"New York Times"-Verleger:Es bleibt in der Familie

Arthur Ochs Sulzberger überlasst bei der Suche nach einem Nachfolger für sein Blatt nichts dem Zufall. Ein Beleg für die Ausnahmestellung des Verlags.

Von Nikolaus Piper

Nachfolgefragen sind Überlebensfragen in Familienunternehmen. Klebt der alte Chef zu lange an seinem Sessel oder sucht er sich den Falschen als Erben aus, kann das die Firma ihre Existenz kosten. Das ist bei kleinen Mittelständlern nicht anders als bei großen Verlagshäusern. Deshalb verdient die Entwicklung bei der New York Times in diesen Tagen besondere Aufmerksamkeit: Dort hat Verleger Arthur Ochs Sulzberger, 64, im vergangenen November einen professionellen, formalisierten Prozess zur Suche eines Nachfolgers eingeleitet. In den Prozess sind der Verwaltungsrat, das Spitzenmanagement des Verlages und die Familie eingebunden. Spätestens im Herbst 2017 soll ein "Stellvertretender Herausgeber", also ein Kronprinz, feststehen, erklärte das Unternehmen.

Mit diesem Prozess unterstreichen die Sulzbergers als Verleger der Times die Ausnahmestellung ihrer Zeitung in Amerika. Andere traditionsreiche Verlegerfamilien haben längst vor den Zeitläuften, vor der Digitalisierung oder vor innerfamiliärem Dissens kapituliert. So war es bei den Bancrofts, die seit 1928 Mehrheitseigner des Wall Street Journal s gewesen waren. 2007 wiesen sie ein Übernahmeangebot Rupert Murdoch erst empört zurück, nur um es dann schließlich doch anzunehmen. Die Familienmitglieder hatten, so zeigte sich, in Wirklichkeit keine Idee, was sie mit ihrer Zeitung anfangen sollten. Im Jahr 2013 verkaufte die Familie Graham die Washington Post, die sie 89 Jahre davor, mitten in der Weltwirtschaftskrise, erworben hatte, an Jeff Bezos, den Gründer von Amazon. Erbin Katharine Weymouth trat im September 2014 als Herausgeberin zurück. Schon 2000 hatten die Chandlers die Los Angeles Times verkauft und damit einen beispiellosen Niedergang der einstmals hoch angesehenen Zeitung eingeleitet. Eine der wenigen Ausnahmen unter den traditionellen Verlegern ist die Familie Blethen geblieben, welche die Seattle Times in vierter Generation führt. Generell scheint die Digitalisierung der Medien in Amerika eine Sache von Vertriebs- oder IT-Experten oder aber Raubauzen wie Murdoch zu werden. Bezeichnend etwa, dass sich das ehrwürdige liberale Magazin New Republic heute im Besitz von Facebook-Mitgründer Chris Hughes befindet.

Wären da nicht die Sulzbergers. Sie scheinen dem Trend zu widerstehen. Als Arthur Sulzberger am 2. November seinen Nachfolgeplan vor den Redakteuren der Times bekannt gab, versicherte er nicht nur, der Prozess solle "so transparent wie möglich sein", er bekannte sich auch ohne Wenn und Aber zur Zeitung: "Unsere Familie unterstützt die strategische Richtung des Unternehmens und ist der Times auf lange Sicht verpflichtet." Ein Verkauf der Zeitung ist kein Thema - keine Selbstverständlichkeit in diesen Tagen.

Inside the New York Times

Modernes Blatt mit stolzer Geschichte: Der Newsroom der New York Times.

(Foto: Jonathan Torgovnik/Getty Images)

Seither spekuliert die Branche, wer denn nun die besten Chancen haben könnte, Sulzberger an der Spitze zu beerben. Das New York Magazine hatte zuvor schon drei mögliche Kandidaten genannt: Arthur Gregg Sulzberger, 35, den Sohn des jetzigen Chefs, dessen Neffen David Perpich, 38, und Sam Dolnick, 34, Sohn eines Vetters von Sulzberger. Alle drei sind in den vergangenen Jahren in Positionen gekommen, die für die Zukunft des Unternehmens von zentraler Bedeutung sind. Arthur Gregg zum Beispiel machte Schlagzeilen, weil er ein Team leitete, das den "Innovation Report" verfasste über den Übergang der Zeitung ins digitale Zeitalter. Das 96-Seiten-Papier gilt heute als eines der wichtigsten Dokumente zur digitalen Revolution in den Medien weltweit. Arthur Gregg ist mittlerweile im Hochhaus der Zeitung an der Eighth Avenue in die Position eines Leitenden Redakteurs für Strategiefragen aufgestiegen, Sam Dolnick ist Leitender Redakteur für die Mobilausgabe, David Perpich brachte die Digitalausgabe der Times verlegerisch auf den Weg.

Bei allem steht eine stolze Geschichte im Hintergrund. Die Ochs-Sulzbergers haben daher einige Erfahrung mit schwierigen Übergängen zu den nächsten Generationen. Ahnherr Adolph Simon Ochs, als Kind deutsch-jüdischer Einwanderer (der Vater kam aus Bayern, die Mutter aus der Pfalz) 1858 in Cincinatti geboren, erwarb die New York Times - das Blatt steckte damals gerade in großen finanziellen Schwierigkeiten - 1896 im Alter von nur 38 Jahren. Er konnte sich zu Lebzeiten nicht entscheiden, wen er als seinen Erben an der Spitze der Times einsetzen sollte: seinen Neffen Julius Ochs Adler, oder seinen Schwiegersohn Arthur Hays Sulzberger. 1935 starb Adolph Ochs Sulzberger; sein Testament überließ es den beiden potenziellen Nachfolgern und seiner Tochter Iphigene, die Sache unter sich auszumachen. Damit war der Fall entschieden: Iphigene votierte für ihren Mann, Sulzberger wurde Verleger, die Adlers schieden im Streit aus dem Unternehmen aus. Für die Times war es letztlich ein Glück, dass die Machtfrage damals entschieden wurde. Wenn in einem Familienunternehmen zu viele mitreden, wird das Unternehmen letztlich nicht mehr geführt. Die Angehörigen der nächsten Generation haben dann, außer dem Bezug der Dividenden, oft nicht mehr viel Interesse an der Firma. So war es etwa bei den Bancrofts und dem Wall Street Journal zu beobachten.

Im Vergleich zum Rest der Branche sind die Zahlen der New York Times gut, aber der Durchbruch ist noch lange nicht geschafft

Der letzte Generationenübergang verlief bei der Times jedenfalls relativ reibungslos. Der legendäre Arthur "Punch" Sulzberger - er verantwortete den für die Pressefreiheit in den Vereinigten Staaten eminent wichtigen Abdruck der "Pentagon-Papiere" über den Marsch des Landes in den Vietnam-Krieg - machte seinen Sohn Arthur Ochs 1987 zum stellvertretenden Herausgeber, 1992 rückte er an die Verlagsspitze. So einen schrittweisen Übergang dürfte Sulzberger jetzt auch planen. Das formalisierte, transparente Verfahren ist dabei schon aus innerfamiliären Erwägungen wichtig. Nach Recherchen des New York Magazine könnten auch die Töchter von Ruth Golden, der Schwester von Arthur Ochs Sulzberger, Interesse an der Position anmelden.

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Arthur Ochs Sulzberger, Herausgeber der New York Times, will seinen Nachfolger "so transparent wie möglich" ermitteln.

(Foto: Peter Foley/Bloomberg)

Vor allem jedoch ist ein professioneller Übergang auf die nächste Generation aus betriebswirtschaftlichen und verlegerischen Gründen notwendig. Nach menschlichem Ermessen wird die nächste Generation an der Spitze über die Existenz der Times entscheiden: Wird es den New Yorkern gelingen, ein Geschäftsmodell für Qualitätsjournalismus im digitalen Zeitalter zu finden oder nicht? Für viele andere Medien auf der Welt ist die Times mit ihrer Digitalstrategie ein Vorbild, gewonnen hat die Zeitung aber noch nicht. Das machen die Geschäftszahlen deutlich. Im vergangenen Jahr hatte die Digitalausgabe der Times 1,09 Millionen Abonnenten, stolze 20 Prozent mehr als 2014. Gleichzeitig ging aber die gedruckte Auflage weiter zurück. Die Gesamteinnahmen aus dem Vertrieb stiegen nur deshalb, weil der Verlag im vergangenen Jahr die Preise erhöhte. Die digitalen Anzeigenerlöse stiegen um 8,0 Prozent, die aus der Druckausgabe gingen um 8,2 Prozent zurück. Kostensenkungen sorgten dafür, dass der Gewinn von 92 auf 137 Millionen Dollar stieg. Im Vergleich zum Rest der Branche ist das gut, aber es ist noch lange nicht der Durchbruch.

Und dann können die Sulzbergers in ihrem Unternehmen nicht völlig frei entscheiden. Die New York Times ist ein börsennotiertes Unternehmen und damit abhängig vom Kapitalmarkt. Zwar haben sie sich durch ein - in Deutschland nicht mögliches - aktienrechtliches Konstrukt die Stimmenmehrheit in den Gremien gesichert: An der New York Stock Exchange gehandelt werden normale A-Aktien, die Familie jedoch hält B-Aktien mit höherem Stimmrecht. Das Konstrukt garantiert in normalen Zeiten, dass die Familie die Kontrolle behält, in schlechten Zeiten, wenn der Aktienkurs einbricht und das Unternehmen kein Kapital mehr bekommt, oder wenn die Familie uneins ist, nützen die Privilegien der B-Aktien auch nichts mehr. So ging es 2007 den Bancrofts beim Wall Street Journal, die eine ganz ähnliche Konstruktion hatten. Der Aktienkurs der Times ist seit Monaten relativ stabil und lag am Freitag bei 12,52 Dollar (vor einem Jahr war es noch ziemlich genau ein Dollar mehr).

Und nicht zu vergessen: Die Times hat einen Großinvestor: Carlos Slim, Telekom-Unternehmer aus Mexiko und einer der reichsten Männer der Welt. Slim hatte der Times in der Finanzkrise mit einem Großkredit geholfen. Der wurde bereits 2011 wieder zurückgezahlt, Slim hatte damals aber auch Bezugsrechte ("Warrants") erworben, und die löste er im vergangenen Jahr ein. Jetzt ist er mit 16,8 Prozent der größte familienfremde Aktionär.

Bis jetzt ist Slim ein freundlicher Investor, der das Management stützt. Würden die Zeiten schlecht, wäre er das aber sicher nicht mehr.

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