ARD-Film über den NSU:Arbeit am deutschen Terror

Mitten in Deutschland: NSU - Die Täter

"Als wären das Klassenkameraden von mir": Uwe Mundlos (Albrecht Schuch, l.), Beate Zschäpe (Anna Maria Mühe, Mi.) und Uwe Böhnhardt (Sebastian Urzendowsky).

(Foto: SWR/Stephan Rabold)

Die ARD nähert sich in drei Fernsehfilmen dem NSU-Komplex. Doch wie erzählt man diese Geschichte? Unser Autor hat den Regisseur bei den Dreharbeiten begleitet.

Von Cornelius Pollmer

Der Plan lautet, Christian Schwochow und die Entstehung seines NSU-Films eineinhalb Jahre lang zu begleiten, aber schon nach einem Tag fragt man sich als Begleitender sehr ernsthaft, ob das überhaupt durchzustehen ist. Ein Berliner Gewerbehof, August 2014. Auf dem Sperrholzboden der Casting-Agentur liegen rote Sitzwürfel, schöne junge Menschen lungern herum, die Grundstimmung: heiter. Aus dem Nichts aber kippt alles um, von null auf Nazi in drei Sekunden, Uwe I greift Beates Kopf, knallt ihn gegen eine Scheibe, Beate schluchzt. "Hör' auf zu heulen, ein deutsches Mädchen heult nicht", sagt Uwe II. Kurz darauf einigen sich die drei auf ein Versöhnungs-Sieg-Heil und, das bitte nicht vergessen: "Hass! Hass! Hass!"

So also beginnt jener Tag, an dessen Ende man zwei Beates und neun Uwes gesehen hat, man hat alle Bewerber für die Rollen schreien gehört und hassen gespürt - gelenkt und befehligt von Christian Schwochow, 37, der als wohltemperierter Kavalier zwischen den Würfeln sitzt und sich auch für das grässlichste Sieg Heil noch höflich und leise bedankt. Wie, bitte, wird das alles nun auszuhalten sein? Die Antwort gibt es in Jena, Februar 2015, fünf Uhr früh, im - warum auch nicht - Kleiderschrank eines Hotelzimmers.

Wie empathisch darf man sich dem Trio nähern? Kann es funktionieren?

Die Nacht hat Jena schon vor Stunden verstummen lassen, aber Schwochows Crew klimpert und rangelt weiter fröhlich durch die Hotelbar. In preußischer Dienstbarkeit stiefelt die komplett bedauernswerte Nachtwächterin alle halbe Stunde in den Keller und schafft neuen Wein heran. Thüringen ist bald ausgetrunken, Sachsen-Anhalt wird knapp, und, bitte, meine Herren, um vier Uhr kommt das Reinigungspersonal. Also ab nach oben, irgendein Zimmer, Led Zeppelin an. Ein besonders lustiger Vogel versteckt sich im Schrank, und als Schwochow etwas nachzüglerisch ins Zimmer schlurft, kommt das Vögelchen mit großem Showbühnen-Hallo aus der furnierten Flügeltür. Schwochow, angemessen spöttisch: "So geht also Film?"

Mit so einem Effekthaschmich geht Film bei Schwochow natürlich nicht. Aber man hat nun, zwischen Casting und Kleiderschrank, etwas mehr von einem handlungsleitenden Prinzip verstanden, mit dem der Regisseur Christian Schwochow seine Filme erarbeitet. Das Prinzip lautet - mit schönen Grüßen in den Weinkeller des Hotels "Schwarzer Bär": volle Pulle. Alle Energie einbringen, alle Gedanken denken, alles erst mal zulassen, die Schwere des Stoffs genauso wie den Ausgleich nach Dienstschluss - schneiden und schlafen können wir dann ja immer noch.

Die ARD hat eine Trilogie zum NSU in Auftrag gegeben, jener terroristischen Vereinigung, die jahrelang mordend durchs Land gezogen ist.

Christian Schwochow erforscht in seinem ersten Teil das Zusammenfinden und Abgleiten von Zschäpe-Mundlos-Böhnhardt. "Die Täter - Heute ist nicht alle Tage" heißt der Film, bei dessen Entstehen zwei Fragen unausweichlich immer wieder auftauchen: Wie empathisch darf man sich dem Trio nähern? Und kann es überhaupt funktionieren, Geschichte zu verfilmen, die nicht nur juristisch noch gar nicht aufgeklärt und abgeschlossen ist? Schon beim Casting für die Hauptrollen sagt Christian Schwochow: "Ich muss versuchen, eine Annäherung zu finden, als wären das Klassenkameraden von mir." Er wolle kein Biopic machen, die Biografien der drei stünden doch für so viel mehr als nur sich selbst - etwa für eine Gesellschaft, in der auch Christian Schwochow groß geworden ist. Ihn und Zschäpe trennen nur drei Jahre, er wuchs in Leipzig und Ostberlin auf. Als Schwochow ein paar Jahre nach dem Mauerfall das erste Mal Buchenwald besuchte, schrieb er hinterher ein Gedicht: "Appellplatz".

Schwochow hätte es sich als Filmrichter nun ziemlich bequem machen können in der Distanz zu den Angeklagten. Er hätte das Zusammenrotten des NSU als irgendwie zwangsläufig beschreiben können, ein logisch wachsendes Böses. Er hat stattdessen nicht nur die Distanz definiert, sondern auch nach Leben und Liebe und Gefühl in der Zeit vor dem Terror gefragt. Christian Schwochow sagt, er habe zunächst gezweifelt, ob dieser Weg funktionieren könne, doch dann sei er das erste Mal beim Prozess gewesen, Beate Zschäpe habe eine Protokollantin angelächelt, und "das war so warm, da hatte ich keine Fragen mehr, da war klar: Die muss auch mal ein fröhliches Mädchen gewesen sein."

Kein Schlüsselmoment, aber ein Schlüsselfilm

Ein Regisseur bezieht zwangsläufig Position, Schwochow tut dies in "Heute ist nicht alle Tage" eher als vorsichtiger Jugendrichter. Recht und Moral bleiben unverhandelbar, aber man wird sich ja wohl noch interessieren dürfen für die Frage, warum Menschen beides so gewaltig missachten. Empathie ohne Verharmlosung, das ist in diesem Projekt schon die frühe Versuchsanordnung. Sie führt zum Schreien und Hassen beim Casting wie auch in späten Stunden zur Hotelbar, wo für einen Moment auch der verwegene Gedanke erlaubt ist: Wäre man dem Mädchen Beate begegnet, hätte man knutschen wollen?

In "Heute ist nicht alle Tage" gibt es nicht die Schlüsselszene oder den Moment, der einem vorgaukelt, alles Folgende zu erklären. Es ist vielmehr ein Schlüsselfilm geworden, er erzählt viel Alltägliches - in der berechtigten Hoffnung, dass es einen als Zuschauer gerade deswegen am Ende besonders heftig schüttelt.

Insofern kommt man womöglich doch gerade richtig, als Christian Schwochow einen im April 2015 mit dem Hinweis am Set begrüßt, gleich werde "die wohl unspektakulärste Szene des gesamten Films" gedreht. 15 Komparsen sind als triste Kostümparty aus der Maske gekommen, Motto: arbeitslose Ossis. Anna Maria Mühe trottet als Beate Zschäpe hinzu, sie wartet ein wenig mit den Verlorenen im Arbeitsamt, Cut.

Die junge NSU-Geschichte verfilmen, geht das überhaupt?

Schon in dieser kleinen, leisen Tristesse und in dem ziemlich überzeugenden Fick-dich-Blick der wartenden Mühe/Zschäpe liegt eine Grundstimmung des Films, sie schwillt noch an in der Szene darauf. Zschäpe kommt als Kundin in den Raum einer Sachbearbeiterin, Vorname Sandra. Sandra ist Beates Weggefährtin aus wilden Das-Leben-beginnt-Tagen, sie hat eine Ausbildung beim Amt begonnen und damit eine Ausbildung in Normalität. Mit Beate steht nun auch die absolute Beklemmung im Raum, ein einerseits schuldhaftes Bewusstsein für eigene Fehler, das eigene Zurückbleiben. Andererseits: Arbeitsamt, Ausbildung, das kann es doch irgendwie auch nicht sein, oder?

Diese Berührungspunkte mit Normalität entfalten in "Heute ist nicht alle Tage" eine ganz besondere Wirkung und sie führen immer wieder zur zweiten großen Frage dieser Dreharbeiten: Diese noch junge und verworrene Geschichte des NSU zu verfilmen, geht das überhaupt?

Ein grauer Mittwoch im Mai, Jena-Lobeda, letzter Drehtag. Es wird langsam schwer, Realität und Film, Vergangenheit und Gegenwart auseinanderzuhalten und das liegt an allen Beteiligten. Das Silbenwort Pegida gehört ja inzwischen zum Standardvokabular des Landes und bald wird es im Internet Karten von Anschlägen geben, als grafischen Versuch, die steigende Zahl von Angriffen auf Asylbewerberunterkünfte irgendwie adäquat abzubilden.

In der Binswangerstraße in Jena sammeln sich an diesem Tag Rechtsradikale in vollem Ornat, noch eine rauchen, dann zieht der Treck los und brüllt: "Nationalismus raus aus den Köpfen!" Eine Demonstrations-Szene soll gedreht werden, die Film-Rechten dafür wurden hauptsächlich in echt-linken Kreisen rekrutiert. Schwierige Scouting-Frage an die Linken: Wollt ihr die harten Schläger spielen? Antwort: Ey, nehmt bloß keine Nazis dafür, da machen wir das lieber selbst.

Die Bezüge vermischen sich weiter, als einer der Komparsen Sebastian Urzendowsky anspricht. "Hier, du spielst doch den Böhnhardt, oder?" Urzendowsky: "Ja." Komparse: "Der hat mir früher mal auf die Fresse gehaun."

Die Bezüge vermischen sich auch am Straßenrand, echte Anwohner stehen neben Anwohner-Komparsen, aus den Fenstern schauen Menschen ungerührt und trüb auf den radikalen Treck da unten und an der nächsten Ecke wartet schon ein kleines Mädchen mit einer Frage. Es trägt sie vor mit dieser zum Ende lang gezogenen Kinderstimme: "Wo geht ihr denn hi-in?" Ein Film-Rechter antwortet: "Wissen wir selber nicht!"

Rassismus als Alltagsphänomen

Alles kommt einem vor wie eine Parabel auf das sich gerade aufladende Land, die Pointe liegt als Schaumstoffklumpen am Wegesrand. In der Szene soll ein Pflasterstein auf einen Balkon geworfen werden, und als sich bei den ersten Versuchen auf dem Balkon niemand so recht davor gruselt, unterbricht Christian Schwochow und ruft nach oben: "Duckt euch, nehmt den Stein bitte mal ernst!"

Während der Prozess gegen Beate Zschäpe noch läuft, muss der Film fertig werden

Mühe, Urzendowsky und Albrecht Schuch, der Uwe Mundlos spielt, berichten in den Drehpausen von verqueren Träumen, die sich in ihre Nächte geschlichen haben. Christian Schwochow erzählt, wie in kleiner Gruppe für ein zu filmendes Rechtsrock-Konzert eigens Musik komponiert wurde. Der Song eines Liedermachers, "Taten statt Worte", ging bald auf gespitzten Lippen am Set spazieren, Ohrwurmgefahr, und als die Szene abgedreht war, brüllten die Clubkomparsen immer wieder: Nazis raus - eine kollektive Austreibung der aus professionellen Gründen gerufenen Teufel.

Sebastian Urzendowsky hat diese Teufel sehr konkret erfahren, er sagt, nach den Takes sei alles immer viel gruseliger. "Wenn du drinnen stehst, in der Gruppe, dann geht's, da machst du Witzchen und es fühlt sich nicht so schlimm an. Wenn du zu grölen anfängst, dann ist der Kopf eh aus."

Daran wird man sich erinnern, wenn man in den Monaten danach die kleinen Schlachtfelder bereist, die sich im vergangenen Jahr in Deutschland gebildet haben, in Freital oder Heidenau, wo die Steine nicht mehr aus Schaumstoff waren und die Grölenden keine Komparsen.

Der Film gerät auf diese Weise in Gleichzeitigkeiten, Parallelen, Artverwandtschaften. Während der Prozess gegen Beate Zschäpe noch läuft, während die Zahl rechter Übergriffe weiter steigt, muss "Heute ist nicht alle Tage" fertig werden. Christian Schwochow sagt, er habe sich gar nicht so sehr um Überraschungen im NSU-Prozess gesorgt. "Dass es in eine ganz andere Richtung geht, das mussten wir eigentlich nicht befürchten, dafür wissen wir schon zu viel über die Vorgeschichte." Eher noch plagten ihn juristische Fragen, was darf man sagen, zeigen, insinuieren, was nicht?

"Heute ist nicht alle Tage" erzählt oft dokumentarisch von den jungen Tagen des Trios, die sanft dauerlaufende Kamera von Frank Lamm will es so. Und nun beruhe der Film zwar "auf unfassbar viel Recherche und damit auf Fakten", sagt Schwochow, "aber er beruht eben auch auf Annahmen und Interpretationen". So wurde bei der Erarbeitung des Drehbuchs diskutiert, ob Beate Zschäpe im Film selbst eine Bombe bauen solle - sie tut es nun nicht. Einzelfallentscheidung. Grundsätzlich aber gelte: "Es ist zu Morden gekommen, und wenn man über Radikalisierung redet, dann muss man sie benennen und zeigen und dann müssen wir auch Leerstellen füllen dürfen."

Die verfugten Leerstellen ergeben dann gerade das Bild einer Gesellschaft

Mit den verfugten Leerstellen ergibt sich das Bild einer Gesellschaft, in der Rassismus zu einem oft ungeahndeten Alltagsphänomen heranwächst. Das galt nicht nur in dem Jahrzehnt, in dem der Wartburg tuckerte, Jeans verwaschen waren und Diddl-Mäuse an Rucksäcken baumelten.

Die gegenwärtige Radikalisierung von Sprache und Straße bringt, kalt betrachtet, erst einmal auch Aufmerksamkeit für den Film. Christian Schwochow will mit "Heute ist nicht alle Tage" auch Botschaften in diese Gegenwart senden. Eine davon lautet, die "sanfte Radikalisierung", die der Film nachzeichnet, nicht allein als ostdeutsches Randphänomen abzutun - und auch nicht als zufällige Einmaligkeit. Gerade weil dieser erste Teil auch empathisch ist, kann diese Botschaft durchdringen. Und wer darin nun trotz der Umsichtigkeit Schwochows eine Feierstunde für rechte Schläger und zukünftige Mörder sehen sollte, der macht es sich ein wenig zu einfach. Denn, Gegenfrage: Wäre eine knallkonsequente Dämonisierung der bessere Weg, sich dem NSU-Komplex filmisch zu nähern? Christian Schwochow sagt: "Die Nazis feiern sowieso alles, was man macht, und sie feiern am meisten, wenn man sie kritisiert für ihr Denken, ihr Außenseitertum. Am gefährlichsten wird es für sie, wenn man sie ernst nimmt."

Die Selbstzensur hat Schwochow jedenfalls unterlassen, sie wurde dann eher kurz zur Aufgabe der Darsteller. Noch einmal zum letzten Drehtag, letzte Klappe, eine letzte Zweitaktergemischwolke aus dem Auspuff des Wartburgs. Es gibt Applaus für die Hauptdarsteller und dann, endlich, Nudeln! "Geil, Schlitzaugen-Essen!", sagt Sebastian Urzendowsky, er stiefelt los und erschrickt im Gehen dann über sich. Teller, Gabel, erster Bissen, kurzes Schütteln. Urzendowsky: "Ab morgen darf ich so was bitte nicht mehr sagen, überhaupt nicht mehr."

Mitten in Deutschland: NSU. Teil eins: Die Täter - Heute ist nicht alle Tage. ARD, 30. März, 20.15 Uhr

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: