Maybrit Illner zum Jamaika-Bündnis:"Koalitionsverhandlungen live" - dieser Anspruch konnte nur scheitern

maybrit illner; Maybrit Illner

Zu Gast bei Maybrit Illner: Gesine Schwan, Armin Laschet, Cem Özdemir, Joachim Herrmann und Wolfgang Kubicki (v.l.)

(Foto: ZDF und Jule Roehr)
  • In der Talkrunde bei Maybrit Illner ging es um eine mögliche Jamaika-Koalition.
  • Eingeladen waren unter anderen die drei Vertreter einer solchen möglichen Koalition: Cem Özdemir von den Grünen, Joachim Herrmann von der CSU und Wolfgang Kubicki von der FDP.
  • Zu Koalitionsverhandlungen im Live-TV kam es an diesem Abend jedoch nicht.

TV-Kritik von Oliver Klasen

Armin Laschet ist verantwortlich für den größten Erfolg, den die CDU in diesem Jahr eingefahren hat. Im Mai gewann er die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen, löste Rot-Grün ab und wurde Ministerpräsident. Aus seinem Bundesland, genauer gesagt aus Köln, kommt auch die Band AnnenMayKantereit, deren Debütalbum gut die Überschrift für diese Sendung hätte liefern können: "Alles nix Konkretes".

Die ZDF-Redakteure hatten sich für die Talkrunde mit Maybrit Illner einen weniger feuilletonistischen Titel überlegt: "Wenn vier sich streiten - mit Jamaika in die Zukunft?" Eingeladen waren neben Laschet die drei anderen Vertreter einer möglichen Jamaika-Koalition: Cem Özdemir von den Grünen, Joachim Herrmann von der CSU und Wolfgang Kubicki von der FDP.

Seit Tagen diskutiert Deutschland über die neuartige Konstellation. Seit Tagen werden in den Medien Schnittmengen berechnet, Schmerzgrenzen gezogen und Sondierungsmöglichkeiten dargelegt. Und seit Tagen denkt manch unbeteiligter Beobachter, Regierungsarbeit sei schlimmer als Fußpilz, so sehr zieren sich die Vertreter der vier Parteien, mal konkret zu sagen, was sie vom jeweils anderen trennt und was sie verbindet.

Zugegeben, Claus Kleber, der "Heute-Journal"-Moderator, hatte den Talk mit äußerst steiler These angekündigt. Gleich würden hier "Koalitionsverhandlungen live" stattfinden. Eine derart hohe Erwartungshaltung musste enttäuscht werden. Aber auch wer weniger anspruchsvoll war, erfuhr in den 60 Minuten nicht, ob das Schiff nach Jamaika schon auf Kurs ist oder noch im Hafenbecken von Kiel dümpelt.

Kiel als Musterbeispiel für eine Jamaika-Koalition

Dort, in Schleswig-Holstein, besteht seit einigen Monaten das derzeit einzige Jamaika-Bündnis der Republik. Nach allem, was man hört, arbeitet es effizient und störungsfrei, was, wie Kubicki in der Sendung betont, vor allem daran liegt, dass die Beteiligten, anders als in Berlin, "über Jahre hinweg Beziehungen zueinander aufgebaut haben".

Kurioserweise geht es bei Illner aber zunächst gar nicht um Jamaika. Zu Beginn wird ein Einspielfilm mit krawalligen Zitaten von Martin Schulz gezeigt, die er nach seiner Wahlniederlage gemacht hat. Ein Gutteil der Sendezeit geht dann dafür drauf, die Befindlichkeit der SPD zu ergründen.

Gesine Schwan, Politikprofessorin und zweimalige Kandidatin für das Amt des Bundespräsidenten, ist als deren Vertreterin geladen. Sie hält erst mal einen kleinen demokratietheoretischen Vortrag über die Funktion der Opposition.

Die Sozialdemokraten hatten nach dem desaströsen Ergebnis am Sonntag sofort angekündigt, dass sie für eine erneute große Koalition nicht zur Verfügung stehen. Kubicki kritisiert diesen Schritt als feige und trotzig. Die SPD habe ihre "Förmchen aus der Sandkiste" genommen, wolle nur um Mitleid heischen und müsse eben erkennen, dass sie bei den Bundestagswahlen "drei Mal hintereinander strategische Fehler begangen habe".

"Zu viel Häme gegen die SPD"

Der bayerische Innenminister Herrmann ist da gnädiger. Er sagt, ihm sei es ganz recht, wenn die SPD schon vor der Wahl erkläre, sie wolle lieber in die Opposition. In Bayern müssen die Sozialdemokraten das freilich nicht extra erklären. Es scheint dort ohnehin Naturgesetz zu sein. Schließlich schreitet Özdemir ein: "Mir gefällt diese Häme gegen die SPD nicht", sagt der Grünen-Chef und verweist auf die ruhmreiche Geschichte der Partei.

Überhaupt gibt Özdemir an diesem Abend den staatstragenden Vermittler, beispielsweise, als sich Schwan und Herrmann darüber streiten, wie die AfD zurückgedrängt werden kann. Immer wieder sucht der Grüne das Verbindende in den Aussagen und fasst zusammen, wo die Gemeinsamkeiten liegen. Es entsteht der Eindruck, dass er von allen Beteiligten am weitesten gediehen ist mit seinen Überlegungen.

maybrit illner; Maybrit Illner

Özdemir gibt an diesem Abend den staatstragenden Vermittler

(Foto: ZDF und Jule Roehr)

In der Mitte der Sendung verliert sich die Moderatorin. Das Aufregendste in dieser Phase ist, dass sie Gesine Schwan einmal versehentlich "Frau Schulz" nennt. CDU-Mann Laschet spricht von enttäuschten Bürgern in Gelsenkirchen und Herrmann beklagt sich - wie schon in der Berliner Runde am Sonntag - dass schon wieder viel zu viel über die AfD geredet werde.

Weder ein Einspielfilm über die Rolle der Medien beim Aufstieg der Rechtspopulisten bringt irgendwelche Erkenntnisse noch das Gespräch mit der extra eingeladenen Politikprofessorin Andrea Römmele. Illner fragt bei ihr den Status aller vier potenziellen Jamaika-Partner ab, bleibt dabei aber bei einer Analyse stehen, die man auch am Wahlsonntag um 18.15 Uhr bereits hätte haben können.

Keine Übereinstimmung bei der Einwanderungspolitik

So sind 40 Minuten vorüber, bis der Moderatorin aufgeht: "Oh Glück, wir haben drei potenzielle Minister hier sitzen". Özdemir Außen-, Herrmann Innen- und Kubicki Finanzminister, so stellt sich Illner das vor. Doch der Grünen-Politiker bremst und kassiert Claus Klebers Ankündigung ein für alle Mal, indem er sagt: "Wir werden die Koalitionsverhandlungen wahrscheinlich nicht im ZDF führen." Illner versucht es noch erfolglos mit einer Suggestivfrage bei Laschet und will wissen, wie verlässlich ein angeschlagener Horst Seehofer als Verhandlungspartner ist.

Es bleibt schließlich nur noch sehr wenig Zeit, zwei Themengebiete auf Jamaika-Tauglichkeit zu prüfen. In der Einwanderungspolitik stimmen Özdemir und Herrmann darin überein, nicht übereinzustimmen. In puncto Europa geht es um die Rede des französischen Präsidenten Emmanuel Macron, dessen Pläne für einen EU-Finanzminister die FDP etwas zu hochfliegend findet. Auch dabei wird nichts gesagt, was nicht schon in den vergangenen Tagen von meist exakt denselben Akteuren gesagt wurde.

Es scheint ohnehin, als seien Özdemir, Herrmann und Kubicki von ihren Parteien zu Talkshow-Beauftragten ernannt worden. Vielleicht hätten die Koalitions-Aspiranten einen Teil der dafür aufgewendeten Zeit besser schon einmal für Sondierungsrunden nutzen sollen. Dann hätte das Schiff mit Kurs auf Jamaika zumindest schon mal die Leinen losgemacht.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: