News of the World: Skandal-Enthüller Nick Davies:"Sie waren bereit, uns zu verspeisen"

"Wenn nur ein Detail falsch ist, bist du tot": Nick Davies ist der Reporter der englischen Zeitung "Guardian", der Murdochs "News of the World" zu Fall brachte. Wie es sich anfühlt, ein Imperium zu erschüttern.

John Goetz und Nicolas Richter

Wie es sich anfühlt, ein Imperium zu erschüttern? Unwirklich fühlt es sich an, sagt Nick Davies. Die Folgen der Affäre sind so gewaltig, dass er sie nicht fassen kann. "Die News of the World - geschlossen. Die Übernahme des Senders Sky - geplatzt. Die Rücktritte in Serie. Das ist so riesig, dass es nicht echt wirkt." Vielleicht muss man es deswegen vereinfachen - Nick Davies, der Reporter, der den Spitzel-Skandal bei News of the World aufdeckte, sagt: "Es ist gut zu wissen, dass die guten Kerle gewonnen und die bösen Kerle verloren haben."

News of the World: Skandal-Enthüller Nick Davies: Er gilt als temperamentvoll, zuweilen cholerisch und ist "grundsätzlich gekleidet mit Jeans und einer trotzig unmodischen braunen Lederjacke": Nick Davies.

Er gilt als temperamentvoll, zuweilen cholerisch und ist "grundsätzlich gekleidet mit Jeans und einer trotzig unmodischen braunen Lederjacke": Nick Davies. 

(Foto: AP)

Die "Bösen" wurden in dieser Woche vorgeführt, alle. Selbst Rupert Murdoch, der mächtigste Medienmensch der Welt, Chef der News Corp, musste sich im britischen Parlament "grillen" lassen, wie die Engländer sagen. Davies weiß, wie es ist, dort vor dem halbrunden Tisch der Fragesteller zu sitzen und gegrillt zu werden. Vor zwei Jahren, am 14. Juli 2009, saß Davies dort selbst. Damals wollten die Politiker von ihm wissen, was ihm einfalle, in immer neuen Artikeln die News of the World anzugreifen, Murdochs Organ für sonntäglichen Krawall. Wie konnte Davies behaupten, dass das illegale Abhören von Telefonen durch das Gossenblatt viel stärker verbreitet war, als es dessen Chefs zugeben wollten?

Die Abgeordneten damals, sagt Davies, waren von Murdochs Leuten vorbereitet worden. "Sie waren bereit, uns zu töten und zu verspeisen." Davies wusste, sie würden fragen: Welche Beweise haben Sie überhaupt? Und beinahe hätte er keine Antwort gehabt.

Davies hätte damals auch verlieren können gegen Murdoch und gegen all die Polizisten, Politiker und Presseleute, die Murdoch gefügig waren. Stattdessen hat Murdoch verloren. Jetzt heißt es im Radio, Davies sei der beste Journalist Großbritanniens. Darunter geht es freilich nicht, und er ist jetzt eine Ikone, einer, der jungen Kollegen vorlebt, wie man hartnäckig und mutig recherchiert und dafür in Kauf nimmt, gefressen zu werden. Aber ist nun wieder alles gut? Symbolisiert Davies in der Woche seines größten Erfolgs, wie gut und gesund und selbstreinigend der britische Journalismus doch ist? "Nicht wirklich", sagt er in einem Telefon-Interview mit der Süddeutschen Zeitung und dem NDR.

Nick Davies, 56, stammt aus dem eher wohlhabenden Süden Englands, klingt aber dennoch nach Mittelschicht, vielleicht bewusst. "Die scharfen Ecken der poshness in seinem Akzent sind durch den Egalitarismus der 1970-er Jahre abgeschmirgelt worden", sagt ein Kollege über ihn. Nach seinem Studium in Oxford beobachtete Davies - vom jugendlichen Wunsch erfüllt, die Welt zu verbessern -, wie die Washington-Post-Reporter Bob Woodward und Carl Bernstein, nur mit Notizblock und Stiften bewaffnet, den mächtigsten Mann der Welt zu Fall brachten. Davies wurde Polizei- und später Investigativreporter beim Guardian, jenem Londoner Blatt, das sich Wächter nennt und auch einer ist.

Offenbar ist es schwierig, Davies in die routinierten Abläufe einer Redaktion einzubinden. Er gilt als temperamentvoll, zuweilen cholerisch. Er sucht gern das Weite, meist beim Reiten, was ein ungewöhnlicher Sport ist für einen, der weithin als Linker gilt. "Wann immer ich ihn brauche, sitzt er gerade auf dem Pferd", sagt ein Kollege. Einmal, mitten in einer wichtigen Recherche, ließ er die Kollegen mit den Aktenbergen allein, verschwand lieber übers Wochenende und besuchte ein Bob-Dylan-Konzert.

Die Redaktionsbüros im Norden Londons meidet Davies meist, sie sind zwar frisch durchdesigned und bieten neuerdings Chill-out-Zonen, dafür aber nur Großraumbüros und keine Türen, die einzelne Mitarbeiter mal hinter sich schließen könnten. Davies arbeitet deswegen lieber zu Hause in Lewes, nahe Brighton im Süden.

Bist Du ein Reporter oder ein Freund deiner Quelle?

Wenn er mal in der Zentrale erscheint, verlaufen die Gespräche, wie es Guardian-Chefredakteur Alan Rusbridger erzählt, meist so: "Etwa alle 18 Monate kommt Davies in mein Büro, schließt die Tür, schaut sich verschwörerisch um und erzählt mir alsbald etwas Haarsträubendes." Im vergangenen Jahr etwa: Da hatte Davies erfahren, dass Julian Assange, Chef der Enthüllungsplattform Wikileaks, mit einem Datenschatz geheimer US-Regierungsdokumente herumlief. Davies schlug vor, Assange zu finden und die Dokumente im Guardian auszubreiten. Ein Jahr früher, Anfang 2009, erzählte der Reporter seinem Chefredakteur, es gebe Hinweise darauf, dass die Murdoch-Familie eine Million Pfund für einen Vergleich zahle, um kriminelles Verhalten im Medienkonzern unter der Decke zu halten. Ob er dem nachgehen solle.

Rusbridger berichtete unlängst in Newsweek, er habe Davies auf dessen Vorschläge immer geantwortet mit: "Of course!" Dann habe er kurz schlucken müssen, als er sich die Folgen dieser Geschichten ausmalte, während Davies, "grundsätzlich gekleidet mit Jeans und einer trotzig unmodischen braunen Lederjacke, durch die Tür verschwand, um irgendwo Ärger zu machen".

Natürlich waren dann all die Geheimpapiere im Guardian zu lesen, aber die Pointe folgte erst später. Julian Assange, das Enthüllungsidol von Wikileaks, der dem Guardian-Reporter seinen Schatz überlassen hatte, sah sich mit Vergewaltigungsvorwürfen konfrontiert. Davies und seine Zeitung hatten jetzt zwei Möglichkeiten: Entweder den Vergewaltigungsfall klein zu halten, denn Assange, die Superquelle, wünschte es so. Oder aber ihn zu brüskieren, in großer Aufmachung und detailliert über die mutmaßlichen sexuellen Übergriffe zu berichten, wie über jeden anderen Prominenten.

Davies und der Guardian wählten die zweite Variante. "Es ist wichtig für einen Journalisten, sich weder emotional noch moralisch mit seiner Quelle gleichzumachen", sagt Davies. Gerade bei Assange sei die Gefahr groß, dessen Verbündeter oder Mitverschwörer zu werden. "Du musst entscheiden: Bist Du ein Reporter und arbeitest für deine Leser? Oder bist Du ein Freund deiner Quelle und konspirierst mit ihr?"

Nick Davies gibt sich schon seit Jahren als die journalistische Ethik in Person, was manchen Wegbegleitern zuweilen auf die Nerven geht. Vor drei Jahren veröffentlichte er ein Buch namens Flat Earth News, eine Anspielung darauf, dass die Presse ihre Leser für dumm verkaufe und ihnen einrede, die Erde sei eine Scheibe. Im Kern beklagt Davies, dass Journalismus ein Geschäft sei, das nur noch wenig mit Aufklärung zu tun habe. Im Wesentlichen bestehe der Inhalt britischer Blätter aus Agenturmeldungen oder PR-Mitteilungen, nur ein geringer Teil aus Eigenrecherche oder überhaupt nur einer summarischen eigenen Überprüfung der Fakten durch die Redaktion. Manche hielten Davies' Abrechnung mit der eigenen Zunft für überzogen pessimistisch, andere eher für eine schlichte Beschreibung der Realität.

Als das Buch aber gerade ein Jahr auf dem Markt war, sah sich Davies eindrucksvoll in seiner Analyse bestätigt. Damals druckte der Guardian Davies' erste Artikel darüber, dass die Bespitzelung durch News of the World doch systemischer sein könnte als immer zugegeben. Bekannt war damals, dass ein Privatdetektiv sich in Telefone der Royals eingehackt hatte. Sowohl er wie auch der Hofberichterstatter der News of the World wurden belangt, und NoW-Chefredakteur Andy Coulson trat zurück. So schien sich der Fall erledigt zu haben: ein kleiner Betriebsunfall. Erst Davies' Berichte im Guardian 2009 ließen die wahre Dimension der Affäre erahnen: Es gab etliche Opfer von Lauschangriffen, und der Verlag versuchte, sie mit großen Summen zum Schweigen zu bringen.

Die für Brutalitäten aller Art bekannte Murdoch-Presse griff den Guardian, wenig überraschend, massiv an. "Für einen Journalisten ist es frustrierend zu beobachten, wie sich andere Journalisten wie Marionetten verhalten, statt sich zu fragen, ob Murdochs Verlag News International ehrlich ist", sagt Davies. Auch die Polizei eilte Murdoch zur Hilfe und befand, an Davies' Artikeln sei nichts dran. Die Pressekommission PCC rügte das Blatt, schließlich lud das Parlament Davies und Guardian-Chefredakteur Rusbridger vor, um sie zu vernehmen.

"Die werden uns in Stücke reissen"

Davies wusste, dass er dort untergehen würde, wenn er sich nur auf anonyme Quellen beriefe. Er brauchte etwas Belastbares. Zu seinem Glück war einer seiner Informanten so empört über die Unehrlichkeit der Murdoch-Presse, dass er es Davies erlaubte, einige vertrauliche Dokumente zu veröffentlichen. "Ich habe vor dem Parlamentsausschuss, der mich auf den Rost werfen wollte, aus diesen Unterlagen zitiert - das war der Wendepunkt", sagt Davies, "es hat sie völlig aus dem Konzept gebracht."

Aber Davies will seine Rolle nicht verklären. Es ist nicht so, dass ihn die Anfechtungen gleichgültig gelassen hätten. Als Davies schließlich die Geschichte veröffentlichen wollte über Milly Dowler, den jungen, entführten Teenager, der später ermordet wurde und dessen Telefon-Mailbox die Agenten der News of the World manipuliert hatten, da konnte er sich eigentlich sicher sein. Er hatte, wie er sagt, gleich mehrere Quellen. Normalerweise reicht das, um sich sicher zu fühlen. "Aber wir haben berichtet über eine aggressive, unehrliche Organisation. Du denkst: Wenn nur ein Detail falsch ist, bist du tot. Die werden uns in Stücke reißen." Stattdessen führte der Bericht über Milly Dowler dazu, dass die Öffentlichkeit Murdoch in Stücke riss.

Vielleicht wäre es anders gekommen, wenn Alan Rusbridger, der Chefredakteur, den Fall nicht so umsichtig betreut hätte. Zum einen schirmte er Davies vor Angriffen ab. Dass die Polizisten von Scotland Yard in der Chefetage des Guardian erschienen und sich beschwerten, hat er Davies zunächst nicht erzählt. Stattdessen verbündete er sich mit der New York Times, der angesehensten Zeitung der Welt. Sie schickte drei Reporter, die nicht nur Davies Recherchen bestätigten, sondern auch ergänzten. "Die New York Times hat das Argument entkräftet, der Guardian sei besessen, links und ein Feind Murdochs", sagt Davies.

Nick Davies mag in seinen Analysen zuweilen zur Schwarzweiß-Malerei neigen, aber er ist kein Lieferant bestellter Wahrheiten. Vor zwei Jahren ging er der Frage nach, wie Tausende Frauen in das Vereinigte Königreich eingeschleust und zu sexuellen Diensten gezwungen werden. Hätte sich Davies auf Parlamentarier, Minister und Pressemappen verlassen, hätte er schreiben müssen: Das Problem der Sex-Sklaven werde immer schlimmer. Davies aber stellte fest, dass der Missstand in der behaupteten Größe reine Legende war. Ein typisches Gerücht, dass ewig anschwillt, indem es jeder weitergibt, ohne es zu hinterfragen.

Hat der Fall News of the World bewiesen, dass sich der britische Journalismus doch noch selbst reinigen kann? Davies neigt trotz seines Erfolgs nicht zum Optimismus: "15 Monate lang hat die Presse des Landes die Spitzelmethoden der News of the World ignoriert. Aus Zugehörigkeit zu Murdoch, aus Angst vor Murdoch, aus Treue zu den Konservativen, deren Sprecher einst für Murdoch arbeitete. Oder aus Scham darüber, dieselben Spitzelmethoden angewendet zu haben", sagt er. Das führt zu der Frage: Ragt Davies heraus, weil er so gut ist, oder weil die anderen so schlecht sind?

Jetzt gehört der Ruhm erstmal ihm, er bekommt gerade 60 Anfragen für Interviews täglich. Er sagt, er habe nicht mal geantwortet, weil ihn allein das Nein-Sagen schon zwei Stunden täglich gekostet hätte. Über einen Anruf aus New York allerdings hat er sich gefreut. Es war eine tiefe Stimme. "Hi, hier ist Carl Bernstein", sagte Carl Bernstein, einer der beiden Watergate-Enthüller, wenn auch nicht der Berühmtere von beiden. Die Milly-Dowler-Geschichte sei toll gewesen, sagte der Anrufer, ob sie nicht ein Buch zusammen schreiben könnten. "Für mich war es wunderbar", sagt Davies, "ich fühlte, ich war angekommen."

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