Nachtkritik: Anne Will:Schnell einen Ouzo, bitte!

Gestänkere gegen Griechenland, doch einer hält die blau-weiße Fahne hoch: Finanz-Staatssekretär Kampeter. Deswegen hat ihn Historiker Baring gar nicht mehr lieb.

Melanie Ahlemeier

Nein, zu beneiden ist Steffen Kampeter an diesem Abend nicht. Verkrampft sitzt der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, der Mann neben Wolfgang Schäuble, im Fernsehstudio neben Talklady Anne Will. Seine Hände ruhen in bester Merkel-Manier - aufeinandergespreizt, Kuppe an Kuppe - im Schoß.

Anne Will, Foto: AP

Talklady Will: Im Einspielfilm gibt es wüste Polemik gegen den EU-Partner Griechenland.

(Foto: Foto: AP)

Der Ostwestfale muss der Republik das Rettungspaket für Athen verklickern, die Milliardenhilfen für den EU-Partner Griechenland. Vielleicht hätte man ihm wünschen sollen, vor der 60 Minuten dauernden Talkshow (Motto: "Griechenland ist pleite - jetzt zahlen wir") einen Ouzo getrunken zu haben, am besten einen Doppelten. Für ein solches Thema in dieser Situation braucht man Lockerheit.

Lockerheit mag sich beim Christdemokraten Kampeter nur zögerlich einstellen. Bis es soweit ist, sondert der eigentlich redegewandte Mittvierziger vorgestanzte Phrasen ab. Er sagt Sätze wie: "Der Euro war eine Erfolgsgeschichte. Jetzt steht er unter Stress." Oder: "Griechenland ist nicht pleite und bedient seine Schulden." Diese Art der Meinungsäußerung erzeugt einen Gähn-Effekt. Wo ist, bitteschön, die Fast-forward-Taste?

Kampeter ist zu lange im Politgeschäft, als dass er vor laufender Kamera die Fassung verlöre. Als sein Parteikollege Josef Schlarmann, Chef der Mittelstandsvereinigung und damit qua Amt nicht ganz unwichtig, via Einspieler mit seiner Idee von einer Verpfändung griechischer Inseln ins Spiel gebracht wird, bewahrt Kampeter noch halbwegs profimäßig die Contenance. "Mätzchen", nennt er Schlarmanns Gedankenprodukt, "die der Ernsthaftigkeit dieses Problems nicht angemessen sind."

Gute Unterhaltung erst am Schluss

Hübsch und unterhaltsam wird die zudem mit der Grünen-Politikerin Renate Künast ("Wenn wir Griechenland nicht helfen, schaden wir dem Euro und uns selbst"), den beiden Journalisten Walter Wüllenweber ("Mein Vertrauen ist futsch") und Michalis Pantelouris ("Niemand kritisiert die griechische Regierung so stark wie das griechische Volk") sowie dem Historiker und Initiative-Neue-Soziale-Marktwirtschaft-Botschafter Arnulf Baring besetzte Talkshow allerdings erst zu fortgeschrittener Sendezeit. Da nimmt Baring den ehemaligen finanzpolitischen Sprecher der Union in den Schwitzkasten.

"Ich bin entgeistert über Herrn Kampeter", zürnt Baring über den CDU-Mann, über dessen Erklärungsversuche und das 45-Milliarden-Euro schwere Hilfspaket von EU und IWF. Eigentlich - und das wiederholt der Elder Statesman dieser Runde mehrfach - schätze er Kampeter ja sehr. Aber: Griechenland müsse raus aus dem Euro, wettert der Historiker.

Auch Kampeter pflegt im Prinzip Sympathien für Baring, aber an diesem TV-Abend ist alles anders. Und das ist der einzige Lichtblick dieser Talkshow.

"Ökonomisch ist das Harakiri", ätzt Finanzexperte Kampeter gegen den Vorschlag des streitbaren Historikers, Athen solle zur alten Landeswährung Drachme zurückkehren. Dabei sitzt der Staatssekretär völlig entspannt im Fernsehstuhl und lächelt. Na also bitte, geht doch!

Vielleicht hätte Moderatorin Anne Will als Ringrichterin einfach mal ein Streitgespräch nur mit zwei Kontrahenten wagen sollen. Und überhaupt: Wer aus der Redaktion hat eigentlich für die kurzfristig anberaumte Sendung (es sollte ursprünglich über "Nicht ausbildungsfähig! Ist unsere Jugend zu doof?" gesprochen werden) die anderen Gäste eingeladen?

Polemik gegen den gemeinen Griechen

Renate Künast hockt gefühlt (da ist sie mit Baring gleichauf) in jeder zweiten Anne-Will-Sendung. Und dass drei der Anwesenden (inklusive Anne Will) Journalisten sind, das ist - nun ja - der Sache wenig dienlich. Jeder weiß: Drei Journalisten sind in einer solchen Runde zwei zu viel.

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zeitstrahl

Zumal der Quoten-Grieche Michalis Pantelouris gar kein Grieche ist, denn er ist 1974 in Deutschland geboren. Warum sitzt er in dieser TV-Runde? Weil sein Papa Pressesprecher der griechischen Botschaft ist, wie Will zu berichten weiß?

Apropos Anne Will. Deren Redaktion polemisiert außerordentlich auffällig gegen griechische Hilfe aus Deutschland. Und das geht so: Der gemeine Grieche kassiert eine viel zu hohe Rente; er schmiert, wann immer es geht; und er demonstriert, sobald er sparen soll, intoniert die Will-Crew im einläutenden und wenig preisverdächtigen Einspielfilmchen.

Dass Deutschland 8,4 Milliarden Euro über die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) gibt und der deutsche Staat "nur" bürgt - das klamüsert Kampeter mühsam auseinander. Wie schnell die Hilfen für das marode Athen eilen, erläutert kurz vor Ende der Sendung anschaulich Henrik Enderlein von der Hertie School of Governance am Beistelltisch. "Diese Woche", mahnt der Professor, "muss eigentlich eine Entscheidung kommen." Das kleine VWL-Repititorium war eine nette Idee, dürfte aber nicht allen Zuschauern gefallen haben.

Und, ganz ehrlich: Eigentlich hätte man als TV-Zuschauer doch gerne Finanzminister Wolfgang Schäuble selbst gehört, wie er Merkels bilaterales Rettungskonzept von EU und IWF angesichts des maroden deutschen Haushalts erläutert - und das vor dem Hintergrund des von ihm präferierten, schlussendlich aber gescheiterten Plan eines Europäischen Rettungsfonds.

Doch dann musste Steffen Kampeter ran. Darauf einen Ouzo, einen Doppelten, bitte!

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