Maischberger zur Fußball-WM:Alle nicken. Muss man mehr dazu sagen?

MAISCHBERGER

Die Gäste von Sandra Maischberger beschränkten sich beim Thema Fußball auf das Wesentliche. Nach 75 Minuten war zwar nicht alles aus-, aber viel andiskutiert.

(Foto: WDR/Max Kohr)

Wer will schon wirklich wissen, wie tief der Sumpf ist rund um die Fußball-WM in Russland? Die Runde bei Sandra Maischberger jedenfalls nicht. Dort wird nett geplaudert, ganz im Sinne der Unterhaltungsindustrie Sport.

TV-Kritik von Thomas Hummel

Die Fußball-Weltmeisterschaft in Russland beginnt. Da liegen eine Menge Themen auf dem Tisch. Wer wird Weltmeister? Soll Manuel Neuer spielen? Die Affäre Gündoğan/Özil. Müsste man eine WM in Russland boykottieren? Die Fifa. Der Videoschiedsrichter. Die Aussagen von Ex-Nationalspieler Per Mertesacker über den großen Druck im Profifußball. Da ist für jede Talkshow was dabei, für jeden Stammtisch und für jedes Kantinenessen sowieso. Jeder sucht sich sein Lieblingsthema.

Doch all das in einer Sitzung binnen 75 Minuten besprechen? Unsinn. Wer sollte darauf Lust haben? Und wer würde glauben, zu all diesen Themen etwas Fundiertes sagen zu können?

Die Sendung Maischberger hatte genau diese absurde Idee. Und am Ende kam der Gedanke auf, dass man hier eventuell einem Irrtum aufgesessen ist. Das war vielleicht gar keine renommierte politische Talksendung, die den Streithemen der Zeit auf den Grund gehen will. Sondern diesmal eine Runde netter Menschen, die anlässlich der WM ein paar harmlose Ansichten und Wahrheiten zum Thema Fußball austauschten. Ein nettes Geplauder im Sinne der Unterhaltungsindustrie Sport. Was der Sache vielleicht sogar angemessen ist.

Alle nicken. Muss man mehr dazu sagen?

Denn das machen doch nun alle: über Fußball reden. Okay, das mit dem Gastgeber Russland ist blöd. Die Erdoğan-Bilder von İlkay Gündoğan und Mesut Özil - die waren echt richtig blöd. Und die Fifa? Ist "ein Sauhaufen", legt sich Kommentator Reinhold Beckmann fest. Alle nicken. Muss man mehr dazu sagen?

Diese Maischberger-Sendung müsste den Programmdirektoren der Sender zu denken geben. Dem Land steht ja eine Rund-um-die-Uhr-Berichterstattung bevor, in der bisweilen die Dinge wie Kaugummi in die Länge gezogen werden, um die Sendezeit zu füllen. Andere Dinge werden aufgebauscht und wichtiger gemacht, als sie sind. Denn so eine WM ist heutzutage eine nationale Angelegenheit. Die Gäste von Sandra Maischberger aber beschränkten sich auf das Wesentliche. Alles in 75 Minuten und fertig. Da es keinen ernsthaften Disput gab, hatten die Gäste sogar Zeit für Anekdoten und seltene Einblicke.

Beispiele: Sollen Nationalspieler die Hymne mitsingen? Der frühere Torwart Toni Schumacher (er stand wie alle anderen stumm da und machte die Augen zu): "Ich hab' die zwei Minuten genutzt, um mein autogenes Training zu machen." Erst Ende der achtziger Jahre habe der DFB angefragt, ob die Spieler die Hymne singen könnten. "Da konnte natürlich keiner den Text." Heute erregen sich Menschen, wenn Spieler mit ausländischen Wurzeln nicht mitsingen.

Oder: Soll man überhaupt nach Russland fahren und dort Fußball spielen angesichts der Krim-Annexion, der Einschränkung von Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, der Kriegs-Aktivitäten in Syrien? Ex-WDR-Intendant Fritz Pleitgen erzählte dazu eine Geschichte aus dem Jahr 1955. Da "passierte etwas Ungeheuerliches": Der sowjetische Fußballverband hatte den DFB zu einem Länderspiel in Moskau eingeladen, dabei sei der Hass der beiden Nationen aufeinander zehn Jahre nach dem Krieg sehr groß gewesen. Der DFB sei trotz politischer Widerstände gefahren. "Die Zuschauer haben den Deutschen zugejubelt", erzählte Pleitgen. Das sei doch eine tolle Geschichte. Fußball als Völkerverständigung.

Gut, man hätte etwas tiefer einsteigen können in die Materie. Zum Beispiel wie Putins Oligarchen die Staatskasse geplündert haben für die Stadien und Infrastruktur. Die offiziellen Kosten belaufen sich auf knapp zwölf Milliarden Dollar, womit die WM die mit Abstand teuerste der Geschichte wäre. Doch alle Welt weiß, dass die Zahl viel zu niedrig angesetzt ist. Die wahren Dimensionen werden vom Kreml unter Verschluss gehalten. Das Turnier soll den Russen zeigen, dass sie wieder jemand sind im Welttheater. Dafür wurde geprotzt, was das Zeug hält. Das Ausmaß der Korruption und der abgezweigten Millionen ist nach Ansicht von Kritikern riesig. Doch was soll's, jetzt kann man es eh nicht mehr ändern. Haben die Deutschen die WM 2006 nicht auch genutzt für ihre Imagepflege?

Wer will schon wirklich so genau wissen, wie tief der Sumpf ist rund um diese Fußballturniere? Wer will schon wissen, wie sehr Brasilien und Südafrika heute unter den Hinterlassenschaften ihrer Weltmeisterschaften ächzen? Die teuren Stadien, die niemand braucht. Flughäfen, Hotels, Straßen. Dass man diese Fußballturniere, so wie sie derzeit organisiert sind, eigentlich verbieten müsste. Die armen Russen werden das wohl oder übel auch bald erfahren. Doch jetzt kommt erst mal Fußball und die Leute sitzen zusammen und plaudern vergnüglich über dies und das. Ist die Welt nicht voller Sorgen? Dann soll wenigstens die Fußball-WM heiter und vergnüglich werden.

"Definieren Sie mir Gerechtigkeit!"

Deshalb zurück auf den Platz. Zum Wutobjekt deutscher Fußballfans, das nun auch die WM kapern wird: dem Videoschiedsrichter. Auch hier kurz und knapp: "Ich möchte betonen: Hinter jeder Pfeife steckt ein Mensch." (Ex-Schiedsrichter Markus Merk). "Selbst mit Videobeweis gibt es 50:50-Entscheidungen." (Pleitgen) "Definieren Sie mir Gerechtigkeit!" (Merk) Muss man mehr dazu sagen? Daran könnte sich der Fußball-Erregungstalk Doppelpass bei Sport 1 mal ein Beispiel nehmen.

Die Stimmung in der Runde war heiter und machte fast Lust auf das Turnier. Reinhold Beckmann erklärte: "Wer jemals in Russland war, weiß, wie großartig die Russen sind." Und Grünen-Politikerin Claudia Roth lobte Per Mertesacker für seine Bekenntnisse, er habe unter dem Druck gelitten und stellte fest: "Hinterm Ball ist auch ein Mensch." Die Moderatorin Marlene Lufen saß noch dabei und bekannte: "Ich hab' mich schon Schwarz-Rot-Gold angemalt, als es noch uncool war." Und Fritz Pleitgen antwortete auf Maischbergers Frage, ob dies die beste Mannschaft aller Zeiten sei? "Ja, wahrscheinlich schon." Was soll da noch schiefgehen.

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