ihr Sicherheitskonzept nicht ansehen möge. Man entschied sich für Polizisten mit hübschen Kostümchen anstelle von Waffen. Gegen mögliche Demonstranten sollten Dackel und Blumen helfen, man ging von einer gewissen beruhigenden Wirkung aus. Und Bernadette Heerwagens Polizistin geht auf die Terroristen zu und erklärt ihnen, dass es doch keine Lösung sei, immer neues Blut zu vergießen.

Auf der einen Seite der Katastrophe steht der unbedingte Wille einer Stadt, die fröhliche, friedliche Spiele wollte und das Gegenteil bekam. Da steht eine aus heutiger Sicht fast unglaubliche Naivität, mit der die Organisatoren glauben wollten, dass alles sicher genug sei. Bernadette Heerwagen sagt, und damit hat sie natürlich irgendwie recht, das sei ja auch eine schöne Naivität gewesen.

Einfach vom Tisch gewischt

Auf der anderen Seite steht das, was Heino Ferch an diesem Tag am Set als "Chuzpe" bezeichnet, wenn er über sein Rollenvorbild Schreiber spricht. Er, Schreiber, habe erst kurz vor den Ereignissen bei den Spielen mit einem Polizeipsychologen zusammen eine Geiselnahme bravourös gelöst. Ferch sagt: "Mich hat es dann doch gewundert, mit welcher Chuzpe er ein mögliches Szenario und mögliche Gefahrenmomente, die von anderen Leuten skizziert wurden, vom Tisch gewischt hat."

Manfred Schreiber machte später, lange nach den Ereignissen in München, im Bundesinnenministerium Karriere. Anneliese Graes ging wahrscheinlich nach Essen zurück, man weiß es nicht. Von ihr gibt es nur ein paar Bilder und Videoaufzeichnungen von damals. Man kann sie darauf zusammen mit den Terroristen sehen. Sie lehnen gemeinsam an der Wand und rauchen.

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