Nachlese:Tatort "Rebecca": Küchenpsychologie und Pathos

Tatort "Rebecca"

Am Ende verliert der "Erzieher" die Kontrolle über seine Schülerin - Rebecca zündet ihren Peiniger an.

(Foto: SWR/Johannes Krieg)

Kommissar Perlmann wird von einem traumatisierten Mädchen vereinnahmt. Kollegin Blum macht gerade so viel, dass es keine Leistungsverweigerung ist.

Kolumne von Johanna Bruckner

Darum geht es:

Um das Böse hinter der gepflegten Einfamilienhausfassade. Ein völlig verstörtes Mädchen wird neben der brennenden Leiche eines Mannes aufgefunden. Bald wissen die Kommissare Klara Blum und Kai Perlmann, dass das vermeintliche Opfer auch Täter war - und die mittlerweile 17-jährige Rebecca ihr halbes Leben lang in seinem Keller gefangen hielt. Damit fangen die Ermittlungen erst an. Warum floh Rebecca nicht einfach, wo doch Türen und Fenster unverschlossen waren? Gibt es mehr als einen Entführer? Und was ist mit einem zweiten Mädchen passiert, das von dem oder den Tätern "Lik" genannt wurde? Vor allem Perlmann ist bei diesem Fall gefragt: Rebecca hält ihn für ihren neuen "Erzieher".

Lesen Sie hier die Rezension von SZ-Tatort-Kritiker Holger Gertz:

Bezeichnender Dialog:

Die Ermittler diskutieren im Kommissariat die jüngsten Entwicklungen.

Assistentin Beckchen: Ich habe gerade mit der Frau Professor Schattenberg telefoniert: Rebecca sagt gar nix mehr. (Dreht sich zu Perlmann um.) Die will, dass DU mit ihr zusammenarbeitest.

Perlmann: ICH?

Assistentin Beckchen: Eine Woche. Das hat sie gesagt.

Perlmann: Das kommt überhaupt nicht infrage. Was ist denn mit der Mutter?

Blum: Darf auch nicht zu Rebecca. Angeblich nur eine weitere Fremde, die außerdem psychisch instabil ist.

Assistentin Beckchen (zu Perlmann): Ach, aber du!? Du kannst da helfen?

Perlmann: Ja, ich weiß auch nicht, warum das Mädchen so auf mich reagiert! Das ist auch nicht meine Aufgabe.

Blum: Aber du kannst rausfinden, ob das Mädchen Lik ermordet wurde - das ist deine Aufgabe! Glaub mir, ich würde dich auch lieber hier haben.

Perlmann: Na gut.

Die besten Zuschauerkommentare:

Beste Szene:

Im Hamburger Tatort musste Murathan Muslu als glasäugiger Friedensrichter zuletzt das Zeitliche segnen (wobei eine wundersame Wiederauferstehung in den Schweiger-Episoden durchaus im Bereich des Möglichen läge). In Konstanz bekommt er nun einen Gastauftritt als Vater eines vermissten Mädchens - und darf Sätze sagen, die zu den besseren gehören, Pathos hin oder her.

"Hoffnung? Glauben Sie mir, wir hatten genug Hoffnung. Und jetzt, wo ich endlich gelernt habe, keine Hoffnung mehr zu haben, kommen Sie und geben mir neue Hoffnung. Lassen Sie mich einfach in Ruhe mit Ihrer Hoffnung."

Top:

In "Rebecca" geht es nicht vorrangig um die Suche nach Täter und Motiv - das ist die Stärke dieser Bodensee-Episode. Der Fall konfrontiere die Kommissare mit "psychischen Grenzsituationen", heißt es im Pressetext des SWR. Weiter ist da die Rede von "intensiv" und "anrührend". Die Wahrheit ist, dass es auch jede Menge Küchenpsychologie und Traumapathos gibt. Perlmann sagt zu Rebeccas Mutter: "Wissen Sie, ich glaube, manchmal ist das Gefängnis im Kopf das größere Problem. Hoffentlich kann sie sich daraus auch befreien." Aber im Verlauf des Films kommt tatsächlich so etwas wie echte Emotion auf: immer dann, wenn der verstockte Perlmann und die noch verstocktere Rebecca miteinander sprechen.

Flop:

Eine Episode lang müssen es Eva Mattes und Klara Blum noch miteinander aushalten, dann stellt der SWR den Bodensee-Tatort ein. In der vorletzten Folge kann man dabei zusehen, wie sehr die Schauspielerin die Trennung von der TV-Kommissarin herbeisehnt. Hier ein bedröppelter Blick, da ein bedeutsames Schweigen: Mattes spielt gerade so viel, dass es nicht als Leistungsverweigerung verbucht werden muss. Nur selten wird ihre Klara Blum munter - so, als Assistentin Beckchen früher ins Wochenende will: "Perlmann ist weg, ich hab' die Soko am Hals - das geht nicht!" Wär ja noch schöner, wenn das hier noch in Arbeit ausartet.

Bester Auftritt:

Die Geschichte erinnert an den Fall Natascha Kampusch. Die Österreicherin, die acht Jahre lang in einem Kellerverlies weggeschlossen war, suchte danach die Öffentlichkeit. Das widersprach gängigen Opfer-Klischees. Auch Rebecca, gespielt von Gro Swantje Kohlhof, ist ein unbequemes Opfer. Sie kauert in einer Ecke, will nicht reden, nicht essen, sich nicht helfen lassen. Und als Kommissar Perlmann auftaucht, legt sie eine Unterwürfigkeit an den Tag, die beklommen macht. Kohlhofs Rebecca ruft beim Zuschauer widerstreitende Gefühle hervor: Mitleid, Befremden, Bewunderung. Diese Ambivalenz ist spannender als Krimi-typische, holzschnittartige Opfer-Darstellungen - und wohl auch näher an der Realität.

Die Erkenntnis:

Ja, es gibt zwei Täter, das Böse liegt hier in der Familie. "Wissen Sie, eine richtige Frau kann man sich wirklich nur alleine schaffen. Heranziehen, heranbilden", erklärt Täter Nummer zwei Kommissarin Blum. Die guckt mal wieder nur bedröppelt.

Die Schlusspointe:

Das gefangene Mädchen befreit sich aus dem Gedankengefängnis. "Ich bin kein Erzieher", sagt Kommissar Perlmann beim Abschied zu Rebecca. "Ich weiß", antwortet die, "du bist Polizist".

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