München-Tatort "Der traurige König":Warum Menschen in Not nicht pathetisch werden

In diesem München-Tatort kämpfen die beiden großen Burgtheater-Schauspieler Elisabeth Orth und Wolfgang Hübsch als älteres Ehepaar um die Existenz ihrers Geschäfts. Bei diesem Überlebensfight verliert sich kein Spannungsfaden und keine Person versinkt im Handlungsloch. Kommissar Franz Leitmayr blickt dieses Mal gleich drei Mal in den Lauf einer schussbereiten Waffe.

Holger Gertz

Ziemlich am Anfang betreten die beiden Kommissare, gemeinsam mit einer neuen Kollegin, das Haushaltswarengeschäft Aumeister. Die vergessene Welt darin ist dekoriert mit Fünfzigerjahre-Tapeten, und die Linsenkopfschrauben sind, wie die Flachkopfschrauben, in akkurat beschrifteten Schachteln untergebracht. Frau Aumeister lächelt warm, als sie die Kundschaft sieht: So viele waren lange nicht mehr da. Da kommt auch Herr Aumeister und bringt ein Kühlschranklämpchen, weil man das heutzutage nirgendwo sonst mehr bekommt.

Tatort

Wärme und Hoffnungslosigkeit, Nähe und Verzweiflung: Die Münchner Tatort-Kommissare Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl, links) und Ivo Batic (Miroslav Nemec).

(Foto: Kerstin Stelter)

Die Aumeisters, Schorsch und Elisabeth, kämpfen um die Existenz ihres Geschäfts, und nicht nur darum. Sie wollen verhindern, dass ihr Leben zerbricht. "Wenn der Laden stirbt, stirbt auch der Schorsch", wird Elisabeth Aumeister später sagen, als langsam durchschimmert, dass Verdächtige, Opfer und Täter in diesem Fall auf derselben Seite stehen.

Franz Leitmayr will bei einer Routine-Kontrolle einen Mann stellen. Der Mann schießt auf ihn, Leitmayr schießt zurück, der Mann bricht schwer verletzt zusammen und sinkt ins Koma. So fängt alles an.

Der Mann, auf den Leitmayr geschossen hat, ist der Sohn der Aumeisters, so hängen die Dramen in dieser Episode zusammen. Alle Hauptpersonen versuchen, irgendwie klarzukommen. Den meisten gelingt es nicht. Als Leitmayr an einem Tisch sitzt, verwandeln sich Kaffeeflecken vor seinem inneren Auge in Blutlachen. Als der alte Aumeister (Wolfgang Hübsch) an einem Tisch sitzt, beginnt er zu weinen, und seine Frau (Elisabeth Orth) steht dabei und versucht, ihn zu umarmen, aber in ihrem Alter weiß man, dass Umarmen gar nicht hilft.

Wärme und Hoffnungslosigkeit, Nähe und Verzweiflung: Die großen Burgtheater-Schauspieler Hübsch und Orth bringen das eine mit dem anderen zusammen, ohne pathetisch zu werden. Denn Menschen in Not - das Fernsehen transportiert da sonst oft falsche Eindrücke - werden nicht pathetisch. Sie werden, wie die Aumeisters sind: still und entschlossen.

Kein Spannungsfaden verliert sich in diesem sehenswerten Münchner Tatort. Jedes Versprechen wird eingelöst. Keine Person versinkt im Handlungsloch. Jede darf sich entwickeln, wobei sich die Wandlung eines mephistophelischen internen Ermittlers, der Maus heißt, sehr abrupt vollzieht. Franz Leitmayr allerdings, der dreimal in den Lauf schussbereiter Waffen blickt, ist Täter, Geretteter, Retter. Am Ende schaut er von der gegenüberliegenden Straßenseite aus zum Laden der Aumeisters rüber. Aber da zieht jetzt so ein Kopiershop ein, oder ein Matratzenlager.

ARD, Sonntag, 20.15 Uhr

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