Newtopia in Sat 1:Feuer frei für den Faulenzer

Newtopia in Sat 1: Beauty-Queens, Schönlinge und Möchtegern-Chefs: Sat 1 sorgt schon dafür, dass es in "Newtopia" kracht. Und sei es zwischen Veganern und Fleischessern oder zwischen Müden und Machern.

Beauty-Queens, Schönlinge und Möchtegern-Chefs: Sat 1 sorgt schon dafür, dass es in "Newtopia" kracht. Und sei es zwischen Veganern und Fleischessern oder zwischen Müden und Machern.

Sat 1 hat ein neues Big Brother. In "Newtopia" geht es allerdings nicht mehr darum, vor Kameras blöd herumzuhängen, sondern gefälligst zu liefern. Zur Auftaktsendung sind die wichtigsten Rollen schon verteilt.

Von Ruth Schneeberger

Man kann nicht behaupten, dass das Kofferpacken im deutschen Fernsehen eine untergeordnete Rolle spielen würde. Schon gar nicht im Privatfernsehen: Ob Sendungen über den Austausch oder das Anwerben von Frauen, um das Auswandern oder das Heimkehren von Weltreisenden, von gesuchten Schwiegertöchtern, verlorenen Tanten oder Dates mit Dicken handeln - immer wieder muss zuvorderst dringend gepackt werden. Schon mal aufgefallen? Falls nicht, liegt das daran, dass dieses ewige Kofferpacken im TV gähnend langweilig ist. Kein Mensch will einem anderen dabei zuschauen. Kann das mal jemand an entsprechender Stelle anbringen?

So auch bei "Newtopia", der neuen großen Hoffnung von Sat1. Was wurde diese Sendung beworben - und überhöht: Das "größte TV-Experiment" aller Zeiten kündigte die Produktionsfirma an. John de Mol, der uns schon die Traumhochzeit, Big Brother und The Voice of Germany bescherte, spricht von einem "sozialen Experiment", das auf nicht weniger als der von im 16. Jahrhundert von Thomas Morus erdachten Idee einer idealen Gesellschaft gründe, "Utopia" eben. "Vollkommenes Glück oder totales Chaos" stellt der Sender in Aussicht. Denn 15 "Pioniere" sollen hier, im Brandenburgischen, 40 Kilometer vor Berlin, zwischen 25 Hühnern, zwei Kühen, mehr als 100 Kameras und fast 60 Mikros ihre eigene schöne neue Welt gründen - angeblich ohne von außen auferlegte Regeln.

Mal wieder nur Kofferpacken zum Start

Und dann das: Die erste Folge, verfolgt von 2,8 Millionen Zuschauern, was jetzt schon als "Traumstart" verkündet wird, besteht fast nur aus Kofferpacken. Wieder mal. Wir sehen Candy, Conny und Christian beim Einziehen zu. Zuvor müssen aber noch alle acht Männer und sieben Frauen in den Autos des Sponsors (von denen eines anschließend vom Hof gestohlen wurde, wie Bild aufgeregt berichtet) zurück nach Hause chauffiert werden, um eben dringend für ein Jahr zu packen. Damit es noch dringlicher wird, stehen ihnen für den Akt des Packens nur 15 Minuten zur Verfügung.

Schon während des Packens wird klar: Die Rollen sind bereits verteilt. Also doch wieder Regeln von außen - nämlich die des Showgeschäfts. Die Protagonisten werden so gefilmt, und falls das im Einzelfall nicht reicht, vom Sprecher aus dem Off so beschrieben, dass noch der Dümmste versteht: Die Chefin (Kerstin aus Bayern), die Schönste (Model Diellza), die Emotionale (Schülerin Tatjana vergießt schon im Auto Tränen), der Schlaumeier (Student Lenny), der Anpacker (Landwirt Christian) und das Problemkind (Fitnesstrainer Hans) sind gesetzt.

Schöne neue Welt ohne Regeln? Von wegen!

Den meisten Raum nimmt allerdings die Berichterstattung über den 44-jährigen Candy ein, der ein wahrer Tausendsassa zu sein scheint: Nach eigenen Angaben Akademiker, Politikwissenschaftler, neun Sprachen sprechend, der Polygamie frönend - nach Angaben des Senders ist er schlicht obdachlos. Und: stinkfaul. So zumindest suggerieren es die Kameras, die ihn ständig schlafend zeigen, Klopapier in die Ohren gestopft, damit er vom geschäftigen Treiben um ihn herum möglichst wenig mitbekommt. Dass es gerade Nacht und Schlaf vielleicht nicht unangebracht ist: egal. Die Stimme aus dem Off trichtert dem Zuschauer ein, dass hier jemand die Aufbruchstimmung der anderen so gar nicht unterstützt, die doch gerade erst anfangen, sich Klos und den Rest einer "gesamten Existenz" aufzubauen.

Obdachloser, Hartz-IV-Empfänger? Faules Pack!

Man mag sich gar nicht vorstellen, wieviele Vorurteile über Obdachlose diese Schwarz-Weiß-Malerei wieder bestärkt - zumal in Zeiten des wieder konsensfähig gewordenen Fluchens über angeblich faule Griechen. Auch unter Zuschauern des RTL-Dschungelcamps machte sich zuletzt die so drollige wie wütende Forderung breit, die Insassen sollten gefälligst ihre Arbeit machen. Dabei haben diese den Sender mit seiner Menschenquälerei endlich einmal auflaufen lassen - mit Nichtstun.

Um die Marschrichtung unmissverständlich vorzugeben, setzt Sat 1 noch einen drauf: Der 61-jährige Steffen, hier nur "Hartz-IV-Empfänger Steffen" genannt, hat ebenfalls nach der ersten Folge schon seinen Ruf weg. "Hartz -IV-Empfänger Steffen erreicht als Dritter den Hof - und fordert direkt Unterstützung vom neuen Staat" heißt es süffisant zum Ende der Sendung, als er ausgerechnet Candy bittet, ihm beim Kistentragen zu helfen. Dass es vielleicht an Steffens Alter liegen könnte, Probleme mit dem Schleppen zu haben - auch wieder egal.

Big Brother, die hundertste

Jedenfalls wird Sat 1 diesen hundertsten Big-Brother-Aufguss jetzt jeden Tag senden, und zwar rund um die Uhr. Das zwar gottseidank nur im Netz per Live-Übertragung, unterstützt von wiederum sehr viel Produktplatzierungen. Als Tageszusammenfassung und in bewährt überzeichnendem Schnitt allerdings ab sofort wochentäglich im TV.

Angeblich nimmt der Sender dafür 30 Millionen Euro in die Hand. Damit die Sendung nicht floppt, wie in den USA, sondern ein Erfolg wird - wie in den Niederlanden, wo die Bewohner ihren Jahres-Aufenthalt sogar noch verlängerten. Und angeblich zahlt der Sender den deutschen Teilnehmern unter anderem die laufende Miete und Versicherungen für Zuhause. Damit sie sich ganz auf ihre neue Aufgabe konzentrieren können, eine "neue Gesellschaft" zu gründen - mit gerade so viel Mitgliedern, wie sie früher eine Großfamilie hatte. Monatlich sollen diese nun vom Zuschauer heraus- und neue hineingewählt werden.

Mehr als 8000 Bewerbungen soll es für das Format gegeben haben, doch laut Erfinder de Mol ist das Finanzielle nicht der entscheidende Punkt: "Für ein wenig Ruhm machen die Menschen alles", sagte er einst. Und wir sollen ihnen jetzt wieder dabei zugucken.

"Newtopia" läuft montags bis freitags um 19 Uhr auf Sat 1 und unter newtopia.de rund um die Uhr im Netz.

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