Neue Nachrichtenagentur:Live aus Tripolis

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Informationen von Libyern über Libyen: Ein Reporter berichtet im August 2011 aus einem Hotel in Tripolis. (Foto: Paul Hackett/Reuters)

Die EU finanziert den Aufbau einer unabhängigen Agentur für Libyen. Woher das Geld für den laufenden Betrieb in Zukunft kommen soll, ist unklar.

Von Daniel Brössler

In der Rangliste der Pressefreiheit, welche die Organisation Reporter ohne Grenzen Jahr für Jahr aufstellt, drängeln sich auf den unteren Plätzen autoritäre Staaten, zu deren Markenkern immer auch das Gängeln der Medien gehört. Der libysche Journalist Tarek Abdul Salem al-Huni hat Erfahrung damit, er war zu Zeiten des Diktators Muammar al-Gaddafi Chefredakteur einer Wirtschaftszeitung. Heute ist al-Hunis Problem ein anderes: das Chaos. In Libyen gibt es derzeit zwei konkurrierende Hauptstädte, zahlreiche Milizen und nicht einfach nur eine gegängelte, sondern eigentlich gar keine richtige Medienlandschaft mehr. Auf der Rangliste von Reporter ohne Grenzen steht Libyen derzeit auf Platz 154 von 180, was vermutlich noch geschmeichelt ist. "Wir haben einen verzweifelten Mangel an Informationen", klagt al-Huni. Die Menschen in Libyen hätten keine Ahnung, was im eigenen Land vorgehe.

Der Journalist ist Chef eines Projekts, das mit modernen Mitteln Abhilfe schaffen soll - und das am Donnerstag in Brüssel offiziell gestartet wurde: die "Libysche Cloud Nachrichtenagentur" (LCNA). Die Europäische Union hat das Projekt mit 2,7 Millionen Euro finanziert, die Idee stammt von der Akademie der Deutschen Welle. Vorher seien alle Bemühungen gescheitert, unabhängigen Journalismus in dem nordafrikanischen Land zu etablieren, wie Christian Gramsch, Direktor der Akademie der Deutschen Welle, in Brüssel schildert. Direkt nach der Revolution in Libyen hatte sich die Akademie an dem Versuch beteiligt, aus dem Staatskanal Al Wataniya eine Art öffentlich-rechtliches Fernsehen zu machen. Als Mitte 2014 Tripolis vom islamistischen Morgenröte-Bündnis eingenommen wurde, geriet auch das Funkhaus in ihre Hände. Das Projekt war beendet. Seitdem, formuliert es Gramsch, "wird die libysche Öffentlichkeit im Dunkeln gelassen". Im Fernsehen sähen die Libyer nur noch Propaganda oder Belangloses. Mit der Folge, dass Gerüchte in den sozialen Netzwerken unwidersprochen gedeihen könnten.

Die LCNA soll Licht ins Dunkel bringen. Entscheidend ist dabei das "C" für Cloud: Die etwa hundert Reporter schicken ihr Material, hauptsächlich Videos, ins Ausland. Den einen Server oder die eine Zentrale, die lahmgelegt werden könnte, gibt es also nicht. Produziert werden sollen die Nachrichten überdies ausschließlich von Libyern. "Die Libyer brauchen Informationen über Libyen, und zwar von Libyern", sagt al-Huni, der zwischenzeitlich Exekutivdirektor des Staatsfernsehens war und 2014 ins Exil gehen musste. Die DW Akademie hat die über das ganze Land verstreuten Reporter in den vergangenen Monaten in Kursen im Ausland ausgebildet. Um dem Vorwurf vorzubeugen, dass Nachrichten aus dem Land manipuliert würden, sollen sie ihr Material ungeschnitten einsenden.

Unklar ist die künftige Finanzierung. Die EU hat kein weiteres Geld für die Zeit nach dem Aufbau in Aussicht gestellt. Die LCNA hofft auf zahlende Abnehmer.

© SZ vom 20.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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