Olympia-Abfahrt im ORF:"Matthias hod de großn Kaliber paniert!"

Olympia Sotschi Abfahrt Matthias Mayer

Jubelsprung: Matthias Mayer (M.) ist nun ein Held in Österreich. Christof Innerhofer (l.) und Kjetil Jansrud gratulieren.

(Foto: REUTERS)

Für den österreichischen Sport ist die Männer-Abfahrt bei Olympia das Größte, und dann gewinnt Matthias Mayer aus Kärnten. Auch die Übertragung im ORF ist goldreif, es gibt die ganz großen, herzlichen Gefühle. Samt Tränen, Rosenkranz und Armin Assinger.

Von Thomas Hummel

Dieser österreichische Tag geht um 8 Uhr damit los, dass ORF-Moderator Oliver Polzer den Zuschauern rät, sich noch schnell ein Semmerl zu schmieren, aber dann beim Schlucken aufzupassen. Denn das "ist der Tag des Herren, der Tag der Herren." Es ist Sonntag, die Männer-Abfahrt der Olympischen Spiele steht an. Es ist für Österreich der größte vorstellbare Tag.

Er wird damit enden, dass das Volk um 10 Uhr freudig in die Kirche geht, weil einer der ihren der schnellste Skifahrer der Welt ist. Dass Bundeskanzler Werner Faymann im Zielraum ins Mikrofon ruft: "Wir sind wahnsinnig stolz auf unseren Helden." Und dass Ko-Kommentator Armin Assinger vor laufender Kamera vor Rührung nasse Augen bekommt.

Matthias Mayer aus Kärnten ist Abfahrts-Olympiasieger. Was das für Österreich bedeutet? Etwa so viel, wie für Deutschland der Sieg bei der Fußball-WM. Für Indien der Sieg der Cricket-WM. Für Neuseeland der Sieg der Rugby-WM. Es ist einfach das Größte.

Wie groß die Abfahrt in Österreich ist, zeigt die Karriere des Ko-Kommentators Armin Assinger. Seit 1995 arbeitet der frühere Skifahrer als Experte im ORF. Mit seiner kernigen, erdigen, emotionalen Art im vollen Kärntner Dialekt ist er zum Günther Jauch des österreichischen Fernsehens aufgestiegen, moderiert Wer wird Millionär im ORF und hat schon etliche Preise gewonnen. Warum? Im Folgenden ein paar Kostproben von diesem Samstag (in Klammern kleine Übersetzungen für Piefke und andere Nicht-Österreicher):

Mit der Nummer vier kommt der Spanier Ferran Terra: "Da sigst (siehst du), wia a vermeintlicher Exot da obablost (hinunterbläst). Das Herz, das der Burschi (Junge) mitbringt, ist das eines Torreros."

Bei der Fahrt von Matthias Mayer überschlagen sich Polzer und Assinger im ORF-Studio. Als Mayer oben einen Fehler macht, orakelt Assinger: "Aber waaßt eh (du weißt), der klane (kleine) Fehler war vielleicht guad, jetzt waaß er, da muaß i olles riskiern." Mayer wird immer schneller, liegt bald vorne und fährt auf den letzten Metern, da wird es laut: "Schau, wia der einifightet (sich reinkämpft). Bitte a Anser, bitte a Anser (die Eins auf der Anzeigetafel)! Mach die klan! Woll! Woll! Woll!" Mayer ist zehn Hundertstel Sekunden schneller als der Norweger Kjetil Jansrud: "Ja! Uh! Gott sei Dank!"

Es beginnt die Zeit des Wartens, eine lange Zeit, denn die großen Favoriten kommen ja noch. Aber Bode Miller geht die Kraft aus, als auch der Norweger Aksel Lund Svindal verspätet ankommt, schreit Assinger: "Matthias hod de großn Kaliber paniert, er is no immer vurn (vorne)!"

Das Rennen steht "Kopf auf Spitz"

Am nächsten kommt Mayer der Italiener Christof Innerhofer. Praktisch gleichauf liegt dieser während seiner Fahrt. Assingers Emotionen erinnerten an Olympia 2006 in Turin, wo ihn die späte Niederlage von Michael Walchhofer schwer mitnahm. Assinger läuft auch diesmal zur Höchstform auf. Er warnt das Publikum: "Der is sehr laut, sehr laut! Innerhofer ist konditionell a Kraftwerk. A Reaktor." Oben fahre er "jetz a mal entfesselt". Als bei der letzten Zwischenzeit nur noch eine Hundertstel zwischen Mayer und Innerhofer liegt, stehe das Rennen "Kopf auf Spitz". Im Ziel ist Innerhofer sechs Hundertstel zu langsam, "a Wahnsinn!!!" für Assinger.

Im Zielraum führt wie immer der rührige Rainer Pariasek die Interviews. Er sagte einmal, dass Sportreporter sein Kindheitstraum gewesen sei, und genauso freut er sich nun auch, mit den Helden Aug in Aug sprechen zu dürfen. "Abfahrts-Olympiasieger - wie klingt das? Ist des ned wie ein Traum?" fragt er Matthias Mayer bei einem von drei Interviews noch während des Rennens. Der 23-Jährige, der noch nie ein Weltcup-Rennen gewonnen hat, kann nur zurückgrinsen, zu gehaltvollen Aussagen ist er noch nicht fähig. Pariasek wird heimelig, familiär. Ob ihm denn sein Vater, auch ein berühmter Rennfahrer, Tipps gegeben habe. Mayer: "Na, kane (keine) großn Tipps. Obafahren (hinunterfahren) und schaun, dass'd schnell bist" habe der geraten. Das hat beckenbauerisches Ausmaß.

Als dann endlich der letzte ernstzunehmende Fahrer im Ziel ist und Mayer als Olympiasieger feststeht, schwanken Moderatoren, Interviewer und Interviewte nur noch mit ihren Gefühlswallungen durch den Bildschirm. Es sind nun die ganz großen, die ganz herzlichen österreichischen Emotionen. Polzer wirft einen Blick auf Mayer im Zielraum: "Da hupft a. Entweder, er muss aufs Klo oder er freut sich. Wo ist die Mama?" Die kommt wenig später in den Übertragungsraum und kann kaum sprechen, so ergriffen ist sie. Sie hält einen Rosenkranz samt Kreuz in der Hand und erklärt: "Mia san beschützt." An diesem Tag ist selbst der Herrgott Österreicher.

Assinger kommt sich vor, "wia da Edi Finger beim Kommentieren damals in Cordoba (als die Austria-Fußballer die Piefke schlugen, Anm.d.Red.). "Mia bussln uns ab (wir knutschen uns ab), hod er gsagt." Ob er Oliver Polzer oder die Mama Mayer gebusslt hat, ist nicht überliefert, aber vorstellbar ist in diesem Moment alles.

Die nationale Dimension des Tages darf auch nicht fehlen. "Gratuliern wir uns zu dem Burschn, dass wir Österreicher so an Burschn hobn", ruft Assinger nach Hause in die Wohnzimmer. Unten bei Pariasek steht dann nicht nur der Bundeskanzler, sondern auch der Sportminister. Gerald Klug frohlockt: "Die ganze Republik ist stolz auf die Athleten, wir sind auch international geachtet."

Ein Boykott der großen österreichischen Politik kommt bei Winterspielen nicht infrage, zu stark ist der Glanz der siegreichen Sportler. Und zu stark hat auch laut einem Bericht der Zeitung Der Standard die österreichische Wirtschaft mit ihrer Expertise für Bergbahnen und Hotelbauten von diesem Olympia profitiert, als dass sich nun Faymann und Co. mit den Russen anlegen könnten. Das wäre dann doch zu scheinheilig.

So erklärt Peter Schröcksnadel, einflussreicher Präsident des österreichischen Skiverbands, der vor Sotschi in Interviews politische Kritik an Russland als "Unsinn" bezeichnete und sogar Verständnis für das Gesetz gegen die "Homopropaganda" äußerte: "Ich freue mich, dass die Politik zu unseren Athleten steht."

Am Ende sind wirklich alle glücklich mit diesem Ereignis am Sonntagmorgen in Österreich. Und um 17.30 Uhr ist die Medaillenübergabe. Natürlich live im ORF.

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