Neue Plattform:Eine Art Netflix für Klassik-Fans

Von Karajan

Karajan als Wunschprogramm: Ein Klassik-Portal macht's möglich.

(Foto: Erich Auerbach/Getty Images)

Opern, Konzerte, Ballett: Wer sich für diese Welt der Musik interessiert, kann beim Klassikportal "myfidelio" sein Programm selbst zusammenstellen.

Von Harald Eggebrecht

Das macht schon Spaß, dem großen Leonard Bernstein dabei zuzusehen, wie er 1976 John Philip Sousas berühmten Marsch "Stars and Stripes" mit den New Yorker Philharmonikern darbietet: rasch, wach und bei allem Geschmetter gesanglich und witzig. Oder jene "Linzer" Symphonie von Wolfgang Amadé Mozart, wie sie im Wiener Musikvereinssaal der geheimnisumwitterte Carlos Kleiber 1992 so ge- wie entspannt dirigiert, und die Wiener Philharmoniker folgen ihm aufs Wort.

Wer sich für diese Welt der Musik interessiert, kann beim Klassikportal "myfidelio", das seit ein paar Tagen fürs Internet freigeschaltet ist, Opern, Konzerte, Dokumentationen und Ballettproduktionen sehen, nach eigener Wahl. Nach sieben Tagen gratis Ausprobieren soll dann abonniert werden. Das heißt, der Konsument kann aus dem "myfidelio"-Angebot auswählen, vor allem Film- und TV-Produktionen des ORF und der Firma Unitel. Das Angebot wird alle drei Tage aufgestockt.

Es gibt eine Menge aus den Zeiten eines Herbert von Karajan oder Aufnahmen mit Karl Richter und dem Münchner Bachchor. Da lässt sich rasch feststellen, was es für ein Schock gewesen sein muss, als Richters schweres Bachbild der 1960er-Jahre vom neuen, erregten Standard eines Nikolaus Harnoncourt abgelöst wurde. Außerdem gibt es viele Live-Mitschnitte von Bernsteins Mission, den Wiener Philharmonikern Gustav Mahler nahezubringen.

Unter den Dokumentationen überrascht ein Gespräch am Flügel, das Karajan mit dem blutjungen Joachim Kaiser 1966 führte über Antonin Dvořáks 9. Symphonie "Aus der Neuen Welt" (Regie: Henri-Georges Clouzot). Oder es gibt Porträts wie das des preußenvernarrten Christian Thielemann oder der Belcantistin Edita Gruberová. Im Ballett-Sektor bezaubert unter anderem das legendäre Paar Rudolf Nurejew/ Margot Fonteyn in "Schwanensee".

Bisher gibt es also viel Vergangenheit. Aber, so Geschäftsführer Johannes Everding, man sei eine "Plattform", die möglichst abwechslungsreich und offen für Neues sei, auch für neue Musik. Das ist nötig, denn glamouröse Festivalproduktionen etwa aus Salzburg, Bayreuth, auch Tanglewood und Aix-en-Provence sind nur eine Facette. So steht bisher das Standard-Repertoire mit Staraufgebot im Vordergrund. Es wäre schön, wenn mehr Kammermusik aus allen Zeiten in der "Klassithek" erschiene, mit verschiedensten Ensembles und Solisten, damit der mainstream-Geschmack nicht vorherrscht. Dass "Fidelio" klanglich und bildtechnisch alles auf Youtube verblassen lässt, ist klar.

Spannend wird es dann, wenn auch Außenseiter und Spezialisten erscheinen, historische Aufnahmen und Live-Mitschnitte aus aller Welt gebracht werden. Dazu gehören wichtige Musikfilme etwa von Tony Palmer, Bruno Monsaingeon und anderen, Gespräche über Musik und den Betrieb.

Es gibt also noch einiges zu tun, um aus diesem vielversprechenden Anfang ein vielfältig wachsendes und die Neugier lockendes Programm zu machen für Laien wie Kenner.

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