Nachlese zum Münchner "Tatort":Jedem Menschen sein Trauma

Tatort; Tatort München

Schwer mitgenommen: Xaver Busch (Klaus Pohl, Mitte) klärt die Kommissare Batic (Miroslav Nemec, links) und Leitmayr (Udo Wachtveitl) über eine Familientragödie auf.

(Foto: BR)

Die Kommissare Batic und Leitmayr jagen zwei verstörte Kinder. Am Ende bleibt alles ungerecht.

Von Julian Dörr

Darum geht es:

Um das Ende von zwei Familien. Vor 15 Jahren hat Daniel Ruppert seine Frau und seinen kleinen Sohn getötet - aus Verzweiflung. Der Job war weg, die Existenz zerstört. Am Ende wollte Ruppert sich selbst richten - und überlebte. Genauso wie die kleine Tochter Ella, seinem "Schneeflöckchen" konnte er nichts tun. Auch Rupperts neue Familie wird zerstört, als eines Abends Ella, die jetzt Emma heißt, vor der Tür steht. Es fallen Schüsse, die Mutter stirbt, der Vater ist schwer verletzt. Und wieder überlebt ein kleiner Junge, der kurz darauf verschwindet. Zwei traumatisierte Kinder auf der Flucht. Die Kommissare Batic und Leitmayr nehmen die Spur auf.

Lesen Sie hier die Rezension von SZ-Tatort-Kritiker Holger Gertz:

Bezeichnender Dialog:

Xaver Busch, ein Kollege aus Augsburg, klärt die Münchner Kommissare über die Umstände der Familientragödie und das Überleben der Tochter auf - im Duktus eines verrückten Märchenonkels. Dazu trinkt er Schnaps mit Wasser. Und legt trotz Sommerhitze den langen Mantel nicht ab. Als sich die Männer vor dem Haus verabschieden, wird klar, dass nicht nur Ella/Emma traumatisiert ist.

Batic: Was ist denn mit seiner Tochter? Wissen Sie das?

Busch verzieht das Gesicht.

Leitmayr: Ja, die wird sich ja ned in Luft aufgelöst haben?

Busch (gestikuliert): Aber wieso denn nicht? Vielleicht besser für sie, dass sie sich in Luft aufgelöst hat. Sie war doch nur noch umgeben von Luft.

Busch kramt aus seiner Aktentasche ein altes Foto von Ella Ruppert und übergibt es den Kommissaren. Dann verabschiedet er sich und läuft zum Tor.

Leitmayr: Wie ein Blitz am hellichten Tag.

Batic: Ein was?

Leitmayr: Kein Donner, strahlend blauer Himmel, keine Wolken. Auf einmal schlägt der Blitz ein. Und nix is' mehr so wie es war. Hiroshima.

Batic: Hiroshima?

Leitmayr: Ja, so haben die Überlebenden das beschrieben. Von einem Moment auf den anderen ist alles zerstört. Kennst dich nimmer aus in der Welt. (Die Kamera zeigt Busch, wie er durch das Tor tritt.) So ungefähr muss es für die kleine Ella gewesen sein.

Die besten Zuschauerkommentare:

Beste Szene:

Der Fall wiegt schwer, es geht um Traumata, Ängste und Verzweiflung. Kommissar Leitmayr findet dennoch Zeit für einen kleinen Flirt mit Kollegin Christine Lerch. Die gibt psychologische Ratschläge, während sie ihre Pizza gegen die beiden Kollegen verteidigt. Als Batic nach einem Anruf schließlich aufbrechen will, bleibt Leitmayr einfach stehen: "Ich komm' gleich nach." "Was is'?", fragt Christina. "Nix", sagt der Franz und grinst verschmitzt wie ein Schulbub.

Top:

Batic und Leitmayr, klar, die sind eine Institution. Aber auch der Rest des Teams kommt langsam in Fahrt. Die Analytikerin Lerch gewinnt Pizza verteidigend an Profil (siehe oben) und dem arbeitsfreudigen Assistenten Kalli Hammermann wäre in einer der kommenden Episoden die Emanzipation vom lustigen Side-Kick zum ernstzunehmenden Polizisten zu wünschen. Potenzial ist da. Oder wie der Franz sagen würde: Gute Arbeit macht er, der Kalli.

Flop:

Eine Geschichte, die gar nicht so kompliziert ist, aber leider etwas kompliziert erzählt wird. Die vielen Flashbacks führen den Zuschauer in unterschiedliche Zeitebenen, zerschießen die Dramaturgie dieses Tatorts und nehmen ihm einiges an Schwung. Leider passieren die wirklich spannenden Dinge in dieser Folge fast nur im Rückblick.

Bester Auftritt:

Andrea Wenzl als Selbstverteidigungslehrerin Lissy Berger, die ihren Charakter von Szene zu Szene ein kleines Stück mehr zusammenbrechen lässt. Gibt sie bei ihrem ersten Auftritt noch die knallharte Kämpferin, die Batic angreift, um ihm Emmas Situtation verständlich zu machen, bleibt am Ende nur noch eine von Schuld zerfressene und gebrochene Person übrig.

Die Erkenntnis:

Liebe und Familie haben doch noch eine Chance. "Die Leut' sind halt heutzutag' nimmer so lang beinander", sagt die einsame Frau Wallner, Nachbarin von Daniel Ruppert, zu Beginn: "Die Familie zählt ja nix mehr." Nicht bei Batic und Leitmayr! Der eine hat kürzlich zur Wiesnzeit die kroatische Verwandschaft bei sich aufgenommen. Und Franz reicht seinem Kumpel Ivo gerne eine zweite Lesebrille. Mehr altes Ehepaar geht nicht.

Die Schlusspointe:

Die Tatwaffe landet in der Asservatenkammer, Vater Ruppert wacht auch nach der zweiten Schussverletzung wieder aus dem Koma auf. Nur sein "Schneeflöckchen", das lässt er in der finalen Rückblende in den Himmel fliegen. Die einen wollten sterben und müssen leben, die anderen hatten nie eine Chance. Am Ende dieses harten Falls bleibt vieles unausgesprochen - und das ist gut so.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: