NDR-Dokumentation:Wo "besorgte Bürger" patrouillieren

7 Tage ... Bürgerwehr

Journalistin Frida Thurm und Bürgerwehr-Mitglied Wolfram Philipp kurz bevor das Walkie-Talkie ausfällt.

(Foto: NDR)

Eine NDR-Doku porträtiert eine Bürgerwehr nahe der brandenburgisch-polnischen Grenze. Dabei finden die Journalisten rechte Meinungen. Also genau das, was sie gesucht haben.

TV-Kritik von Robert Hofmann

Vom Friedhof aus fährt mitten in der Nacht ein fremder Wagen gen Ortsausgang. Die Bürgerwehr ist alarmiert. Sie patrouilliert durch Lawitz, ein Dorf mit 600 Einwohnern in Brandenburg. Wolfram Philipp, ein ehemaliger Stahlwerkarbeiter um die 60, der sich sichtlich Mühe gibt, schick und gepflegt zu wirken, gibt per Funk durch, was er über die Situation weiß: nicht viel.

Dann fällt das Walkie-Talkie aus. Herr Philipp und Reporterin Frida Thurm fahren los, um ein neues zu besorgen. Offen bleibt, ob das Auto, das die Bürgerwehr in Aufregung versetzt hat, nicht doch nur der Postbote war.

Das Bild des Dilettanten, dessen Furcht vor Fremdem ihn Streife fahren lässt, wird in der NDR-Dokumentation "7 Tage ... Bürgerwehr" noch öfter bedient werden.

Zu Besuch im AfD-Dorf

Lawitz liegt fünf Kilometer entfernt von Eisenhüttenstadt, unmittelbar an der polnischen Grenze. Bei der Landtagswahl 2014 haben hier knapp 30 Prozent AfD gewählt.

Das nahmen verschiedene Medien zum Anlass, sich "das AfD-Dorf" näher anzuschauen, in dem die Bürger gegen Ausländer wetterten und sich DDR-Verhältnisse zurückwünschten. Die BZ fuhr sogar Baugerät auf und versprach, eine Grenzanlage zwischen Deutschland und Polen zu errichten. Viele Lawitzer fielen darauf herein und ließen sich von den anwesenden Reportern vorführen, versicherten ihre Unterstützung für den Bau. Auch dieses Mal, als der NDR kommt, sollen sie wieder vorgeführt werden.

"7 Tage ... Bürgerwehr" verspricht, die Lawitzer Bürgerwehr zu erforschen und so ein Porträt des "besorgten Bürgers" zu zeichnen. Am Ende aber sehen wir Reporter, die konsequent darauf bedacht sind, rechte Aussagen aus den Protagonisten herauszukitzeln. So entsteht weniger ein ausgewogenes Porträt, als vielmehr eine hämische Zurschaustellung der ostdeutschen Provinz.

Für eine Woche bei der Lawitzer Bürgerwehr

Schon 2014 wurde in Lawitz die Bürgerwehr gegründet. Das NDR-Team um Journalistin Frida Thurm kam ein Jahr später, im Oktober 2015 auf die Idee, sich die Gruppe genauer anzusehen. Dafür quartierte es sich für eine Woche bei Wolfram Philipp und seiner Ehefrau Ute ein und fuhr bei verschiedenen Lawitzern auf ihren Streife-Schichten mit.

Auf der Fahrt mit Henry Meisel, der im Stahlwerk in Eisenhüttenstadt arbeitet, scheint durch, welche Angst die Bürgerwehr umtreibt. "Polen" spionierten tagsüber das Dorf aus. Nachts, sagt er, brechen sie dann ein.

Das widerlegt ein ehemaliger Polizist: Keineswegs seien die meisten Straftäter polnisch. Dieser Fakt ändert nichts daran, dass in Lawitz "Pole" als Synonym für "Krimineller" gebraucht wird.

Tatsächlich ist die Kriminalität in Lawitz zurückgegangen. Vor zwei Jahren wurden 29 Diebstähle registriert, in der ersten Hälfte von 2015 nur einer. Die Bürgerwehr erfüllt zumindest dem Anschein nach ihren Zweck.

Entblößung als Selbstzweck

Früh sieht man Ute und Wolfram Philipp mit Frida Thurm frühstücken, vor Blümchentapete und Topfpflanzen. Auf dem reichgedeckten Tisch stehen Eierwärmer in Schweinchenform und Karaffen mit mehr O-Saft und Milch als drei Menschen trinken können.

Herr Philipp interpretiert, was er während des Frühstücks in der Zeitung liest. Bei einem Einbruch in der Region wurden nur Zigaretten und Briefmarken geklaut. Dass Flüchtlinge Briefmarken brauchen, um nach Hause zu schreiben, ist Beweis genug für ihn, um die Schuldigen im Asylbewerberheim nebenan zu verorten. Deutsche hätten schließlich auch Alkohol mitgenommen.

In einer anderen Szene fragt die Reporterin Herrn Philipp, warum er nicht mehr im "Werk" in Eisenhüttenstadt arbeite. Der Chef sei Inder, sagt Philipp, halte sich nicht an Gesetze. So bestätigt Philipp das Vorurteil, mit dem die Journalisten nach Lawitz gereist sind. Das merkt er selbst und wird gleich ein wenig unwirsch.

Die Deutschlandfahne ist zu lang im Bild

Man kann argumentieren, dass es nicht die Dokumentation ist, die die Menschen aus Lawitz als fremdenfeindlich bloßstellt. Man kann argumentieren, dass es ihr Narzissmus ist, der sie bewogen hat, die Kamera in ihre Häuser und Autos zu lassen - und dass sie nun selbst schuld sind, wenn sie mit ihren Ansichten nicht haushalten können.

Doch es bleibt ein anderer Eindruck. Zu pointiert läuft jedes Gespräch auf die Entblößung von rechten Ansichten hinaus, die Deutschlandfahne am Fenstersims ist immer ein bisschen zu lang im Bild. Dass die Dokumentation mit einem Männerchor einsetzt, der die Schönheit der Heimat besingt, macht von der ersten Minute an klar, was die Fernsehmacher in Lawitz finden wollen.

Die Macher haben eine Chance vertan

Offen bleibt, wieso der NDR nicht differenzierter an die Menschen herangegangen ist. An einer Stelle beteuert die Reporterin als Stimme aus dem Off: "Ich habe mir fest vorgenommen, einmal die Bedrohung zu verstehen." Aber das glaubt man ihr nicht. Sie will nicht verstehen, sie meint, bereits zu wissen, was zu wissen ist: Dass diese Menschen fremdenfeindlich sind.

Der Bezug zu den aktuellen Berichten über die Hooligan-Bürgerwehren in deutschen Innenstädten nach den Übergriffen der Silvesternacht wird nicht explizit hergestellt. Aber könnte man die Lawitzer überhaupt damit vergleichen?

Am Ende erfahren Zuschauer vor allem, dass es im deutschen Osten Menschen gibt, die sich sorgen: wegen "der Flüchtlinge", wegen "der Polen" und um die Zukunft. Das wussten die Zuschauer aber schon vorher.

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version dieses Texts hieß es, Herr Philipp sei arbeitslos. Das ist nicht richtig. Tatsächlich betreibt er in Eisenhüttenstadt den Kunsthof, "eine Mischung aus Café, Handwerksmarkt und Touristeninformation".

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