NDR-Sendung:Alles und nichts

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In "Die Geschichte eines Abends" empfängt Dirk Stermann vier Gäste, gibt ihnen viel Alkohol zu trinken und lässt sie auch mal schweigen. Die Show ist einer der letzten Anarcho-Talks.

Von Jan Freitag

Alkohol ist ein Gift und gewiss kein harmloses, es zerstört Menschen, Familien, Gesellschaften. Andererseits macht Alkohol unterhaltsam, beschwingt und wahrheitsliebend, weshalb man mancher Talkshow das wünschen würde, was Dirk Stermann den Gästen der Geschichte eines Abends einschenkt. Bier nämlich, viel Wein, auch mal Schampus. Und wie heißt noch das Zeug mit der brennenden Kaffeebohne?

Seit Januar 2015 bittet der Duisburger aus Wien im NDR-Auftrag unregelmäßig und bei üppiger Zufuhr geistiger Getränke vier Gäste in ein Lokal am Rande St. Paulis und führt dort Gespräche von erlesener Ziellosigkeit. Es sind Nichtgespräche und Allesgespräche von beiläufig über intensiv bis selbstverliebt. Vor allem aber sind es Nebelgespräche, je weiter der Abend gen Morgen verschwimmt. Schließlich wird ab Mitternacht im Dritten nicht nur Hochprozentiges serviert, sondern fast zwanghaft geraucht.

Zu Beginn der aktuellen und fünften Folge nun erwacht der Moderator auf einem Bunker über Hamburg. Das ist natürlich inszeniert, passt aber gut zu dem, was in den fünf Stunden zuvor, verdichtet auf 45 Minuten Sendezeit, geschieht. Denn Ulrich Matthes, Karoline Herfurth, Mario Basler und Ina Müller bieten fast alles, was wahllos zusammengewürfelte Tresenrunden vollführen: Streit und Konsens, Sinn und Unsinn, Redundanz und Schweigen, das besonders. Und am Ende ist alles möglich.

Die Geschichte eines Abends zeigt den ganzen Kosmos menschlicher Kommunikation auf 25 Quadratmetern. Weil Schulz & Böhmermann gerade dem Quotendiktat des ZDF zum Opfer fiel, wird die Fackel der Anarchie demnach von jetzt an vom selbsterklärten "Doku-Talk" des NDR durchs Talkshowland getragen. Und dass sie besonders hell leuchtet, dafür sorgen nicht nur die geladenen Trinker, sondern mehr noch die Menschen hinter dem halben Dutzend Kameras.

Fabian Döring, Christian von Brockhausen und Hans Jakob Rausch filmen nicht bloß Konversation ab; darunter mischen sie zudem "Gedankenräume", in denen sich alle Protagonisten per Voice-over beschreiben. "Ich hab nie gezweifelt an mir", sagt Ex-Fußballer Basler beim Rauchen, während der Schauspieler Matthes im Bowlingcenter über Einsamkeit sinniert. Nach fünf Tüten Döner vom Imbiss geht es dann wie gewohnt in die Saufkneipe "Günther's", bevor alle dort herumtorkeln, wo der Moderator am Morgen danach erwacht. "Wir sind eine Provokation", erklärt Regisseur Rausch das Konzept und fügt eilig hinzu, "das wollen wir auch sein." Es ist eine der letzten Provokationen im Linienprogramm. Und vielleicht ist es auch die schönste.

Die Geschichte eines Abe nds , NDR, Nacht zu Samstag, 0.10 Uhr.

© SZ vom 08.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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