"Maybrit Illner":ZDF-Talk zum Fall Wedel: "Die Aura des Erfolgs umwehte ihn"

maybrit illner (2018)

ZDF-Intendant Thomas Bellut in der Runde bei Maybrit Illner

(Foto: ZDF und Harry Schnitger)

ZDF-Intendant Bellut versucht bei Maybrit Illner zu erklären, warum so lange niemand dem Regisseur Einhalt gebot. Ausgerechnet eine Frau stellt die Glaubwürdigkeit mutmaßlicher Opfer infrage.

TV-Kritik von Ruth Schneeberger

Wer stellt sich hier als Opfer dar? Das wird doch wohl ein Täter sein! Es macht dieser Tage ein bisschen sprachlos, wie sich weite Teile der Öffentlichkeit mit einer unerklärlichen Wut auf mutmaßliche Opfer stürzen. Wo es doch drängende Belege gibt, die nahelegen, dass mit Dieter Wedel ein Täter beklagt werden müsste.

Während sich in den USA recht schnell nach den Vorwürfen gegen Weinstein, Spacey und Co. die Öffentlichkeit auf die Seite der Missbrauchten stellte, sind hierzulande Kräfte laut hörbar, die potenziellen Opfern erst mal Lug, Trug und Hinterlist unterstellen. Da muss sich ein Chefredakteur wie Giovanni di Lorenzo allen Ernstes zu Maybrit Illner in die Sendung setzen, um den Vorwurf zu entkräften, die altehrwürdige Zeit würde Zeugen kaufen für die Story über Missbrauchsvorwürfe gegen den Regisseur Dieter Wedel.

Natürlich, Wedel gilt bis zu einer eventuellen Verurteilung als unschuldig - wäre eine solche in Anbetracht von Verjährungsfristen überhaupt noch möglich. Trotzdem ist es den Medien erlaubt, über die Vorwürfe zu berichten. Zumal sehr viele Zeugen recherchiert wurden, die - unabhängig von einer Gerichtsverhandlung - für die Opfer aussagen. Die Zeit hat sieben Fälle dokumentiert, ihr sind insgesamt 22 bekannt, in die rund 150 Leute involviert waren. Das wirft die Frage auf, wieso einer wie Wedel in einem System wie dem deutschen öffentlich-rechtlichen Fernsehen überhaupt so lange gewähren konnte. Und das sogar unabhängig von der Frage, ob es sexuellen Missbrauch gab oder nicht. Denn dass Wedel gegenüber seinen Darstellerinnen sehr ungemütlich werden konnte, das bestreitet nicht mal er selbst. "Warum wurde das so lange gedeckt?", fragt di Lorenzo.

Halbwegs kompetente Antworten

Bei Illner gibt es die Gelegenheit, darauf halbwegs kompetente Antworten zu bekommen, denn es sitzen ausnahmsweise mal die richtigen Gäste im Studio. Thomas Bellut etwa als Intendant des ZDF. Damit zeigt der Sender selbstkritische Züge, denn auch er muss sich die Frage gefallen lassen, warum angeblich nie jemand von etwas wusste. "Die Aura des Erfolgs umwehte ihn", antwortet Bellut auf die Frage, wie er selbst den umstrittenen Regisseur damals erlebt habe. Es ist eine ausweichende Antwort - aber vermutlich eine, die den Kern der Sache trifft. Wenn jemand so erfolgreich ist, dem Sender Quote sowie viele Leute in Lohn und Brot bringt, dann fragt halt erstmal niemand nach dem Wie.

Wäre so etwas heute noch möglich, will Illner wissen. Das wisse er nicht, sagt Bellut, doch es werde jetzt alles dagegen getan. Denn: "Wir hatten da einen blinden Fleck auf der Landkarte."

Schadet #Metoo der Gesellschaft?

Wie es sich für solcherlei Debatten gehört, hat Illner auch die obligatorische Frau eingeladen, die die Frauen nicht versteht. Publizistin Svenja Flaßpöhler übernimmt heroisch den Part derjenigen, die jetzt noch einmal nachfragt, warum die Opfer sich erst so spät gemeldet hätten. Und überhaupt: Warum habe sich denn keine der Frauen gewehrt? Damit nicht genug, findet Flaßpöhler, dass die #Metoo-Debatte der Gesellschaft schade. Weil sie Frauen kleiner mache als sie sind. Und sie zu Opfern degradiere, die sie in Flaßpöhlers Augen ebenfalls nicht sind.

Das kann Anne Wizorek natürlich nicht auf sich sitzen lassen. Die Initiatorin der "Aufschrei"-Bewegung stellt klar, dass das Aufdecken von Machtmissbrauch mitnichten Frauen schwäche. Dies sei erst der Anfang einer gesellschaftlichen Umwälzung, die sich nicht durch Ablenkungsmanöver wie die Schuldumkehr oder das Leugnen von sexualisierter Gewalt aufhalten lasse. Die Rolle der Feministin ist klar - nur was genau will Flaßpöhler uns bedeuten? Das wird bis zum Ende der Sendung nicht ganz ersichtlich.

Warum haben die Opfer so lange geschwiegen?

Ein Mann muss dann erklären, dass es niemandem zusteht, der nicht selbst schon einmal Opfer sexueller Gewalt war, darüber zu urteilen, ob, wann und wie sich ein Opfer äußert. Produzent Benjamin Benedict ("Unsere Mütter, unsere Väter") kritisiert seine eigene Branche, die vieles nicht verhindert habe, was sie hätte verhindern können. Unter anderem aufgrund einer falsch verstandenen Vorstellung von Genie. Seit Wedels Zeiten habe sich allerdings viel verändert, die Branche sei nicht mehr dieselbe. Er hoffe, dass der Fall aufgrund seiner Prominenz positiv in die Gesellschaft ausstrahle. Denn Weinsteins gebe es schließlich auch außerhalb der Film- und Fernsehbranche noch zur Genüge.

Auch Giovanni di Lorenzo bricht eine Lanze für jene Frauen, die sich erst so spät äußerten: Er habe das selbst vor der Recherche nicht so richtig verstanden. Doch der Fall habe offengelegt, wie verstrickt die damals jungen Schauspielerinnen in ihr Schicksal gewesen seien. Eine habe sich an verschiedene Leute gewandt, die ihr hätten helfen können. Doch niemand habe sie unterstützt. Stattdessen habe ihr Wedels Anwalt damit gedroht, öffentlich zu machen, dass sie sich dem Regisseur an den Hals geworfen habe. Mit Anfang 20, ohne Hilfe, ohne Geld: "Was hätte sie tun sollen?", fragt di Lorenzo.

"Jeder Mann, der noch bei Verstand ist, kennt die Grenze"

Schließlich kommt eine Frau zu Wort, die von sich sagt, Opfer des "Schattenmann"-Regisseurs zu sein: Ex-Schauspielerin Patricia Thielemann wirft Dieter Wedel vor, sie 1991 beim Vorsprechen zu "Der große Bellheim" in einem Hotelzimmer sexuell belästigt zu haben. Er habe ihre Bluse aufgerissen und versucht, sie auf die Couch zu werfen. Doch sie habe sich befreien können. Thielemann hat diese Schilderung eidesstattlich versichert. Wedel hat eidesstattlich zurückversichert, er habe der Frau nichts getan.

Ausgerechnet Thielemann ist nun diejenige, die an diesem Abend im ZDF am entspanntesten wirkt. Und die klipp und klar sagt: "Jeder Mann, der noch bei Verstand ist, kennt die Grenze, an der sexuelle Gewalt beginnt." Dass sie keine späte Rache üben wolle, sagt sie, sondern Frauen unterstützen, denen es ähnlich erging wie ihr.

Vielleicht liegt ihre Tiefenentspannung daran, dass sie inzwischen Yoga-Lehrerin ist. Oder Thielemann ist einfach froh, dass sie eine Entwicklung mit losgetreten hat, die wohl so schnell nicht abebben wird. Trotz der ganzen Anschuldigungen, die sie über sich in sozialen und unsozialen Medien ergehen lassen muss.

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