Arte-Serie:"Die Erbschaft": Vertreibung aus dem Hippie-Paradies

Arte-Serie: Trine Dyrholm als Gro, die Tochter der verstorbenen Künstlerin Veronika. Gro möchte ein Museum von internationalem Rang im Haus der Familie aufbauen.

Trine Dyrholm als Gro, die Tochter der verstorbenen Künstlerin Veronika. Gro möchte ein Museum von internationalem Rang im Haus der Familie aufbauen.

(Foto: DR/Martin Lehmann)

Was passiert mit einer Patchwork-Familie, wenn das Testament der Mutter alle brüskiert? "Die Erbschaft" ist das neueste Beispiel für das dänische Serienwunder.

TV-Kritik von Claudia Tieschky

Es ist bestimmt bloß Mutterliebe. Veronika wedelt mit dem Rotweinglas rum, lauert ganz nah vor Gros Gesicht und schaut genau, was nach diesem Satz passiert: "Traust du dich sagen, dass du unglücklich und einsam bist?"

Leider ist Veronika bald tot, wirklich schade, denn als Zuschauer hätte man sie noch gerne länger bei sich gehabt und zugeschaut, wie diese unberechenbare dänische Matriarchin alles bestimmt und behext in ihrem großen, verlotterten, ständig irgendwie überbevölkerten und von Matsch umgebenen Gutshaus, in dem sie im fleckigen Arbeitsoverall herumstapft, die langen weißen Haare nach hinten gebunden und mit herrischem Kommando ihre international gerühmte Kunst fertigt.

Diese Höhle mit den freundlichen Geisterfiguren aus Ballonseide ist aber nicht nur Werkstatt. Sondern tatsächlich auch ein Ort, an dem die Kinder unterschiedlicher Väter heimelig in Fantasiewelten aufwuchsen - denn die Serie Die Erbschaft erzählt nicht zuletzt die Geschichte einer Familie, die eine unschlagbar eigensinnige Mitte, ach was, ein wildes Hippie-Paradies hatte und es verliert. Oder doch nicht? Die Diva Veronika (Kirsten Olesen) jedenfalls ist auch als Tote äußerst gegenwärtig, manchmal sogar als Gespenst im Overall. Vorher aber hat sie noch schnell ein Testament verfasst, das tiefen Zwist sät.

Es wird geweint und geschrien. Und immer ist es früh dunkel

Unkonventionelle Großfamilien bieten naturgemäß mehr Schauplätze als die monogame Ein-Kind-Ehe, das hat das Serienfernsehen schnell erkannt. Auf Netflix ist gerade die zweite Staffel von Grace & Frankie zu sehen, auch da fliegt eine große Patchwork-Familie auseinander (in dem Fall, weil die Väter sich heiraten). Nur ist die zehnteilige dänische Produktion Die Erbschaft, die es schon seit eineinhalb Jahren auf DVD gibt und dank Arte jetzt auch im Fernsehen, ganz bestimmt keine Komödie. Während in Grace & Frankie an der amerikanischen Westküste alle denkbaren Gefühle vor allem munter konstruktiv und mit dem ganzen Rüstzeug für geistiges Wachstum und so verhandelt werden, sind die Konflikte der Erbschaft doch sehr viel europäischer. Es wird viel geweint und geschrien, und immer ist es früh dunkel. Nur gekifft und getrunken wird in beiden Serien gleichermaßen hingebungsvoll.

Andererseits ist die Erbschaft eben auch eine grandios erzählte Saga, die an die großen Vorzüge der licht- und gefühlsechten Filme der Gruppe Dogma 95 erinnert.

Veronika hat also noch ganz zuletzt ihr Testament geändert, und als in der Silvesternacht im Beisein von viel Kulturmächtigen weiße Himmelslaternen aufsteigen und ihr Sarg weggebracht wird, ist das vorerst der letzte lyrische Moment. Das Haus geht weder an Tochter Gro (Trine Dyrholm), die Kuratorin ist und glaubt, die Zusage der Mutter für eine Museums-Stiftung zu haben. Es geht nicht an den verschlossenen Sohn Frederik. Der freundliche Emil, der in Thailand lebt und Geld braucht, bekommt nichts, auch nicht der Klangkünstler Thomas, der im Bauwagen im Garten haust und von Jesper Christensen gespielt wird, dem Mr. White aus James Bond: kaum wiederzuerkennen, sehr zottelig. Stattdessen erbt die Floristin Signe (Marie Bach Hansen) aus der Kleinstadt, die nun erfährt, dass sie Veronikas Kind ist. Der Clan der Nachkommen findet sich in der Folge zu wechselnden, listenreichen Allianzen zusammen und entdeckt immer mehr eigenartige Geheimnisse.

Regisseurin Pernilla August und Drehbuchautorin Maya Ilsøe überlassen die entscheidenden Aktionen vor allem Veronika, Gro und Signe, also ihren wunderbaren Darstellerinnen. So eine Welt weiblicher Helden hat der dänische Sender DR unter anderem schon im Politdrama Borgen vorgezeigt. Wenn etwas faul sein sollte im Staate Dänemark, die Serien sind es nicht.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: