Neue Umsatzträger für Nachrichtenagenturen:Zielgruppe Zocker

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Wenn die Zeitungsauflagen zurückgehen, verlieren auch Nachrichtenagenturen Einnahmen. Um dem Umsatztief zu entkommen, werden manchmal überraschende Geschäftsbereiche erschlossen - wie zum Beispiel ein Service für Pferdewetten.

René Martens

Zur klassischen Zielgruppe von Nachrichtenagenturen, die Medienunternehmen mit Meldungen beliefern, hat der Zocker bisher nicht gehört. Doch die australische Nachrichtenagentur AAP bietet tatsächlich einen Service für Pferdewetten. Wer sich auf der Website aapmegaform.com registriert, bekommt freien Zugang zu Auswertungen aller wichtigen Rennergebnisse aus Australien, Neuseeland und Hongkong. Züchter, Buchmacher und andere Branchenvertreter, die noch speziellere Informationen benötigen, müssen entsprechende Dienstleistungen kostenpflichtig abonnieren.

Pferderennen auf der Galopprennbahn in München Riem. (Foto: Claus Schunk)

Das klingt exotisch, ist aber nur ein Indiz dafür, dass für Nachrichtenagenturen beim Kampf um den Umsatz Aktivitäten jenseits des klassischen News-Geschäfts wichtiger werden. Der Grund für diese Entwicklung sind die strukturellen Probleme der klassischen Medienkunden. "Die Bemessungsgrundlage für unsere Tarife ist die verkaufte Auflage, und die geht bekanntlich zurück", sagt Thorsten Matthies, bei dpa Vertriebsleiter fürs Inland. "Dadurch geht uns jedes Jahr Umsatz verloren, was wir an anderer Stelle kompensieren müssen." Das geschehe beispielsweise durch die Zusammenarbeit mit "Businesskunden".

Unter anderem diese Gruppe versucht dpa seit Februar dieses Jahres mit ihrem Service Insight EU zu erreichen. Die dort tätigen Redakteure haben die Aufgabe, ausführlich die Regulierungsmaßnahmen aufzubereiten, die in Brüssel zur Debatte stehen. "Die Korrespondentenberichte unseres Brüsseler Büros sind für einen normalen Medienkonsumenten völlig ausreichend, aber nicht für den Fachmann. Geschäftsführer, Vorstandsmitglieder und Aufsichtsräte müssen mehr wissen. Zum Beispiel im Detail, wer im Vorfeld der oft komplexen Entscheidungsprozesse welche Position vertritt", sagt Matthies. Potenzielle Kunden sind, neben Unternehmen, Parlamente, Ministerien, NGOs oder Think Tanks. Wer konkret den noch recht jungen Dienst abonniert hat, will Matthies allerdings nicht verraten.

Wie wichtig das neue Angebot für die Agentur ist, zeigt ein Blick auf die Personalstärke. Zum Insight-EU-Team gehören fünf Mitarbeiter, die reguläre dpa-Redaktion in Brüssel besteht aus sechs Journalisten. Anfang dieses Monats hat man den möglichen Kundenkreis noch einmal erweitert, weil es Insight EU nunmehr auch in englischer Sprache gibt.

Dies ist nur ein Beispiel für die Internationalisierung und thematische Erweiterung des Agenturgeschäfts: Die Nachrichtenagenturen TT (Schweden) und NTB (Norwegen) betreiben die Firma Retriever, die Pressespiegel erstellt und Marktforschung betreibt und auch in den baltischen Ländern aktiv ist. Peter Löw, einer der beiden Inhaber der in Berlin ansässigen dapd, betont in einem Strategiepapier, sein Unternehmen habe sich "von dem überkommenen Stigma einer bloßen Nationalagentur emanzipieren" können - durch Aktivitäten auf dem französischen Markt, etwa den Kauf der Bildagentur SIPA.

Und die österreichische APA, im Besitz dortiger Medienunternehmen und somit das Pendant zur hiesigen dpa, entwickelt Smartphone-Applikationen, die sie grenzüberschreitend verkauft. So bietet die Regionalzeitung Augsburger Allgemeine seit Mai eine App für iPad, iPhone und Android-Geräte an, die von der österreichischen Nachrichtenagentur stammt.

APA war früher als andere gezwungen, sich in andere Geschäftsbereiche auszudehnen, weil die mit Abstand bestverkaufte Zeitung des Landes, das Boulevardblatt Kronen-Zeitung, nicht zu den sogenannten Basiskunden der Agentur gehört. Mit Nachrichten und Fotos mache man 40 bis 45 Prozent des Umsatzes, schätzt Geschäftsführer Peter Kropsch. Der große Rest kommt von verschiedenen APA-Tochterfirmen, die Medienunternehmen Dienstleistungen nahezu aller Art anbieten: vom Server-Hosting bis zum Weiterverkauf von Fotoproduktionen. Die Entwicklung ähnelt der bei manchen Printverlagen, die längst auch mit dem Verkauf von Wein oder Tierfutter Geld verdienen.

Bei dpa dagegen spielt das klassische Nachrichtengeschäft auch heute noch eine wesentlich größere Rolle als bei den Kollegen in Österreich. 20 Prozent seines Umsatzes macht der hiesige Marktführer im Geschäft mit nicht-medialen Partnern. Neu sind solche Kooperationen nicht, aber ihre Bedeutung ist angesichts der Krise in der Medienbranche gewachsen.

Zu einem weiteren Trend könnte sich die gleichberechtigte Zusammenarbeit von Zeitungen und Agenturen bei Sonderprojekten entwickeln. Aktuell arbeiten gerade bei den Olympischen Spielen die New York Times und die Agentur Reuters in der Online-Berichterstattung zusammen. Ihr opulentes Daten- und Foto-Angebot verkaufen sie, komplett oder in Teilen, international weiter - etwa an den staatlichen TV-Sender CBC in Kanada.

Hinzu kommt, dass dpa und Co. für Kunden aus verschiedenen Bereichen immer mehr sogenannte schlüssel- beziehungsweise pfannenfertige Inhalte anbieten, also längst nicht mehr nur klassische Agenturberichte, die in Redaktionen weiterverarbeitet werden. Die Fertigprodukte liefern die Agenturen Unternehmen, die redaktionelle Inhalte anbieten, aber gar keine eigene Redaktion haben. Das gilt für Internetportale von Telekommunikationsunternehmen oder jenen Bereich, für den sich der sperrige Neologismus Digital Out of Home (DOOH) eingebürgert hat. Damit bezeichnet man die Bewegtbild-Programme, die auf Bahnhöfen und Flughäfen, in Tankstellen und Fitnessstudios zu sehen sind.

Die deutsche Tochter der öffentlich-rechtlichen französischen Agentur AFP liefert zum Beispiel bundesweit Fernsehprogramme für eine große Fitnessstudiokette. Für AFP Deutschland sei das einer der fünf wichtigsten Umsatzbringer, sagt Clemens Wortmann, der Geschäftsführer. Der Bereich DOOH ist aber nicht unbegrenzt ausbaufähig, weil hier teilweise Nachrichtenagenturen und ihre - potenziellen - Kunden aus der Medienbranche konkurrieren. Der Sender n-tv produziert zum Beispiel ebenfalls das Programm für eine Fitnessstudiokette.

Ist durch Kooperationen mit Unternehmen und Institutionen, die keine Medienunternehmen sind, die Unabhängigkeit der Berichterstattung bedroht? Wie kann eine Agentur neutrale Nachrichten über Organisationen produzieren, mit denen sie an anderer Stelle kooperiert? APA-Geschäftsführer Peter Kropsch meint, dass eher umgekehrt ein Schuh draus werde - und dass die Nebengeschäfte das Kerngeschäft stützen. "Unabhängigkeit entsteht erst durch wirtschaftliche Stärke", sagt er.

AFP-Geschäftsführer Wortmann sieht eher eine Gefahr darin, dass Agenturen immer stärker zu sogenannten Direct Publishern werden. Schließlich besteht nicht nur das TV-Programm, das man auf Bahnhöfen oder auf dem Laufband in manchen Fitnessstudios sieht, aus purem Agentur-Material - auch die überregionalen Inhalte auf den Websites regionaler Tageszeitungen werden oft automatisch durchgeleitet, ohne dass noch jemand beim Kunden daran arbeiten muss.

Dass Agenturen vermehrt als direkte Inhalteanbieter agieren, könne vor allem in kleineren Ländern gefährlich werden, in denen es nur eine Agentur gibt, die Inlandsnachrichten liefert, meint Wortmann. Solche Monokulturen existieren in vielen kleineren Ländern, etwa in Österreich, der Schweiz und Belgien. Und das könnte vielleicht doch noch entscheidender sein als eine Agentur, die nebenbei über Pferdewetten informiert.

© SZ vom 07.08.2012/pak - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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