Neue Netflix-Serie "Atypical":Die Einsamkeit der Pinguine

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Kopfhörer gegen zu viele Sinneseindrücke: Keir Gilchrist als autistischer Teenie Sam in Atypical.

(Foto: Greg Gayne/Netflix)

Niemand ist normal: Die Netflix-Serie "Atypical" erzählt von einem Autisten in der Pubertät. Ein kluges Konzept, das allerdings nicht halten kann, was es verspricht.

Von Luise Checchin

Zwei Wünsche hat der achtzehnjährige Sam: die Antarktis erforschen und eine Freundin finden. Wobei ihm die Sache mit der Antarktis realistischer erscheint. Denn Sam, Protagonist der Serie Atypical, hat Autismus.

Es fällt ihm leicht, die Eigenschaften von Polareis zu studieren oder das Paarungsverhalten von Pinguinen. Ein Mädchen anzusprechen gehört nicht zu seinen Kernkompetenzen. Sam hat Schwierigkeiten, die Emotionen seines Gegenübers einzuordnen, an belebten Orten trägt er Kopfhörer, weil ihn die Eindrücke sonst überfordern, und anstatt Smalltalk zu machen, neigt er zu schonungsloser Ehrlichkeit.

Auf den ersten Blick ist das Konzept von Atypical bestechend. In Sams Schicksal kristallisieren sich viele Probleme, die auch ein durchschnittlicher Jugendlicher hat, nur sind sie eben um ein Vielfaches intensiviert.

Schließlich hat jeder in der Pubertät das Gefühl, anders zu sein, und auch die Regeln amouröser Interaktion gilt es erst einmal zu erlernen. Wenn Sam also in fragwürdigen Youtube-Videos Anmachsprüche studiert oder mit seiner Therapeutin ein möglichst natürliches Lächeln trainiert, gibt es einiges an Identifikationspotenzial. "Niemand ist normal", bekommt Sam folgerichtig als Trost zu hören, als sein erster Körperkontakt mit einem Mädchen in der Katastrophe endet.

Ähnliches gilt für Sams Umfeld. Sams Schwester, eine talentierte Athletin, bekommt von den Eltern wenig Aufmerksamkeit und auch das eheliche Liebesleben leidet unter den Sorgen um den autistischen Sohn. Der Grundkonflikt liegt allerdings auch hier in einer universellen Geschichte: der Schwierigkeit von Eltern, die heranwachsenden Kinder loszulassen.

Andersartigkeiten, die sich artig in die US-Kleinstadt-Fassade einfügen

Aber Atypcial leidet an einem uneingelösten Versprechen. Denn das Niemand-ist-normal-Gefühl der Pubertät vermittelt sich nicht. Obwohl die Serie neben Sam noch etliche Außenseiterfiguren präsentiert, ist jede Andersartigkeit eine gut ausgeleuchtete Andersartigkeit, die sich artig in die polierte US-Kleinstadt-Fassade einfügt.

Als würde die Serie selbst nicht so richtig an sich glauben, verliert sie sich mit jeder Folge mehr in abgegriffener Gefühligkeit. Sams Mutter verstrickt sich in die unvermeidliche Affäre mit einem jüngeren Barmann, Sams Romanze erreicht die ultimative Kitsch-Schmerzgrenze und als Zuschauerin fragt man sich irgendwann, ob eine Antarktis-Doku nicht die bessere Wahl gewesen wäre.

Atypical, auf Netflix.

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