Neue Chefin im ZDF-Hauptstadtstudio:"Jungs, lasst es gut sein"

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Frohe Ostern: Bettina Schausten hat sich in einer Männerdomäne bewiesen - und ihre Kollegen überholt. Sie wird neue Leiterin des ZDF-Hauptstadtstudios in Berlin.

Michael Jürgs

An diesem graupeligen Abend sitzt Bettina Schausten manchmal staunend neben sich, sobald sie aufzählt, wie glatt es eigentlich ging mit ihrer Karriere. Ein möglicher Hinweis, dass dies kein Zufall sei, weil neidfreie Kollegen sie für die Beste unter Guten halten, wäre ihr peinlich. Was soll sie dazu schon sagen. Dann bricht in der so angenehm Spröden aus Dingsda das wohlerzogene junge Mädchen aus dem katholischen Elternhaus im Münsterland durch. Da gilt seit jeher Sein statt Schein.

In Lüdinghausen, wo sie 1965 geboren ist, wurde sie unlängst nach ihrem kleinen Vortrag über die große Politik als "Tochter unserer Stadt" mit einem Eintrag ins Goldene Buch geehrt. Den Blick auf ihre Wurzeln gibt sie nur kurz frei, schwurbelt dabei nicht sentimental herum, sondern bleibt bodenständig: "Heimat ist da, wo alles ist wie früher, so als sei man erst gestern weggegangen."

Gläserklingendes Miteinander liegt ihr nicht

Aus der behüteten Enge weggegangen ist sie nach dem Abitur am örtlichen Canisianum, benannt nach dem Kirchenrechtler und Jesuiten Petrus Canisius aus dem 16. Jahrhundert. Aktuelle Bezüge zum Canisius-Kolleg in Berlin bleiben jetzt unerwähnt. Ihre Schulzeit prägte das Kreuz, ihr Vertrauen in den Gekreuzigten blieb.

Wie es die jüngste von vier Schwestern aus dem Ort, wo Kirchenglocken als Höhepunkt sonntäglichen Lebens gefeiert werden, in die brutal laute Großstadt verschlagen hat, ist also eine Erfolgsgeschichte. Man dürfte behaupten, dass die bodenständige Bettina Schausten von Gründonnerstag an, wenn sie ihren Job als Chefin des ZDF-Hauptstadtstudios beginnt - Bereitschaftsdienst über Ostern inbegriffen -, zu den mächtigen Frauen der Berliner Republik zählt.

Das würde sie nicht gern hören, das hinge ihr zu hoch. Sie neigt dazu, Abstand zu halten, auch den kritischen zu sich selbst. Bald jedoch wird sie qua Amt mitspielen müssen in der Inszenierung von "Du warst gut, wie war ich?" auf der Bühne medialer Deutungsträger zwischen Borchardt und Bundestag. Doch ginge sie lieber in ein richtiges Theater.

Mit Mächtigen auf Mikrofon- und Augenhöhe zu verkehren, entspricht eher ihrer Art als das gläserklingende Miteinander. Für Journalisten eigentlich selbstverständlich, denn Nähe macht bestechlich, aber was ist in diesem Beruf heute noch selbstverständlich?

Im links-rechts-schwarz-rot-öffentlich-rechtlichen Setzkasten jedenfalls wird sie unter schwarz eingeordnet. "Ich weiß, dass ich als schwarz registriert werde, aber die Einschätzung anderer ändert nichts an meiner Unabhängigkeit. Die ist Bedingung für meinen Job."

Bei den jüngsten Grabenkämpfen im ZDF, auf der einen Hälfte des Platzes die Bösen um Koch, auf der anderen die Guten um Brender, hat sie sich zwar auf die richtige Seite geschlagen, und auch, weil es um die Unabhängigkeit des ZDF ging, irgendwann aber gedacht, "Jungs, nun lasst es mal gut sein. Es geht ja nicht um Krieg und Frieden, Leben oder Tod."

Auf der Leiter nach oben ist noch Luft

Aber so sind Männer nun mal, egal ob Julius Caesar oder John Wayne, sie wollen immer High Noon und alles bis zum Ende austragen. Frauen tragen Konflikte mit sich aus, dann herum und lassen schließlich die Last fallen. Manchmal fällt die einem auf die Füße, manchmal auf den Kopf, manchmal bleibt sie einfach am Wegrand liegen.

Sie schiebt die Haare hinter die Ohren, zwirbelt ein paar Strähnen und legt betonend Wert auf die Feststellung, dass "ich noch nicht das Gefühl habe, nun in meinem Beruf angekommen zu sein, alles erreicht zu haben, was ich will", denn das würde ja Endstation Sehnsucht bedeuten. Was zweierlei Interpretationen erlaubt - auf der Leiter nach oben ist noch Luft oder aber sie wäre zufrieden, irgendwann wieder nur hinter statt vor der Kamera zu wirken.

Mediale Mächtige machen gern einen starken Eindruck. Macht jedoch ist auf Zeit verliehen und außerdem wie die Liebe eine höchst unsichere Kantonistin.

In diesem Zusammenhang erzählt Bettina Schausten nicht gar so zufällig von einem Moment, der ihr beim Blick in einen Spiegel mal ins Auge fiel: 1998, die TV-Elefantenrunde nach dem rot-grünen Wahlsieg ist beendet, Schröder, Lafontaine und Fischer wollen jetzt in Bonn die Niederlage des Alphatiers feiern, das schwergewichtig in der Maske des TV-Studios sitzt, um abgeschminkt zu werden. Kohl muss warten, denn die Sieger haben Vorrang. Er hat es begriffen. Im Spiegel verlieren sich seine Gesichtszüge - im Wissen um den Verlust von Macht.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie sich Bettina Schausten als Frau in einer Männerdomäne bewiesen hat.

Tunlichst auf alles Undenkbare vorbereitet zu sein, egal nun, ob es einst Regionales im Landesstudio des SWR war oder Boulevardeskes bei Hallo Deutschland, gehört für Bettina Schausten zum Handwerk. Sie gräbt sich in Themen ein, wartet nicht auf den Kuss einer Muse, die auf dem Lerchenberg in Mainz eh nicht fest angestellt ist, sondern erarbeitet sich Kompetenz.

Das zeigt sie unter anderem bei der Präsentation des ZDF- Politbarometers: "Die Zahlen der Umfragen finde ich schon deshalb politisch spannend, weil die zeigen, wie normal das Volk eben doch auf die Leistungen seiner Vertreter reagiert."

Das bewies sie als Chefin des Ressorts Innenpolitik, wo sie beim Amtsantritt kurz überrascht war, dass von ihr Führung erwartet wurde auch von Redakteuren, die sich prinzipiell ungern führen lassen.

Bettinas Wurzeln - und Ambitionen

Während ihres Studiums - Literatur, Geschichte und Theologie, Letzteres nur, um mehr zu erfahren von den Wurzeln katholischer Soziallehre und protestantischer Sozialethik - schwankte sie noch zwischen dem Wunsch, Redakteurin bei der Brigitte oder bei der Zeit zu werden, beides schien gleichermaßen verlockend. Das eine Bettinas Wurzeln entsprechend, das andere Schaustens Ambitionen.

Aber das erste Angebot kam von den Öffentlich-Rechtlichen. Den Anstalten blieb sie in verschiedenen Rollen treu. Unter anderen als Referentin des damaligen ZDF-Chefredakteurs Klaus Bresser. Was zum Teufel lernt man da? "Nach welchen Regeln das alles funktioniert".

Als Frau unter Männern hätte sie durch ihre Weiblichkeit auffallen können, doch zog sie es vor, durch Leistung aufzufallen. Das gelang. Bis heute scheint sie sich zu tarnen unter dunklen Hosenanzügen, mit denen eine Frau unter dunkelanzügigen Männern nicht auffällt. Sie könnte aber, auch ohne Stilberaterin, mehr aus sich machen, ohne sich zu ändern, denn sie muss sich nun wirklich nicht verstecken.

Die Katholikin ist seit ein paar Jahren in ihrer Ehe da angekommen, wo sie schon mal früher ankommen wollte. Ihr Privatleben ist nicht öffentlich-rechtlich, es sei denn, die Bunte beauftragt Schnüffler in Berlin, was dann wohl rechtliche Konsequenzen hätte.

Sprechblasen lässt sie platzen

Die Ernsthaftigkeit, mit der sie Politiker befragt, spricht für sie, weil Bettina Schausten stellvertretend für alle fragt, die ihr zuschauen. Dass sie weiß, wovon sie redet, wissen mittlerweile auch die, denen sie die Fragen stellt, und hüten sich, in Sprechblasen zu antworten. Denn die lässt sie gegebenenfalls live platzen. Einmal sogar mit einem Knall.

Als nach der sächsischen Landtagswahl 2004 der NPDler in der Fragerunde zu pöbeln begann, brach sie kurz entschlossen das Interview mit dem Rechtsradikalen ab. Dem Vorwurf, unprofessionell reagiert zu haben, begegnete sie professionell, das ZDF sei nicht verpflichtet, Propaganda zu versenden.

Grundsätzlich kann ein Mensch, der wie sie die süchtig machende Psychoanalytiker-Serie Treatment auf 3sat gut findet, auch im normalen Leben so schlecht nicht sein. Ob sie dafür noch Zeit haben wird, auch fürs Geigenspiel, ist fraglich.

Eher wird man sie abends mit einem Instrument namens Mikrofon vor dem Kanzleramt sehen, wo bisher Peter Frey, nunmehr Chefredakteur des ZDF, oder Peter Hahne standen. Der darf zukünftig von einem sonntäglichen Sendeplatz aus Gott und die Welt befragen, sommers wie winters, aber immer erst nach Mittag, wenn am Tag des Herrn sogar in Lüdinghausen die Glocken verklungen sind. Dies wird vielerorts als besonders erfreulicher Nebeneffekt von Schaustens Aufstieg betrachtet.

Ein deutscher Obama, schrieb sie im Wahlblog des ZDF vor der Wahl 2009, "wäre schon deshalb keiner, weil er immer aus Grevenbroich käme oder aus Brakelsiep", dies bekanntlich Heimat des einstigen SPD-Kandidaten Frank Walter Steinmeier, und wie Lüdinghausen gelegen in Nordrhein-Westfalen. Von dort kommt jetzt eine, die eine Wahl für Berlin gewonnen hat.

Um Gottes willen, bitte tiefer hängen, würde Bettina Schausten auf diesen Schluss reagieren.

© SZ vom 13.03.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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