Protokolle des Bösen:Wahre Triebe

'Protokolle des Boesen' Shooting With Michaela May For German TV Channel A&E

Kranke Schwester: Michaela May hat in ihrer Rolle Patienten getötet.

(Foto: Jörg Koch/Getty Images/A&E)

Die Serie versucht, das Genre "True Crime" nach Deutschland zu übertragen.

Von Katharina Riehl

Unter der Marke der Hamburger Politik-Illustrierten Stern erscheint seit dem vergangenen Jahr ein Heft, von dessen Erfolg der Verlag Gruner + Jahr auf Tagungen und in Interviews so viel lieber erzählt als von den Krisen einiger anderer Produkte. Stern Crime erscheint alle zwei Monate, findet mehr als 80 000 Käufer und bedient ein Genre, mit dem man derzeit offenbar kaum scheitern kann. Alle großen amerikanischen Sender und Videoplattformen investieren in Dokumentation über reale Mörder und Ermittlungen, über historische Verbrechen genauso wie aktuelle. Die Macher der Serie Making a Murderer forschten monatelang zu einem möglicherweise unschuldig Verurteilten Amerikaner und gewannen gerade vier Emmys.

Dass das Genre "True Crime" auch im Tatort-Land Deutschland funktionieren kann, liegt nahe, denn im Grunde sind die Sendungen und Magazine natürlich auch nur Krimi mit anderen Mitteln. Im deutschen Fernsehen allerdings sieht "True Crime" bislang aus, wie Dinge im deutschen Fernsehen eben häufig aussehen: Bei den Privaten werden einzelne Mordfälle nacherzählt und nachgestellt, rechts im Bild sitzende Sachverständige werden ergebnislos befragt, alles ist unterlegt mit mörderischer Musik. Und im öffentlich-rechtlichen Programm? Da läuft Aktenzeichen XY ... ungelöst.

Da ist ästhetisch noch Luft, weshalb der Sender A&E an diesem Wochenende nun eine neue Serie ins Programm nimmt, für die der deutsche Bezahlkanal seit Monaten so begeistert PR-trommelt, als habe man einen bisher unbekannten Fall von Horst Schimanski im Archiv gefunden. Tatsächlich ist Protokolle des Bösen aber nicht mehr als ein kleines und in vielerlei Hinsicht äußerst deutsches Herantasten an eine neue Art des Fernsehens.

Zwei Menschen, ein Tisch - und Einblicke in Seelen von Mördern

Die Idee der sechsteiligen Serie funktioniert so: Ein Herr namens Stephan Harbort, ein medial schon vorerfahrener Kriminalist und laut Sender "Experte für Serienmorde", stellt seine eigenen Vernehmungsgespräche nach, die er in Justizvollzugsanstalten und psychiatrischen Einrichtungen geführt hat. Seine Gegenüber spielen bekannte deutsche Schauspieler, Michaela May ist eine Krankenschwester, die Patienten tötete; Uwe Ochsenknecht ein Raubmörder und Fritz Wepper ein Mann, der innerhalb weniger Stunden drei Menschen ermordete. "True Crime" also, wahre Kriminalfälle, für den deutschen Fernsehzuschauer aber serviert mit prominenten Gesichtern.

Das ist alles keine schlechte Idee, aber so richtig gelungen ist Protokolle des Bösen nicht, weil der kleine Bezahlsender einer vor allem im gebührenfinanzierten Programm grassierenden Fehleinschätzung folgt, dass man dem Zuschauer immer alles sehr genau erklären muss. Der Witz der Sendung ist eigentlich die totale Reduzierung des Handlung: zwei Menschen, ein Tisch, ein Thema - und der seltene Einblick in die Psyche eines Mörders. Stephan Harbort aber wendet sich immer wieder direkt an sein Publikum, als wäre er Frank Underwood, und erklärt ihm, was er jetzt als nächstes fragt und warum und wie man das dann zu verstehen habe.

Die Faszination der amerikanischen "True Crime"-Formate wie Making a Murderer und The Jinx liegt genau in der fehlenden Einordnung - darin, dass nicht wie sonntags im Tatort ein Kommissar die gewesenen und kommenden Ermittlungsschritte in mühsamen Dialogen aufbereitet. In der aktuellen Ausgabe von Stern Crime findet sich ein viele Seiten langes Protokoll eines realen Verhörs, ein Ermittler entlockt seinem anfangs sehr selbstsicheren Gegenüber nach und nach das Geständnis mehrerer Morde. Ohne Erklärung, ohne Metaebene, nur das Gespräch. Der Text ist keine journalistische Großtat, das Verhör findet man bei Youtube. Aber, anders als Protokolle des Bösen, ist es sehr gute Unterhaltung.

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