Regierungssprecher Seibert:Immer in Merkels Nähe

Kanzlerin Merkel besetzt den Sprecherposten mit dem ZDF-Moderator Steffen Seibert. Bekommt er dasselbe Vertrauen der Kanzlerin wie sein Vorgänger?

D. Brössler, D. Esslinger, S. Kornelius und C. Tieschky

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sich viele Wochen Zeit gelassen mit einer der wichtigsten Personalentscheidungen ihrer zweiten Amtszeit. Nach sechs Jahren im Kanzleramt kracht es in der Koalition, und die Regierungschefin gerät unter Druck - auch weil ihr wichtige Berater abhanden kommen. Der neue Kanzleramtschef Ronald Pofalla wird bereits als Fehlbesetzung gehandelt, ihr europapolitischer Berater Uwe Corsepius wird spätestens in einem Jahr nach Brüssel wechseln. Und dann verkündete Regierungssprecher Ulrich Wilhelm seinen Abschied aus der Führungsebene des Kanzleramts, um die Intendanz des Bayrischen Rundfunks zu übernehmen.

FILE - Steffen Seibert Becomes New Government Spokesman

Vom ZDF ins Kanzleramt: Moderator Steffen Seibert wird neuer Regierungssprecher. Der öffentlich-rechtliche Sender reagiert kühl.

(Foto: getty)

In diesem kritischen Augenblick kommt Hilfe aus Mainz: Steffen Seibert übernimmt im August das Amt des Regierungssprechers. Aber wird er auch die Vertrauensstellung einnehmen, die Vorgänger Wilhelm gegönnt war? Merkel machte lange Zeit den Eindruck, als bekümmere sie die Personalie nicht. Erst nach der Wahl des Bundespräsidenten begann sie aktiv mit der Personalsuche. Dabei war die Stellenbeschreibung denkbar kompliziert: Der Neue muss nicht nur die Medien-Jagdmeute in Berlin bedienen, er muss auch ein Amt mit 500 Mitarbeitern leiten und Merkel in den schwierigsten politischen Fragen beraten.

Weil Seibert als eigener politischer Kopf bisher nicht auffiel und auch keine Erfahrung im politischen Beratungsgeschäft hat, gibt es Zweifel, ob Merkel ihm die gleiche Nähe ermöglichen wird wie Wilhelm. Die Kanzlerin, so heißt es in ihrer Umgebung, gewöhne sich eigentlich nicht mehr an neue Köpfe. Sie vertraut ihren engsten Ratgebern blind. Ob Seibert im Jahr sechs der Kanzlerschaft in diese Intimus-Rolle hineinwachsen kann, ist fraglich. Die anderen Rollen sind fest besetzt, sechs Jahre harte Arbeit haben etwa die Abteilungsleiter im Kanzleramt eng zusammenrücken lassen.

Auch bei Seiberts bisherigem Arbeitgeber löste der Wechsel eine heftige Debatte aus. Seibert informierte am Freitagmittag den Sender, aber seine Auskunft bestand nicht darin, dass er ein Angebot habe - sondern er präsentierte vollendete Tatsachen. Chefredakteur Peter Frey, 52, seit April in dieser Funktion, hat die Entscheidung erkennbar nicht gefallen - das zeigte sich in der Art, wie er und der Sender am Samstag auf die Personalie reagierten. In der heute-Sendung um 19 Uhr wurde eine Meldung aus exakt zwei Sätzen verlesen. Die Zuschauer wurden mit der blanken Nachricht vom Abschied des Moderators vertraut gemacht - sein Arbeitgeber entschied sich für dieselbe Hingabe, mit der man einen Wechsel im Präsidentenamt von Burkina Faso verbreitet hätte.

Noch bezeichnender waren aber die Formulierungen, die Chefredakteur Frey in seinem offiziellen Statement verwendete. Er bedaure, dass Steffen Seibert "seine Perspektive nicht im Journalismus gesehen hat". In dem Satz kam die grundsätzliche Skepsis zum Ausdruck, die im deutschen Journalismus immer noch gegenüber Kollegen herrscht, die den Journalisten- gegen den Sprecherberuf tauschen: Derlei gilt nicht bloß als Jobwechsel, sondern als endgültige Aufgabe eines Berufswegs - als ob einer damit Urteilsvermögen und gedankliche Unabhängigkeit aufgäbe. In der Tat gibt es aber kaum Journalisten in Deutschland, die Pressesprecher wurden und später noch einmal den Weg zurück in den Journalismus fanden.

Von der Kamera zum Telefon

Frey setzte aber noch eins drauf. Er sagte, Seibert nehme nun "die bundesweite Bekanntheit, die er auf dem Schirm als Moderator von heute und heute-journal erworben hat, und die damit verbundene Kompetenz und Glaubwürdigkeit mit in seine neue Aufgabe". Das hörte sich an, als wechsle der Kollege zu einem Betreiber von Spielhöllen, als benutze er all den Glanz, mit dem das Zweite Deutsche Fernsehen ihn in den vergangenen zwei Jahrzehnten ausstaffiert hatte, um nun im Halbseidenen sein Geld zu machen. Der unionsdominierte Verwaltungsrat des ZDF hatte im vergangenen Jahr eine weitere Amtszeit von Freys Vorgänger Nikolaus Brender blockiert; dieser sprach daraufhin von einem "Spitzelsystem" der Parteien im Sender. Und nun wechselt ausgerechnet eines der bekanntesten Gesichter des Senders in Richtung Union.

Seibert sagte, er nehme die Aufgabe an, "weil ich überzeugt bin, dass die Bundesregierung unter Führung von Bundeskanzlerin Angela Merkel die richtigen Schwerpunkte setzt, um unserem Land in diesen schwierigen Jahren eine gute Zukunft zu sichern". Ob er mit dieser Einschätzung noch zum Gewinner des Jahres wird, muss sich erst noch erweisen. In Mainz jedenfalls wissen sie jetzt, was für einen neuen Chefredakteur sie haben: einen, der aller Welt mitteilt, dass er nicht gerne verliert.

Für Seibert wiederum bedeutet der Wechsel eine erhebliche Umstellung. Das wichtigste Werkzeug des Regierungssprechers ist nicht die Kamera, sondern das Telefon. Die Auftritte während der Regierungs-Pressekonferenzen sind wichtig, noch wichtiger aber ist die Arbeit im Verborgenen. Er hält Kontakt zu den Journalisten, versorgt sie mit Informationen, die sie häufig nicht direkt verwenden dürfen, die aber Verständnis wecken sollen für bestimmte Entscheidungen.

Als Regierungssprecher muss der Fernsehmann Seibert auch die Stimmung der Hauptstadtpresse spüren und versuchen, sie im Sinne der Kanzlerin zu beeinflussen. Seine Wirksamkeit hängt dabei ab von seiner Glaubwürdigkeit. Und Glaubwürdigkeit entsteht über die Nähe zur Macht. Vorgänger Wilhelm nahm an allen wichtigen Treffen der Kanzlerin teil. Daran wird man Seiberts Stellung im Kosmos der Macht messen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: