Nach dem "Wetten, dass..?"-Unfall:Sachlicher Diskurs? Fehlanzeige!

Im Interesse der Quoten dürfe "niemand gefährdet werden", tönt es nun überall. Die Äußerung ist so banal und niveaulos wie viele andere Bemerkungen von Medienpolitikern, die vorgeben, sich um Qualität im Fernsehen zu sorgen.

Christopher Keil

Wer viel redet, redet auch öfter Unsinn. Das lehrt die Einlassung des medienpolitischen Sprechers der FDP-Bundestagfraktion zum Unfall bei Wetten, dass ...? Der Mann heißt Burkhardt Müller-Sönksen und hat vom Intendanten des ZDF einen öffentlichen Kniefall verlangt: Nie mehr dürfe der Sender eine so riskante Wette eingehen. Menschenleben seien kein Einschaltpotential. Im Interesse der Quoten dürfe "niemand gefährdet werden".

Die Äußerung ist so banal und niveaulos wie viele andere Bemerkungen von Medienpolitikern, die vorgeben, sich über Qualität im Fernsehen zu sorgen. Wo war die Stimme von Müller-Sönksen, als die ARD die herausragende Serie Im Angesicht des Verbrechens zusammenpresste und vorzeitig beendete? Setzt er sich mit Sendungen wie Jackass auseinander, die im kommerziellen Fernsehen ausgestrahlt werden und zeigen, wie Erbrochenes gebraten und verspeist wird?

Sagt er etwas Substanzielles zur gebührenfinanzierten Unterhaltung? Beklagt er den fehlenden Innovationswillen von ARD und ZDF oder den Unterhaltungsmüll der Privaten? Nichts zu alldem von ihm gehört. Auch das Einheitsprogramm, das die ARD künftig abends anbietet mit fünf Talkshows in der Woche, wäre ein kritisches Wort wert gewesen. Ebenfalls Schweigen. Politiker treten häufig in Talkshows auf. Und wer gefährdet schon gern seine Einladung?

Ein sachlicher Diskurs über öffentlich-rechtliche Inhalte und das Angebot kommerzieller TV-Anbieter fehlt in Deutschland. Wetten, dass..? ist allerdings die letzte Show, an der sich die Parteien medienpolitisch abarbeiten müssten. Diese erfolgreiche Sendung läuft seit 1981 immer gleich, als Familienprogramm am Samstagabend, lockt ein Millionen-Publikum. Sportlich riskante Wetten gab es in 29 Jahren einige. Der verunglückte Kandidat wusste, worauf er sich einließ. Es ist töricht, dem ZDF nun vorzuwerfen, es habe aus Konkurrenzgründen an der Risikoschraube gedreht. Die Zuschauer suchen nicht den Nervenkitzel, sie wollen Spaß haben und prominente Künstler und Kandidaten sehen.

Was den erfahrenen SPD-und Medienpolitiker Kurt Beck dazu treibt, plötzlich über "Nervenkitzel, Waghalsigkeit und Quote" zu reden, ist nicht ersichtlich. Beck ist in Rheinland-Pfalz Ministerpräsident und im ZDF Vorsitzender des Verwaltungsrats. Er gehört zu den verlässlichen Verfechtern des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Doch eine Vorstellung, wie man ARD und ZDF verpflichten kann, für acht Milliarden Euro ein Fernsehen zu machen, das Qualität über Quote stellt, verbreitet auch er nicht.

Stattdessen dürfen die Intendanten weiter andeuten, dass Quote nicht ignoriert werden könne - weil "die Politik" ihnen, ARD und ZDF, umgehend Gebühren striche, fiele das öffentlich-rechtliche Fernsehen unter zehn Prozent. Das genau ist die Mathematik der Mittelmäßigkeit. Und davon verstehen Politiker eine ganze Menge.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: