Newsletter-Empfehlungen:Mehr als ein Hobby

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Projekte wie "Reportagen.fm" teilen die Freude an schönen Texten mit ihren Lesern. Das Kuratieren von Lektüre-Tipps ist so aufwendig, dass die Macher für ihren Service sammeln. Es geht ihnen aber nicht ums Geld, sondern um Wertschätzung.

Von Kathrin Hollmer

Anfang des Monats haben sich die Macher der Online-Plattform Reportagen.fm auf Facebook mit einer als Spendenaufruf verkleideten Drohung an ihre Nutzer gewendet: "Wir haben entschieden, noch bis Ende Februar zu sammeln. Erreichen wir unser Crowdfunding-Ziel nicht, decken sich Aufwand und Unterstützung nicht mehr." Die unterschwellige Botschaft: Wenn ihr nicht bereit seid zu zahlen, liebe Nutzer, dann ist es aus mit uns.

Das Ziel sind 300 Euro Einnahmen pro Monat - nicht gerade eine gewaltige Summe und doch überlebensnotwendig. Abonnenten sollen einen, zwei oder fünf, wenn nicht gar hundert Euro im Monat zahlen.

Seit 2012 empfiehlt Reportagen.fm jeden Freitag die drei besten Reportagen, die in jener Woche in einem deutschsprachigen Medium erschienen sind, in einem Newsletter - kostenlos und werbefrei. Die Arbeit teilen sich sieben freiberufliche Journalisten aus Berlin, Hamburg und München, die sich bei der Arbeit für das Campusmagazin Furios der Freien Universität Berlin kennengelernt haben. "Wir sind es gewohnt, unsere Zeit in etwas zu stecken, das kein Geld einbringt, aber Spaß macht", sagt Valerie Schönian, 26 und seit zweieinhalb Jahren bei Reportagen.fm.

Nach US-Vorbildern wie Longreads (seit 2009) und Longform (seit 2010) hat sich auch Reportagen.fm mit der Absicht gegründet, die besten Texte aus der Informationsflut herauszufischen. Das ist längst mehr als ein Hobby. Jedes Redaktionsmitglied sichtet bestimmte Zeitungen, Magazine und Online-Medien. Schließlich einigt man sich auf drei Empfehlungen. Mehrere Stunden Arbeit pro Woche bedeutet das, Konferenzen und Abstimmungen per Videochat oder Mail, meist nach Feierabend.

Das Kuratieren von Artikeln ist derweil in den vergangenen Jahren zum Geschäftsmodell geworden. Start-ups wie Blendle, Piqd und Pocketstory geben in Newslettern und auf ihren Websites personalisierte Leseempfehlungen samt Begründungen. Finanziert werden sie durch Einzelverkäufe von Paid-Content-Artikeln, Abo-Modelle oder Mitgliedschaften. Wie sehr sich das lohnt, darüber kann man nur spekulieren, denn konkrete Zahlen nennen die Portale nicht. Blendle meldete 2014 allerdings Millioneninvestitionen von Axel Springer und der New York Times. Das Angebot, dass jemand die Auswahl für einen übernimmt, passt in eine Zeit, in der Leser sich seltener an ein bestimmtes Medium binden, sondern über das Internet, vor allem Facebook und Twitter, ihr Menü aus Artikeln vieler Medien zusammenstellen.

Den Machern der "Seite Drei des Internets" geht es um die Wertschätzung von Journalismus

Projekte wie Reportagen.fm tun seit Jahren genau das, wenn auch nicht täglich wie Blendle und Piqd - bisher allerdings weitgehend unentgeltlich. "Wir machen das, um Journalismus wertzuschätzen", sagt Schönian. Ihre größtenteils selbst aus der Medienbranche stammende Zielgruppe, für die Lesen zum Beruf gehört, schätzt nicht zuletzt die Zeitersparnis: Die ausgewählten Texte sind sehr oft die, über die man in der Branche spricht. Die "Seite Drei des Internets" nannte die Welt das Projekt einmal. "Das freut uns riesig, aber auf Dauer können wir uns die unbezahlte Arbeit nicht leisten", sagt Schönian.

Langen, gut recherchierten und aufgeschriebenen Texten eine Bühne zu geben, reicht den nichtkommerziellen Newsletter-Redaktionen nicht mehr als Antrieb. Denn die Kuratoren von Reportagen.fm und anderen Plattformen sehen auch, wie Start-ups genau mit diesem Service Geld verdienen und die Nachfrage nach Kuratoren weiter steigt. "Ich glaube, dass viele Leser heute eher der Einschätzung einzelner Journalisten trauen", sagt David Bauer, 34, aus Zürich, der seit 2011 freitags in Weekly Filet fünf Empfehlungen verschickt. "Und sie haben das Bedürfnis nach einem abgeschlossenen Produkt wie einem Newsletter. Bei einem klassischen Magazin oder einer Zeitung habe ich einen Anfang und ein Ende. Im Internet weiß ich nie, wann ich gut informiert bin."

Bereits 2016 führte Reportagen.fm einen kostenpflichtigen Premium-Newsletter ein. Für zwölf Euro im Jahr bekamen Premium-Abonnenten zusätzlich Interviews mit Reportern über ihre Geschichten oder Lieblingsreportagen geschickt. "Das ermöglichte uns eine Aufwandsentschädigung", sagt Schönian. Das Lesen und Auswählen der besten drei Reportagen nehme einen ganzen Arbeitstag in Anspruch, dazu kommen die Zusatz-Rubriken und die Verleihung des "Henry-Nonsens-Preises" für absurde Reportagen. Ende 2016 wurde das Crowdfunding gestartet. "Wenn die Summe nicht zusammenkommt, hören wir auf", bekräftigt Schönian die Drohung.

Auch der Konkurrent Liesmich, der kurz vor Reportagen.fm gegründet wurde und ebenfalls freitags seinen Newsletter verschickt, hat im Oktober 2016 über Crowdfunding gut 1 000 Euro gesammelt, um die Anwaltskosten nach einer Abmahnung zu bezahlen. Der Rest wurde unter anderem in Server- und Domainkosten investiert, die das Team um Liesmich-Gründer und Fernsehjournalist Laurence Thio, 31, aus Berlin zuvor selbst bezahlte.

David Bauer hat seine Abonnenten freiwillig um vier bis 15 Euro monatlich gebeten. "Ich wollte keine Paywall errichten", sagt er. Gerade darunter leiden Kuratoren wie er. "Wir suchen möglichst Texte, die frei verfügbar sind", sagt Thio. Mit Empfehlungen von Radio- und TV-Beiträgen hat Liesmich auf den Trend zur Bezahlschranke reagiert. Die Newsletter-Empfehlungen lesen sich teilweise wie kleine Kritiken. Auf der Liesmich-Website gibt es Dossiers mit Crime- und Undercover-Geschichten und einen Filter nach aufzubringender Lesezeit (gestaffelt von 15 Minuten bis "sehr viel Zeit") - viel Aufwand für ein kleines Publikum: Reportagen.fm hat 1 700, Liesmich "weit mehr als 1 000" Abonnenten.

Leute freiwillig für etwas zahlen zu lassen, was sie gut finden, ist das Prinzip von Crowdfunding. Und es erfüllt das, worum es den Betreibern am Ende geht: nicht um Reichtümer, sondern um eine Wertschätzung ihrer Arbeit. Nach Liesmich hat am Mittwochnachmittag auch Reportagen.fm das gesetzte Ziel erreicht. Als kleines Dankeschön soll der Premium-Newsletter künftig an alle 1700 Abonnenten gehen, die sich für "handverlesene Texte" begeistern können.

© SZ vom 16.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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