Nachlese zum Bodensee-"Tatort":Hausgemachtes Elend

Tatort; Tatort Côte d'Azur SWR

Innerlich zerrissen und verzweifelt: Friederike Linke als Obdachlose Franzi.

(Foto: SWR/Johannes Krieg)

Im Konstanzer "Tatort" müssen Blum und Perlmann den Mord an einer jungen Obdachlosen klären - es kracht zwischen den Ermittlern. Die Nachlese.

Von Carolin Gasteiger

Darum geht es:

Eine junge Mutter wird erschlagen am Konstanzer Seeufer gefunden. In einer SMS bittet sie noch darum, dass man sich um ihr Kind kümmere. Vanessa Koch, die Tote, verkehrte mit einer Gruppe Obdachloser, die alle als Täter infrage kommen. In diesem Milieu sind die Bodensee-Kommissare Klara Blum und Kai Perlmann mit einer ordentlichen Portion Tristesse zur Weihnachtszeit konfrontiert. Obendrein machen sie sich gegenseitig die Ermittlungen schwer.

Lesen Sie hier die Rezension von SZ-Tatort-Kritiker Holger Gertz.

Bezeichnender Dialog:

"Côte d'Azur" meint in diesem Tatort eine Baracke, in der Obdachlose am Konstanzer Seeufer hausen. Als Blum und Perlmann sich dort umsehen, treffen sie auf einen alten Bekannten: Hagen Bötzow war früher ebenfalls Kommissar, wurde dann aber wegen Gewaltdelikten vom Dienst suspendiert.

Bötzow: Na Frau Blum, wie läuft's denn so?

Perlmann: Der Ex-Kommissar Bötzow. Was machst du hier?

Bötzow: Sorry Kai, dass du dir wegen mir deinen schönen Kaschmirmantel dreckig gemacht hast.

Perlmann: Ja, ist wirklich schade, dass du uns verlassen musstest. Sag mal, wohnst du hier, du Arschloch?

Bötzow: Ich habe einen Scheißfehler gemacht, aber ich war wieder in der Spur. Trotzdem. Trotzdem haben sie mich rausgeschmissen. Naja. Und wenn der Aufzug schon mal nach unten fährt. Job weg, Frau weg, Bude weg. Okay, vielleicht auch umgekehrt.

Perlmann: Wieso? Ist doch schön hier.

Bützow: Ja, is' schön in der Côte d'Azur. Lässt es sich leben - bis der Aufzug wieder nach oben fährt.

Die besten Zuschauerkommentare:

Die beste Szene:

Hastig zerrt eine junge Frau einen Kinderwagen über einen Schotterweg, dreht sich ängstlich nach einem möglichen Verfolger um. Ringsum sind nur Felder, das hohe Gras schimmert silbern im Mondlicht. Die Musik wird bedrohlicher, die Frau fängt an zu rennen, rutscht mit dem Kinderwagen eine Böschung hinunter, rappelt sich wieder auf. Weiter. Einen kurzen Moment versteckt sie sich im Dickicht, lässt den Kinderwagen dann aber zurück und watet durch das hohe Gras. Aus dem Off sind verzerrte Geigen zu hören, bis die Frau beim Blick nach vorn einen lauten Schrei ausstößt. Ins Bild rückt der Weihnachtsmann - und schlägt zu. In diesem gelungenen Tatort-Auftakt lässt Alfred Hitchcock grüßen.

Top:

Endlich ein sehenswerter Konstanzer Tatort! Meist sind die Fälle von Blum und Perlmann so zäh, dass schon mal der Herbst und der Bodensee den besten Auftritt haben. In "Côte d'Azur" ist das anders: Zwischen Blum und Perlmann kracht es ordentlich, die Obdachlosen sind präzise gezeichnet und jeder auf seine Weise glaubwürdig. Wäre diese Episode früher gelaufen, hätte sich der SWR das mit dem Absetzen des Bodensee-Tatorts vielleicht nochmal überlegt.

Flop:

Vermutlich haben sich die Macher dieses Falles so über das gute Drehbuch gefreut, dass sie vergessen haben, wohldosiert mit der Skurrilität einzelner Figuren umzugehen. Der pseudozynische Kinderarzt Dr. Schwenkner oder der exzentrische Produzent Jürgen Ewers sind so überzeichnet, dass sie an Karikaturen ihrer selbst erinnern.

Bester Auftritt:

Friederike Linke verkörpert als obdachlose Franzi innere Zerrissenheit und pure Verzweiflung. Auf der einen Seite kümmert sie sich liebevoll um den alten Bill, auf der anderen Seite kennt sie keine Skrupel, wenn es darum geht, Klara Blum zu beschimpfen. Als diese sie in einer Zelle auf kalten Entzug setzt, wird es richtig bitter: Linke alias Franzi erbricht grünen Schleim, kauert völlig entkräftet am Boden und brüllt hysterisch herum, um kurz darauf wieder zu wimmern. Da läuft es einem kalt den Rücken herunter.

Die Erkenntnis:

"Côte d'Azur" lenkt die Aufmerksamkeit von den Flüchtlingen, die zuletzt immer wieder Thema im Tatort waren, auf das hausgemachte, deutsche Elend. Auf Obdachlose, die abgerutscht sind und sich trotz Armut und Alkohol ein Quäntchen Geborgenheit bewahren wollen. Auch das gibt es in Deutschland.

Die Schlusspointe:

Bittersüß singen Franzi, der alte Bill und Lucky "Oh du Fröhliche". Im Hintergrund hängen am Tannenbaum vorm "Côte d'Azur" leere, silberne Tetra-Packs. Einer nach dem anderen rückt ins Bild, als würden sie dem Zuschauer ihr Elend voller Ironie ins Gesicht schleudern. "Frohe Weihnachten" wünschen sich Blum und Perlmann. Da muss man schon mal schlucken.

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