Neuer "Focus"-Chef:Münchner Dämmerung

Lesezeit: 4 min

Von ihm wird gesagt, dass er den Focus klar positionieren will: Ulrich Reitz, der designierte Chefredakteur des Magazins. (Foto: dpa)

Jörg Quoos wollte den "Focus" näher an Berlin rücken, doch jetzt beerbt ihn Ulrich Reitz. Von dem ist überliefert, dass er auf eine ordentliche Portion "Biergarten" setzt. Zu dem Magazin passt er gut.

Von Claudia Fromme

Dass sich Jörg Quoos ausgerechnet in Berlin vom Focus verabschiedet, ist so zufällig wie symbolträchtig. Jeden Dienstag um 10.30 Uhr konferiert die eine Hälfte der Redaktion in der Hauptstadt, es geht um die großen Themen im Blatt der kommenden Woche. Die andere Hälfte der Redaktion sitzt in ihrem Konferenzraum im Münchner Arabellapark und schaut den Berlinern über eine Videoleitung zu.

Am Dienstag sahen die Münchner also, wie Quoos sich nach anderthalb Jahren als Chefredakteur verabschiedete und Geschäftsführer Burkhard Graßmann sagte, dass Ulrich Reitz neuer Chefredakteur wird.

Quoos, 51, hat die halbe Redaktion des Focus von München nach Berlin verpflanzt, die Kultur und die Politik sind seit Juni komplett dort, um näher zu sein an den Näpfen der Macht und deren Nachrichtenmaschine. So jedenfalls die Überlegung, die sicherlich nicht ganz falsch ist.

Vielleicht war Berlin aber auch einfach das größte Missverständnis beim Focus.

In diesen unruhigen Zeiten mit sinkenden Auflagen ist viel die Rede von der DNA von Medien. Ulrich Reitz sei "ein renommierter und erfahrener Journalist, der die Focus-DNA in sich trägt", erklärte der Burda-Vorstand Philipp Welte am Dienstag. Ruft man Helmut Markwort an, den Gründer und Herausgeber des Magazins, sagt er, dass Ulrich Reitz, 53, "in schwierigen Zeiten der absolut richtige Mann" sei, eben weil er den Focus "in den Genen" habe. Immerhin sei er Gründungsmitglied des Magazins gewesen, 1992, als es noch "Zugmieze" hieß und Reitz dann Leiter des Bonner Parlamentsbüros wurde. Markwort jedenfalls "unterstütze ihn voll". Auch Verleger Hubert Burda soll Reitz schätzen.

Neue Chefs mit richtiger DNA

Nach nur 15 Monaten wurde Dominik Wichmann unlängst als Chefredakteur des Stern geschasst und ersetzt durch Christian Krug, von dem die Vorstandsvorsitzende von Gruner + Jahr, Julia Jäkel, sagt, er trage "die DNA des Stern in sich", auch deshalb, weil er früher Reporter des Magazins war.

Und beim Spiegel sprechen sich mehr als 80 Prozent der Redakteure gegen das Konzept ihres Chefredakteurs Wolfgang Büchner aus, unter anderem auch, weil er, so sagt ein Ressortleiter aus Hamburg, "keine Spiegel-DNA" in sich habe, kein Gen für die großen investigativen Geschichten.

Der Stern stand einmal für die großen Reportagen, der Spiegel für den nüchternen politischen Titel, der Focus war der barocke Gegenentwurf zur Hamburger Kühle.

Die alten Parameter des Journalismus mögen nicht mehr gelten, aber der Spiegel und der Stern fangen viel durch immer noch relativ kommode Auflagen auf, der Focus nicht. Dass Jörg Quoos die treibende Kraft für den Umzug nach Berlin war, hat ihn dem Vernehmen nach viele Sympathien bei Verleger Hubert Burda und Herausgeber Helmut Markwort gekostet - und zusammen mit seinem Sparkurs auch in der Redaktion für große Unruhe gesorgt. Dass er als Chefredakteur die Auflage des Magazins nicht steigern konnte, soll dem Vorstand besonders sauer aufgestoßen sein. Angeblich war eine der Zielmarken bei seinen Start im Januar 2013, in einem branchenweit rückläufigen Geschäft mindestens 100.000 Exemplare pro Woche im Einzelverkauf zu halten. Im zweiten Quartal 2014 verkaufte sich der Focus 77 500 Mal. Als Quoos startete, waren es noch 105 419 Exemplare, vor zehn Jahren waren es noch fast 200 000 Stück. Jörg Quoos ist ein zäher Kämpfer, ein Arbeitstier, das auch von seiner Redaktion viel verlangt. Der Focus konnte unter seiner Führung einige Scoops landen, so enthüllte das Magazin zum Beispiel den Schwabinger Nazi-Schatz von Cornelius Gurlitt und deckte die Steueraffäre von Uli Hoeneß auf - auf die Auflage hatte das praktisch aber keinen Effekt, in der Wahrnehmung des Magazins auch zu wenig. Dass Cornelius Gurlitt selbst davon ausging, dass der Spiegel alles enthüllt hatte und er sich daher in einem Brief an ihn wendete, ist für die Rechercheure vom Focus so kurios wie bitter.

Auch andere können Service

Jörg Quoos wollte den Focus viel stärker politisch positionieren - um ihn dann wieder massiv auf Service zu trimmen. Die letzten Titelgeschichten waren Focus-Klassiker: "So bleibt die Ehe glücklich" und "Schöne Zähne, gesunde Zähne". Aber auch die Hoheit über den Service hat der Focus nicht mehr. Einer der erfolgreichsten Spiegel-Titel in diesem Jahr war bislang derjenige zum Thema Bewegung und Arthrose.

In der Mitteilung Burdas zum Chefredakteurswechsel steht neben warmen Worten zum "exzellenten Journalisten", der das Magazin "maßgeblich reformiert" habe, dass Quoos und das Unternehmen "unterschiedlicher Auffassung bezüglich der künftigen Ausrichtung des Magazins" seien. Nach einer friedlichen Trennung klingt das nicht. Reitz trete mit dem Auftrag an, "das Profil des Magazins als meinungsbildende Stimme zu schärfen".

Das ist es wohl, was fehlte. Wer Reitz kennt, weiß, dass er mit deutlicher Stimme und Meinung spricht, ins politische Portfolio eines konservativen Magazins wie dem Focus passt er ausgezeichnet - und eng verbandelt mit Helmut Markwort ist er sowieso. Nach seiner Frühzeit bei dem Münchner Magazin und seiner Station in Bonn übernahm Reitz die Chefredaktion der Rheinischen Post. Von 2005 bis Juni 2014 war er Chefredakteur der sozialdemokratischen WAZ in Essen, bis ihn Andreas Tyrock dort ersetzte.

Reitz ist nach Markwort bereits der vierte Chefredakteur des Focus, der Gründer hatte sich vor vier Jahren aus der Chefredaktion zurückgezogen.

Jörg Quoos mag, so steht in der Pressemitteilung zu seiner Ablösung, "eine Trendwende in der Auflagenentwicklung" herbeigeführt haben, jedenfalls sollen das die neuen Zahlen vom September zeigen. Der Stärkung der Marke Focus diente sein Kurs aber nicht durchweg, so sollen es jedenfalls Vorstand und Verleger sehen, die mehr nach vorne als zurück blicken.

Vom kommenden Januar an wird der Spiegel am Samstag erscheinen, angeblich habe Jörg Quoos kein schlüssiges Konzept entwickelt, wie der Focus darauf reagieren solle. Auch wenn man einiges an Lob, vor allem aus dem Berliner Büro, für Quoos hört, gibt es auch Kritiker in der Redaktion, die seine Fixierung auf reine Nachrichten monieren, und diese seiner vorherigen Tätigkeit als stellvertretender Chefredakteur der Bild-Zeitung zuweisen. Es mangele an echten Magazingeschichten, man wisse nicht mehr so recht, wofür der Focus stehe. Wie Ulrich Reitz bei seinem Start im Oktober den Focus angehen wird, will er nicht erörtern, er möchte erst mit der Redaktion reden, teilt er mit. Seine Vorstellungen sind aber bekannt. Er will, so wissen manche beim Focus, das Magazin wieder als Blatt mit wirtschaftsliberaler Stimme positionieren. Statt einer kühlen Nachrichtenfabrik, die vor allem vom Tagesgeschäft getrieben ist, setze er auch auf "eine Portion Biergarten", was man ja durchaus mal für die DNA des Münchner Magazins halten konnte.

© SZ vom 27.08.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: