New York Times:Twitter-Gerücht sorgt für Aufregung

Ein über Twitter gestreutes Gerücht über eine angebliche Enthüllung um Gouverneur David Paterson bedrängt die New York Times.

Thomas Schuler

Der Journalist John Koblin berichtet für die Wochenzeitung New York Observer über Medien. Am 5. Februar schickte er eine Frage über den Dienst Twitter, die seitdem Politik und Medien in New York beschäftigt: "Hat irgendjemand was über den Bombeneinschlag der NYT über Paterson gehört?" David A. Paterson ist seit März 2008 Gouverneur des Bundesstaates New York und NYT ist die New York Times - so viel war klar. Offen blieb, worin die Bombe bestehen soll. Koblin behauptete, die Zeitung arbeite seit Wochen an einer "Geschichte, die ihm großen Schaden zufügen" werde. Quellen oder Hinweise über die Herkunft des Gerüchts oder seinen Inhalt? Keine.

David Paterson, Foto: AP

Bizarre Geschichte um ein Gerücht - Gouverneur David Paterson.

(Foto: Foto: AP)

Es war eine Frage über ein Gerücht, woran die Konkurrenz arbeite, so wie es sich Journalisten früher am Telefon oder bei einem Bier erzählten, streng vertraulich. Reporterklatsch. Er kann stimmen oder auch nicht. Inzwischen ist das Gerücht im Fall Paterson zu einer bizarren Geschichte über ein Gerücht gewachsen. Es ist auch eine Geschichte darüber, wie Rufmord im Zeitalter von Twitter funktioniert, wie das Ansehen eines Menschen angeblich im Dienst der Aufklärung beschädigt wird und am Ende niemand etwas getan haben will. Eine Geschichte aus der neuen Medienwelt.

Ungewöhnliche Pressekonferenz

Sie beginnt so: Vor zwei Jahren musste der damalige New Yorker Gouverneur Eliot Spitzer wegen einer Affäre mit einer Prostituierten zurücktreten. Sein Nachfolger, der Demokrat David A. Paterson, begann sein Amt mit einer ungewöhnlichen Pressekonferenz.

Er sprach davon, dass er das Eindringen der Medien in sein Intimleben verhindern wolle. Eine Reporterin hatte ihn zu einer angeblichen Affäre befragt, Paterson hatte darauf laut New York Times tagelang überlegt, wie viel er von sich preisgeben sollte.

Keine Ehe sei perfekt.

Dann trat er gemeinsam mit seiner Frau vor die Presse und sagte, er habe die Wähler nicht betrogen. Nur seine Frau, die habe er betrogen: vor Jahren, aber dafür mehrfach, unter anderem mit einer Mitarbeiterin seines Vorgängers Spitzer. Seine Frau sagte, sie habe ihren Mann ebenfalls betrogen. Er sprach davon, wie wichtig ihm das Vertrauen seiner Wähler sei.

In einer normalen Ehe hätten sie beide dieses Wissen mit ins Grab genommen. Seine Frau erzählte, wie sie ihren Kindern die Ehe als etwas nahebringe, in dem es Höhen und Tiefen gebe. Keine Ehe sei perfekt. Es war eine neue Qualität, wie ein Politiker zu verhindern versucht, dass sein Intimleben öffentlich ausgebreitet wird - indem er es selbst öffentlich ausbreitet.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, worum es eigentlich gehen soll.

Patersons Intimleben

Zwei Jahre später nun steht der Mann im Mittelpunkt einer neuen Affäre - nur weiß keiner, um was es eigentlich geht. Sicher ist angeblich nur, dass es um Patersons Intimleben gehen soll. Koblins Twitter-Frage machte aus dem Klatsch eine Art öffentliche Nachforschung, die ein Eigenleben entwickelt.

Manchmal schicken Journalisten heute eine Frage über das Internet raus und nennen das Recherche. Erkundungen über die Stichhaltigkeit des Gerüchts, die eigentlich vor der Entscheidung über eine Veröffentlichung steht, machen das Gerücht bereits öffentlich. Im Fall Paterson entstand eine verhängnisvolle Gleichzeitigkeit. Hatte jemand Interesse daran, Gerüchte in die Welt zu setzen?

Sex? Drogen?

Medien berichten nun prominent über Gerüchte um den Gouverneur, ohne sagen zu können, von was die Sache handelt. Sie spekulieren: Sex? Drogen? Alle greifen die Twitter-Frage von Koblin auf und rechtfertigen damit ihre Berichte. New York Post, Daily News, Talkradio, Huffingtonpost.com, AP, Reuters, die Online-Ausgabe der Washington Post - alle berichten. Sie nennen die Gerüchte Gerüchte, das schon. Aber sie verbreiten sie und sie befördern den Rufmord.

Paterson sah keine andere Möglichkeit, als die Times aufzufordern, doch bitte endlich zu berichten, was es über ihn zu enthüllen gebe - oder zu schreiben, dass es nichts zu enthüllen gebe. Er tat dies vor einer Woche, wieder öffentlich in einer Pressekonferenz. Es war ein weiterer bizarrer Auftritt in der Bundeshauptstadt Albany.

Gerücht des Gerüchts

In der Lewinsky-Affäre des ehemaligen Präsidenten Bill Clinton hatte der Online-Dienst Drudge 1998 vorschnell berichtet, was das Nachrichtenmagazin Newsweek angeblich berichten werde und damit die Affäre ausgelöst. Damals formulierte Drudge aber auch, worin das Gerücht bestand. Die New York Times musste sich nun dafür rechtfertigen, dass sie nicht berichtet, was sie vielleicht berichten werde.

Am Dienstag vergangener Woche veröffentliche die Zeitung eine Erklärung, wonach sie nicht dafür verantwortlich sei, was andere berichten. Um das mitzuteilen, musste auch sie angebliche Gerüchte erwähnen und schrieb vom "Gerücht eines Gerüchts", das Feuer fange.

Den Gerüchten nicht entgegentreten

Dem Ombudsmann der New York Times, Clark Hoyt, bietet der Vorfall nun Gelegenheit, einen versöhnlichen Ton anzuschlagen. Während er vor einer Woche dem Chefredakteur Bill Keller die Versetzung des Korrespondenten in Israel empfahl, gab er der Zeitung diesmal recht. Keller habe richtig gehandelt, indem er zu den Gerüchten schwieg.

Hoyt berichtete auch, Gouverneur Paterson habe mit der zuständigen Redakteurin der Times telefoniert, die ihm versicherte, das Porträt, an dem die Times arbeite, werde nichts in der Art der derzeit zirkulierenden "schlüpfrigen Gerüchte" enthalten, aber sie werde den Gerüchten auch nicht entgegentreten. Chefredakteur Bill Keller betont, Berichte über Gerüchte würden nur dazu führen, dass man diese Gerüchte verbreitet, nicht zum Gegenteil. Das bedeutet: Sobald die Times berichten würde, über den Gouverneur existierten Gerüchte über Sex und Drogen, die man nicht bestätige, hätte sie die Gerüchte bereits verbreitet.

Genau das haben die Times und Hoyt nun aber irgendwie doch getan.

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