Maybrit Illner über Sicherheit in Deutschland:"Alarm, Deutschland ist sicher!"

Maybrit Illner spezial

Bei Maybrit Illner diskutierten die Gäste über Sicherheit in Deutschland - Beatrix von Storch fehlte jedoch das Diskussions-Gegenüber.

(Foto: dpa)

"Wie sicher ist Deutschland?", fragt Maybrit Illner in einer Spezialsendung. Doch die Runde findet bei diesem komplexen Thema weder die richtigen Fragen noch die richtigen Antworten.

TV-Kritik von Luise Checchin

Es ist fast schon ein bisschen unhöflich. Da lädt Maybrit Illner Politiker ein, um über Kriminalität in Deutschland zu reden, und die überschlagen sich zunächst einmal, um die Sicherheit der Bundesrepublik zu preisen.

"Deutschland ist nach wie vor ein sehr sicheres Land", eröffnet die Landes- und Fraktionsvorsitzende der CDU Rheinland-Pfalz, Julia Klöckner. "Objektiv ist es so, dass wir eines der sichersten Länder sind", pflichtet ihr Claudia Roth von den Grünen bei. SPD-Fraktionsvorsitzender Thomas Oppermann wiederholt das Ganze noch einmal mit seinen eigenen Worten ("Deutschland ist im internationalen Vergleich eines der sichersten Länder der Welt") und der stellvertretende Bundesvorsitzende der FDP, Wolfgang Kubicki, verneint Illners Frage nach schärferen Gesetzen.

Da könnte man sich nun theoretisch freuen und die Sendung abblasen, hätte das Illner-Team nicht eine etwas andere Sicht auf die Situation. Die versteckt sich bereits im Sendungstitel. "Notruf im Wahljahr - wie sicher ist Deutschland?", lautet der. Das klingt ziemlich alarmierend und es wirkt nicht weniger alarmierend, wenn man erfährt, dass es sich hier um ein 75-minütiges "Maybrit-Illner-Spezial" handelt.

Wer bis jetzt noch keine Angst bekommen hat, der schaue sich nur die Buchtitel der eingeladenen Experten und Expertinnen an. "Deutschland im Blaulicht - Notruf einer Polizistin", heißt etwa das Werk der Kriminaloberkommissarin Tania Kambouri; "Bandenland" das des Journalisten Olaf Sundermeyer.

Erwartbare Fragen, routinierte Antworten

Maybrit Illner muss den streitunlustigen Politikern also zunächst ein bisschen auf die Sprünge helfen. Zusammen mit Olaf Sundermeyer erklärt sie, dass die Einbrüche in Deutschland im vergangen Jahr zwar um knapp zehn Prozent abgenommen haben, dass es aber trotzdem Anlass zur Sorge gebe, da immer mehr organisierte Banden aus Osteuropa Einzug hielten. "Es ist einfach, hier Menschen Dinge wegzunehmen und anschließend straflos zu bleiben", fasst Sundermeyer das Problem zusammen.

Schnell ist klar: Diese Sendung soll sich nicht um Kriminalität in Deutschland drehen, sondern um Kriminalität in Deutschland, die von Zuwanderern begangen wird. Das hat natürlich Gründe. Laut Kriminalstatistik registrierte die Polizei 2016 deutlich mehr tatverdächtige Zuwanderer als im Vorjahr, es gab einen Anstieg um 52,7 Prozent.

Das hat auch damit zu tun, dass sehr viele Geflüchtete in diesem Zeitraum nach Deutschland gekommen sind. Eine Vielzahl der Straftaten von Zuwanderern richtete sich zudem gegen andere Zuwanderer, sie sind demnach nicht nur Täter sondern auch Opfer. Aber das heißt natürlich nicht, dass es uninteressant wäre, diesem Thema eine Sendung zu widmen. Die Frage ist nur wie immer, wie man das tut.

Bei Illner geschieht es leider durch sehr vorhersehbare und häufig verengte Fragestellungen, die von den Politikern mit den gewohnten Diskursversatzstücken pariert werden. Von Roth bis Klöckner sind sich alle einig, dass es mehr Polizeikräfte braucht. Was die Runde natürlich nicht davon abhält, ausführlich zu diskutieren, unter welcher Regierungskoalition in der Vergangenheit mehr Polizeistellen abgebaut worden sind.

Weil Wahlkampf ist, betonen außerdem Kubicki und Klöckner unermüdlich, wie ausgesprochen schlecht es um die Sicherheitslage in NRW bestellt sei. Klöckner scheint dabei die Rolle des - aus unerfindlichen Gründen fehlenden - CSU-Politikers zu übernehmen und berichtet bei jeder Gelegenheit, wie sicher es in Bayern ist.

Das Interessanteste passiert hinter den Kulissen

Von der beklagenswerten Respektlosigkeit gegenüber Sicherheitskräften plätschert die Diskussion dann weiter zur Frage, wen man wann wohin abschieben darf, um schließlich beim Fall Anis Amri zu landen und den mannigfachen Behördenverfehlungen, die mit seiner Tat in Zusammenhang stehen.

Das Interessanteste an dieser Sendung spielte sich wohl hinter den Kulissen ab. Die Linken-Politikerin Sevim Dağdelen hatte ihre Teilnahme kurz vor der Aufzeichnung abgesagt. Das Illner-Team wollte Dağdelen nicht in der großen Runde mit Oppermann, Roth, Klöckner und Kubicki diskutieren lassen, sondern in einem inszenierten Streitgespräch mit der AfD-Politikerin Beatrix von Storch.

Das sei für die stärkste Oppositionspartei im Deutschen Bundestag "völlig unangemessen", ließ Dağdelen über einen Sprecher ausrichten. Vielleicht lag es an dem Fehlen eines politischen Diskussionsgegners, dass Beatrix von Storch - separat von Illner interviewt - ungewöhnlich zahm daherkam.

Die wirklich wichtigen Fragen kamen jedenfalls viel zu kurz. Wo genau liegen die Gründe für die gestiegene Kriminalität unter bestimmten Gruppen von Zuwanderern? Wie lassen sie sich langfristig bekämpfen? Woran liegt es, dass zwei Drittel der Deutschen sich unsicher im öffentlichen Raum fühlen, wenn sich doch die Gesamtzahl der Straftaten 2016 kaum verändert hat? Hat es etwas mit der allgemeinen "Verrohung" der Gesellschaft zu tun, die Thomas de Maizière bei der Vorstellung der Zahlen im April diagnostiziert hat?

Eine tiefere Analyse scheint kurz durch

Ganz kurz scheint dieser Anspruch einer tiefergehenden Analyse durch, als Illner die Salafismus-Forscherin Nina Käsehage interviewt. "Wenn ich jemanden abschiebe, dann schiebe ich das Problem irgendwo anders hin", sagt Käsehage und fängt an zu erklären, welche Präventivmaßnahmen nötig wären, um Radikalisierungsprozessen - bei Zuwanderern wie bei Deutschen - vorzubeugen.

Aber da ist die Sendezeit dann auch schon bald vorbei. "Wir haben versucht, ein relativ großes Rad zu schlagen", sagt Illner zum Abschluss fast entschuldigend. Dem möchte man beipflichten und hinzufügen: Etwas weniger Akrobatik wäre wünschenswert gewesen.

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