Mediengruppe RTL:Lipgloss für zwei

Mit dem Casting-Format "X Factor" und der Serie "Glee" testet die RTL-Familie, wie gut sie kooperieren kann. Der Mutterkanal soll die Quoten für die Ableger anschieben.

Hans Hoff

Es geht gerade einiges zusammen in der Mediengruppe RTL. Derzeit läuft der Einzug ins neue Gemeinschaftsdomizil in Köln-Deutz. Super RTL ist schon da, und bei Vox werden die Kisten ausgepackt. Ende des Jahres soll der Umzug aller Abteilungen, auch der von RTL und n-tv, abgeschlossen sein.

X Factor, RTL und Vox

Till Brönner, Sarah Connor und George Glueck (von links) sollen als "X-Factor"-Juroren das Publikum an sich binden.

(Foto: RTL)

Dann werden sich die Verantwortlichen der verschiedenen Sender, die bisher auf etliche Standorte innerhalb der Stadt verteilt waren und nun in Sichtweite des Doms residieren, häufiger mal auf dem Flur und in der Kantine begegnen. Absprachen werden einfacher.

Doch schon vor der Komplettierung der Senderfamilie an einem Ort zeigt sich, dass man bei RTL enger zusammenrückt. Gerade machte die Meldung die Runde, dass Super RTL von Januar 2011 an mit Glee, der vielgelobten amerikanischen Serie über einen Highschool-Chor, glänzen möchte und sich dafür Starthilfe beim Mutterkanal gesichert hat. Bei RTL soll die erste Glee-Folge laufen, am besten im direkten Umfeld von Deutschland sucht den Superstar (DSDS). Danach hofft man, die Zuschauer rüberlocken zu können.

Ob die avisierte Quotenwanderung abläuft wie gewünscht, muss sich zeigen, weshalb die Super-RTL-Verantwortlichen am kommenden Wochenende genau hinschauen werden, wenn der Schwestersender Vox etwas Ähnliches probiert.

Ein kostspieliges Experiment

Um das teuerste Projekt der Vox-Sendergeschichte auf eine ordentliche Umlaufgeschwindigkeit zu bringen, will man die RTL-Marktmacht nutzen. So laufen die ersten beiden Folgen der neuen Castingshow X Factor an diesem Freitag und Samstag in der Hauptsendezeit bei RTL, bevor die Show dann von kommendem Dienstag an bis zum 9. November im Vox-Programm zu sehen ist.

"Das große Format müssen wir auch groß anfassen", sagt Kai Sturm. Der Vox-Chefredakteur weiß, dass riesige Erwartungen auf dem kleinen Sender lasten und dass er mit dem Senderwechsel nach zwei Folgen ein Wagnis eingeht. "Das ist das Experiment", sagt er und versucht die Quotenansprüche zu dämpfen: "Wir sind Realisten bei Vox. Wenn wir im zweistelligen Prozentbereich landen, wäre ich absolut glücklich."

Natürlich hätte der im Monatsdurchschnitt zwischen sieben und acht Prozent Marktanteil pendelnde Sender gerne mehr Zuschauer, aber Sturm ist vorsichtig geworden. Einige Projekte bei Vox sind in der Vergangenheit hochgeschossen und dann tief gefallen. Dennoch kann sich Sturm einen Misserfolg nicht vorstellen. Mit großer Begeisterung führt er in seinem Büro den Rohschnitt der ersten X-Factor-Folge vor und wirkt dabei ein bisschen wie ein Kind, das den Eltern das neue Spielzeug zeigen will.

In der Tat würde es verwundern, landete X Factor in Deutschland nicht in der Erfolgszone. Schließlich ist das Showformat des britischen Pop-Idol-Jurors Simon Cowell international extrem erfolgreich. In England geht es gerade in die siebte Staffel und gilt als sichere Bank. Hierzulande ist indes erst einmal Abgrenzungsarbeit notwendig. "Wir wollen nicht das nächste DSDS werden, wir wollen ein eigenes Format sein", sagt Sturm und verweist auf das vergleichsweise frische Prinzip seiner Show.

Keine talentfreie Zone

Bei X Factor werden zwar auch Gesangstalente gesucht, sie müssen sich aber nicht zwangsläufig dem Massengeschmacksdiktat eines Dieter Bohlen beugen. Oder sich seine Sprüche anhören. "Respekt ist eines der wichtigsten Schlagwörter für X Factor", sagt Sturm. Die Jury-Urteile reichen von "Du siehst aus wie jemand, der erfolgreich werden könnte" bis zur Frage "Liebst du Musik?" - verbunden mit der etwas schroffen Ergänzung: "Warum singst du dann?"

Die Mehrzahl der Jury-Urteile fällt positiv aus. Das ist schon der Vielzahl von Talenten geschuldet, die bei den längst abgedrehten Casting-Sitzungen unter den rund 19.000 Bewerbern auftauchten. Da kommt etwa in der ersten Folge einer ganz lässig herein, stellt sich auf das im Bühnenboden eingelassene X und sagt, er heiße Anthony, sei 30 Jahre alt und stamme aus Berlin.

Dann singt er zur Gitarre einen Michael-Jackson-Song derart eigen, locker und souverän, dass man schon ein Stein sein muss, um keine Gänsehaut zu bekommen.

Unser Star für Vox

X Factor solle sich zwischen DSDS und Stefan Raabs Lena-Suche platzieren, hatte Vox-Chef Frank Hoffmann im Vorfeld angekündigt, und wenn man Sturm so zuhört, kann man es nur sehr nahe bei Raabs Show Unser Star für Oslo verorten. Allerdings will man bei Vox nicht den Fehler der allzu schlichten Form begehen, den Raab bei seiner ernsthaften, aber showtechnisch eher unambitionierten Suche begangen hat. X Factor ist höchst professionell inszeniert.

Das sieht man schon, wenn man in der ersten Ausgabe ein paar Kandidatenvorstellungen verfolgt hat. Da wird mit einfachen Regie-Mitteln ein Effekt erzeugt, wie man ihn aus der rührseligen Werbung für Merci-Schokolade kennt, wo sehr viel Emotion in sehr kurzen Szenen vermittelt wird.

"Wir brauchen im Prinzip nur drei Bilder: die Aktion, die Reaktion und die Emotion", erklärt Sturm, also die Mimik der Kandidaten, der Jury und der Begleitpersonen der Sänger.

Blondine im Zentrum

Dreh- und Angelpunkt des Ganzen ist Sarah Connor. Die Sängerin kann man kennen, wenn man früher ihre Hits gehört hat oder erleben durfte, wie sie vor einem Fußballspiel die deutsche Nationalhymne verpatzte. Man kann sie auch kennen, weil sie sich und ihre frühere Beziehung zum Sänger Marc Terenzi bei Pro Sieben hat abfilmen lassen.

Sarah and Marc in Love war eine in Kitsch gebadete Dokusoap, die gekrönt wurde von einer Hochzeit am Strand. Nun scheint es, als arbeite Frau Connor an ihrer Rehabilitierung. Es sei gar nicht so leicht gewesen, die Delmenhorster Sängerin erneut vor die Kamera zu bekommen, sagt Vox-Chefredakteur Sturm. "Sarah hat lange gezögert, aber George Glueck hat viel Überzeugungsarbeit geleistet."

George Glueck ist der älteste der drei Juroren. Der 60-Jährige ist ein erfolgreicher Musikproduzent, der schon mit Falco und den Rainbirds zu tun hatte; auch Sarah Connor ist bei ihm unter Vertrag.

Die Jury als Bindeglied

Dritter im Bunde ist der Jazz-Trompeter Till Brönner, dessen Engagement nicht nur die Ernsthaftigkeit der Talentsuche unterstreichen soll, sondern auch für eine Besonderheit des X-Factor-Formats steht, denn die Juroren coachen nach der ersten Testphase die auserlesenen Teilnehmer, rücken also aus der Rolle des Richters in die des Trainers.

Das ist sehr warm inszeniert und wirkt besonders stark, wenn etwa die Kamera in Großaufnahme zeigt, wie anfängliche Skepsis aus Connors Gesicht weicht und Bewunderung Platz macht. Ohnehin vermittelt die Sängerin den Eindruck, als trage sie ihr Lipgloss auch auf den Augen und könne jeden Moment das große Heulen beginnen. Was sie natürlich auch tut.

"Die Zuschauer müssen eine Bindung zur Jury aufbauen", erklärt Sturm, wenn man ihn fragt, was das Publikum bei der Show halten und zum Senderwechsel von RTL zu Vox verführen soll. Das Verhältnis zu den einzelnen Teilnehmern wird erst später definiert.

Am Ende ist aber auch ein altgedienter Showhase wie Sturm, der schon mit Linda de Mol Traumhochzeit gefeiert und bei Vox einiges in richtige Bahnen gelenkt hat, abhängig von dem, was die Leute zu bieten haben, die er zeigt. "Es läuft über die Musik", sagt er. "Wir können immer nur so gut sein wie die Kandidaten."

X Factor, RTL, Freitag, Samstag, 20.15 Uhr; danach immer dienstags bei Vox, 20.15 Uhr.

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