"News of the World": Fall Dowler:Die dubiosen Methoden der Null-Toleranz-Zeitung

Das britische Boulevard-Blatt "News of the World" soll das Telefon eines ermordeten Mädchens angezapft haben, löschte Mailboxnachrichten und führte mit den Eltern ein Interview, als diese noch hofften, ihre Tochter lebend wiederzusehen. Es ist nicht das erste Mal, dass die Zeitung von Medienmogul Murdoch für ihre zwielichtige Praxis in der Kritik steht.

H. Leyendecker und K. Riehl

Das Mädchen mit dem brav gescheitelten dunkelblonden Haar, das so nett in die Kamera lächelt, heißt Amanda Dowler. Die sie gut kannten, nannten sie nur "Milly". Sie war 13 Jahre alt, als sie am 21. März 2002 nicht von der Schule nach Hause kam. Eine Bekannte hatte sie nachmittags gegen vier Uhr noch in der Nähe einer Bushaltestelle in Walton-on-Thames gesehen, das ist eine Kleinstadt in der südenglischen Grafschaft Surrey.

The family of Milly Dowler make a statement to the media outside The Old Bailey courthouse in London

Kurz nach der Urteilsverkündung gegen den Mörder ihrer Tochter äußert sich die Famile von Milly Dowler gegenüber der Presse. Nun wollen die Eltern "News of the World" verklagen.

(Foto: Reuters)

Wahrscheinlich wollte Milly zu ihrem Elternhaus, dort aber kam sie nie an. Was dann folgte, war bange Ungewissheit. Das verschwundene Mädchen wurde landesweit von der Polizei gesucht. Millys Eltern und auch die Ermittler baten im Fernsehen die Bevölkerung um Mithilfe bei der Suche, und Zeitungen wie das boulevardeske Sonntagsblatt News of the World berichteten sehr intensiv über den traurigen Fall.

Dass Milly noch lebte, war nur eine Hoffnung, aber Eltern hoffen bis zuletzt. Bob und Sally Dowler riefen regelmäßig auf dem Handy ihrer Tochter an. Und weil die Mailbox nicht voll war, glaubten sie, ihr Mädchen sei möglicherweise noch am Leben. Wer anders als sie hätte den Speicher leeren wollen, um neue Nachrichten zu erhalten?

Im September 2002 entdeckten Pilzsucher die Überreste Millys in einem Wald der Grafschaft Hampshire, vierzig Kilometer von dem Ort entfernt, an dem sie zuletzt gesehen worden war. Millys Handy blieb verschwunden. In den folgenden Jahren gab es immer wieder mal Festnahmen im Fall der ermordeten Milly. Vor zwei Wochen dann wurde ein 43-jähriger Mann, der bereits wegen zwei weiterer Morde an jungen Frauen im Gefängnis sitzt, zu lebenslanger Haft verurteilt.

Ungeheuerliches Detail

Die britischen Boulevardblätter und auch die seriösen Zeitungen haben noch einmal ausführlich über Milly und die Eltern berichtet. Doch an diesem Montag tauchte ein Detail auf, das fast so ungeheuerlich ist wie das Verbrechen. Reporter des seriösen Guardian haben diesen Verdacht recherchiert, und er richtet sich gegen Leute, die jeden Anspruch auf Respekt und berufliche Profession verloren haben. Mitarbeiter der sonntags erscheinenden News of the World, die auch ein Interview mit den verzweifelten Eltern veröffentlichte, sollen das Mobiltelefon der verschwundenen Milly Dowler angezapft haben, um auf der Mailbox mitzulauschen. Sie wollten angeblich wissen, wer sich wann bei ihr gemeldet hatte und was die Eltern und die anderen so sagten oder auch nur schluchzten. Mit Hilfe von Privatdetektiven sollen die Todesreporter sogar Nachrichten gelöscht haben, wenn die Mailbox voll war. Milly jedenfalls war es nicht.

Der von News of the World und anderen britischen Boulevardblättern gern und reichlich verwendete Begriff "Skandal" reicht nicht aus, um das Ausmaß einer solchen Schweinerei auch nur einigermaßen zu umreißen. Premierminister David Cameron sagte, falls die Vorwürfe stimmten, handele es sich um eine "unglaublich schreckliche Tat".

Der britische Boulevardmarkt ist bekanntermaßen der härteste der Welt. Gut ein Dutzend überregionaler Tageszeitungen kämpft auf der Insel um die Aufmerksamkeit der Leser, und die zum Imperium des Medienmoguls Rupert Murdoch gehörende Gossenzeitung News of the World (Auflage etwa 2,6 Millionen) gilt als die rücksichtsloseste von allen.

Das Blatt ist manchmal ein einziger Papier gewordener Skandal. News of the World veröffentlichte einst das Video, das den damaligen Formel-1-Präsidenten beim Sadomaso-Sex zeigte. Ein Reporter der Redaktion verkleidete sich als Scheich, um einem Mitglied der britischen Königsfamilie Abträgliches über das Königshaus zu entlocken und das Erschnüffeln von Schmuddel aller Art scheint für die Blattmacher eine ehrenwerte Tätigkeit zu sein.

Selige Zeiten des "Rat pack"

Es waren offenbar noch selige Zeiten, als es in England Journalisten gab, die sich "Rat pack" nannten. Diese "Rattenmeute" spürte einst mit nimmermüdem Einsatz und mitunter sehr großem Einfallsreichtum den Intimbelangen der königlichen Familie nach. Sie waren gewissermaßen die Putzerfische des "Circus Royal". Zu ihrer Ausstattung gehörten riesige Ferngläser und auch Bares, um vom Hofstaat ein paar Interna über das allgemeine Triebgeschehen erfahren zu können. Aus dieser Zeit ist der Menschheit in Erinnerung geblieben, dass Prinz Charles seiner damaligen Geliebten, die jetzt sein Ehegespons ist, am Telefon mitgeteilt haben soll, er wünsche sich inständig, ihr Tampon zu sein.

Ein "königlicher Korrespondent" der News of the World namens Clive Goodman fiel Ende 2005 den Königlichen durch zu viel Fachwissen auf. Prinz William habe eine Knieverletzung, und ein TV-Journalist habe dem Prinzen Editiergeräte geliehen, meldete er weltexklusiv. Die ziemlich belanglosen Details stimmten, und die königlichen Pressesprecher schalteten Scotland Yard ein. Die Ermittler stellten fest, dass Goodman auch wusste, dass sich Prinz William auf der Mailbox seines Bruders Harry als dessen Freundin ausgegeben hatte. Die angebliche Chelsy beklagte sich, dass Harry einer Tänzerin zu nahe gekommen sei. Ein Spaß bloß, dann kam Scotland Yard.

Zur erbarmungslosen neuen Welt, das wurde klar, gehörte offenbar das Knacken von Handys. Die Beamten stießen bald auf einen Privatdetektiv, der Goodman zugearbeitet und unter anderem den Code von Prinz Williams Mobiltelefon geknackt hatte. Im Archiv des Detektivs fanden die Beamten ein paar tausend Nummern, 91 Pin-Codes, 30 Mitschnitte von Gesprächen und die Namen weiterer Mitarbeiter von News of the World. Das Blatt hatte ihn für seine Handreichungen anständig bezahlt.

Goodman und der Detektiv wurden verhaftet. Es kam heraus, dass sie monatelang Prominente mit derselben kriminellen Methode belauscht hatten. Sie landeten kurze Zeit im Gefängnis, und die Angelegenheit schien erledigt. Der damalige Chefredakteur von News of the World, Andy Coulson, erklärte, er habe von den Bespitzelungen nichts gewusst. Er räumte allerdings seinen Posten - und wurde kurz darauf Spinmaster des konservativen Politikers David Cameron, der dann Premierminister wurde.

Angst vor Murdoch?

Die Polizei wirkte nicht gerade elektrisiert von der Abhöraffäre, und der Kreis der Verdächtigen blieb lange Zeit auffällig klein. Fachleute kamen sogar auf den Gedanken, einige Beamte hätten zu News of the World allzu gute Beziehungen gehabt. Vielleicht hatten sie aber auch nur Angst vor Murdoch, der sich von Abhörpraktiken immer scharf distanzierte und distanziert. Oder sie hatten schlicht Besseres zu tun.

Das Desinteresse oder sogar der frühere Widerwille der Polizei, das Ausmaß des ungeheuren Falles auszuleuchten, beides ist immer noch erklärungsbedürftig. Journalisten trieben die Aufklärung voran. Teams des New York Times Magazine und des Guardian fanden heraus, dass das Abhören von Handys bei News of the World offenbar zum Redaktionsalltag gehört hatte. Ein ehemaliger Reporter behauptete sogar, Coulson sei Mitwisser gewesen und vielleicht noch mehr.

Coulson trat im Januar als Pressechef von Cameron zurück. Er bestreitet weiter alle Vorwürfe. Drei prominente Hofjournalisten des Blattes wurden im April kurzfristig verhaftet. Im selben Monat veröffentlichte News of the World eine "uneingeschränkte" Entschuldigung für Abhöraktionen im Zeitraum von 2004 bis 2006. Was den Geschädigten, darunter viele Schauspieler und auch Sportler, angetan worden sei, hätte nicht passieren dürfen: "Es war und ist unannehmbar". Einigen Klägern wurde Schadenersatz angeboten. Scotland Yard vermutet, dass es weit mehr als 91 Abhöropfer gibt.

Ein leitender Redakteur von News of the World machte die bemerkenswerte Feststellung, die Zeitung verfolge eine "Null-Toleranz-Politik", was das Hacken von Telefon angehe. Die Null-Toleranz-Zeitung kann aber durch den Fall des Schulmädchens Milly Dowler noch in ganz andere Schwierigkeiten kommen. Die Feststellung, dass es offenbar schon 2002 solche Abzapfpraktiken gab, ist noch das kleinere Problem. Um Anstand und Ehre geht es ohnehin nicht. Viel wichtiger ist der Umstand, dass das Löschen der Mobilbox eines Entführungsopfer Spuren zerstört und polizeiliche Ermittlungen stark behindert.

Die Eltern von Milly gaben jetzt über ihren Anwalt bekannt, sie wollten gegen das Blatt vor Gericht ziehen. Die damalige Chefredakteurin der Sonntagszeitung, Rebekah Brooks, derzeit Vorstandschefin von News International, erklärte, sie sei "erschüttert und entsetzt" und habe von derartigen Vorfällen in ihrer Zeit als Chefredakteurin nichts gewusst. Es werde eine umfassende interne Untersuchung geben.

Auf Anfrage der Süddeutschen Zeitung ließ News of the World an diesem Dienstag erklären: Der neue Fall stelle eine "besorgniserregende Entwicklung" dar. "Wir werden selbstverständlich vollumfänglich mit der Polizei kooperieren, sofern das verlangt wird, und eigene Untersuchungen einleiten."

Die Affäre Milly Dowler erregt die Briten wirklich. Es gibt Forderungen von Politikern, Murdoch, der solche mutmaßlichen Dreckskerle beschäftigte, dürfe jetzt die Restanteile an dem Pay-TV- Unternehmen BSkyB, was er gerne möchte, nicht bekommen.

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