NDR verfilmt Siegfried Lenz:Maulfaul und schicksalsschwer

Arnes Nachlass

Einzig Hauptdarsteller Max Hegewald (Arne) kann einem leid tun. Ansonsten ist "Arnes Nachlass" einfach nur schrecklich.

(Foto: NDR/Hannes Hubach)

Siegfried Lenz' Bücher werden gerade für das Fernsehen wiederentdeckt. "Arnes Nachlass" ist der erste von vier Filmen, aus denen der NDR etwas Altbackenes macht. Der Film ächzt daher, die Zwischenschnitte sind hilflos und Plausibilität gibt es nicht. Nur der Hauptdarsteller kann einem leid tun.

Von Willi Winkler

Wenn im Brack verrostete Kähne dümpeln, in der Ferne richtige Dickschiffe vorüberziehen und das Gegenlicht sich silbern in Jan Fedders Bartstoppeln bricht, dann muss das Hamburg sein, Hamburg wie in Hamburgmainepearle, Hamburg wie Blohm & Voss und Siegfried Lenz.

Hamburg ist, wie jeder Hamburger weiß, die schönste Stadt der Welt oder doch an der Unterelbe. Hamburg hat einen Hafen und den NDR. Wie wär's, dachte man sich beim NDR, wenn wir mal wieder ein Werk des in Hamburg weltberühmten Autors Siegfried Lenz verfilmten, einen Roman, der von Schuld & Sühne handelt, vom Hafen und natürlich mit Jan Fedder? Der 87-jährige Siegfried Lenz erlebt derzeit im Fernsehen eine Spätblüte, die selbst den unermüdlichen Martin Walser erröten lässt.

Die Firma Network Movie hat allein drei Lenz-Projekte für das ZDF in Arbeit, darunter die schon einmal verfilmte Deutschstunde. Darin wird ein weiteres Mal die Geschichte um das Malverbot für einen angeblich "entarteten" Maler erzählt, der an Emil Nolde erinnert. Als der weltweit erfolgreiche Roman 1968 erschien, galt der Expressionist Nolde noch als Regime-Gegner, und Lenz' Roman hat nicht wenig zu Noldes Opfer-Legende beigetragen. Der Künstler durfte zwar im Dritten Reich nicht mehr ausstellen und erhielt zudem Malverbot, aber inzwischen ist bekannt, dass er nicht ohne Grund NSDAP-Mitglied, nämlich ein wüster Antisemit war und liebend gern Konkurrenten verleumdete. Es dürfte also interessant werden, wie der bewährte Lenz'sche Konflikt um Pflicht und Gewissen diesmal dargestellt wird.

Ende September wurde auf dem Hamburger Filmfest Die Flut ist pünktlich gezeigt (geplante Ausstrahlung im ZDF: Anfang 2014). Obwohl eben die Koalitionsverhandlungen begonnen hatten, für die er fast unverzichtbar war, gab sogar Olaf Scholz dem Drängen seiner Frau nach und sah sich den elegischen Film an. André Georgi (Drehbuch) und Thomas Becker (Regie) haben aus einer gut fünfzig Jahre alten, schwerstexistenzialistischen Erzählung von neun Seiten ein pointillistisches Seestück verfertigt, das in schönen Bildern schwelgt, aber dank der Schauspieler Ina Weisse, Jürgen Vogel und August Zirner selbst für den bedrängten Hamburger Bürgermeister die reine Seh-Freude bot.

Ausweg See-Gang

Trotz dieser Lenz-Flut muss noch nicht aller Tage Abend sein, wird man sich beim NDR gedacht haben. Lenz, das ist doch unser und Hamburg wie sein Lebensfreund Helmut Schmidt. Und siehe da, der Roman Arnes Nachlaß (1999) war noch frei, er spielt praktischerweise im Hamburger Hafen und ist so melancholisch, dass sich dafür bestimmt gute Bilder finden lassen.

Arne ist sechzehn und hat als einziger überlebt, als sein Vater wegen Verschuldung die ganze Familie umbringen wollte. Arne kommt in eine Pflegefamilie, in der er nicht heimisch wird. Die jüngeren Geschwister triezen ihn, weil er so streberhaft und fremd ist. Er verliebt sich in die flippige Wiebke, die kein Interesse an einem Gleichaltrigen zeigt, der ihr eine aus Walfischbein geschnitzte Möwe kredenzt.

Der arme Arne trauert seiner toten Familie nach, vor allem seiner Schwester, er leidet unter Absencen und ist hochbegabt, er lernt Finnisch und möchte hinaus aufs Meer, wie das seit Hans Albers strenge Vorschrift ist für Hamburger Jungs. Dann kommt der bewährte Lenz-Konflikt der widerstreitenden Loyalität, denn Arne möchte als guter deutscher Gymnasialheld stets das Gute tun und landet damit leider beim ganz Schlechten, weshalb ihm als Ausweg aus diesem moralischen Dilemma nur der See-Gang bleibt, was einen aber nicht wundert, da der Roman recht nah am Wasser gebaut hat.

In Frieden ruhen

Das Schärfste an Arnes Nachlaß war das scharfe ß, mit dem Lenz der 1999 noch umstrittenen Rechtschreibreform trotzte. Der NDR-Titel hat sich der neuen Zeit bereitwillig ergeben, die Geschichte aber womöglich noch altbackener gemacht, als sie es eh schon war. Maulfaul und schicksalsschwer ächzt der Film dahin, hilflose Zwischenschnitte mit Hafenpanoramen ersetzen reflexive Passagen. Plausibilität ist nicht nur ein Fremdwort, sondern im Programm gar nicht vorgesehen, oder, wie es der ARD-Programmdirektor Volker Herres in seinem unvergleichlichen Volker-Herres-Deutsch formuliert, "Arnes Nachlass ist eng an den gleichnamigen Roman von Siegfried Lenz angelegt." Dort ist er sicher gut angelegt und könnte in Frieden ruhen, würde er nicht an diesem Mittwochabend ausgestrahlt.

Da betreibt Jan Fedder ein Abwrackunternehmen, trinkt feierabends ein Bier vorm Fernseher und patriarcht über eine musterhafte Fernsehfamilie: Frau will wieder arbeiten, hat aber Schwierigkeiten mit der Tochter; Sohn schmollt, skateboarded, trinkt, kifft; die Oma ist eine liebe Greisin; und draußen lauert im Mercedes der Investor, der dem guten deutschen Unternehmer seinen schnuckeligen kleinen Betrieb wegnehmen will.

"Das anzusehen, ist zutiefst bewegend", dichtet der Programmdirektor bewegt. Es stimmt nur nicht, denn es ist zutiefst erschütternd zu sehen, welcher Krampf einem da zugemutet wird: "Arnes seelische Verfassung spiegelt sich in den Schiffsruinen unter einem Himmel im surrealen Dämmerlicht perfekt wider."

Natürlich muss es im Lenz-Kosmos ein Abwrackunternehmen sein, denn die Symbolik ist hier nicht bloß am Trapsen, sondern am schwermetallenen Wummern. Ein strenger Filter färbt alles endzeitlich ein, manchmal wird es so grünstichig wie beim alten Fuji-Material. Jan Fedder schaut besorgt, und Suzanne von Borsody scheint zu überlegen, wie sie da möglichst schnell rauskommt. Nur um den Hauptdarsteller Max Hegewald tut es einem leid; er hätte einen richtigen Film verdient. Aber den NDR-Lenz anzusehen, ist einfach nur schrecklich.

Arnes Nachlass, ARD, 20.15 Uhr.

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