Maischberger über Minijobber und Millionäre:"Der Staat unterstützt die Ungerechtigkeit"

Maischberger-Publikumsdebatte zum Thema "Millionär oder Minijobber: Ist Deutschland ungerecht?"

Große Runde: Sandra Maischberger mit den Gästen ihrer Publikumsdebatte zum Thema soziale Ungerechtigkeit.

(Foto: Maischberger/ARD)

Um sich dem Volk anzunähern, lassen Sender zunehmend den "kleinen Mann" zu Wort kommen, so auch bei Maischberger. Eigentlich eine gute Sache. Wäre da nicht die Politik.

TV-Kritik von Ruth Schneeberger

Der "kleine Mann" ist in dieser Nacht eine kleine Frau. Allzu viele Sorgen trägt sie auf ihren schmalen Schultern, denn: Sie hat drei Jobs und kommt doch kaum über die Runden. Netto bleiben ihr nur 1000 Euro, aber sie will lieber "das Amt entlasten", als von Hartz IV zu leben.

Wie es sich damit lebt, kann ein ehemaliger Hauptschullehrer aus Köln berichten, der seinen Beruf nicht mehr ausüben kann und aufgrund der mangelhaften Grundsicherung gerne die Tafel aufgesucht hätte. Dort teilte man ihm mit, wegen Überfüllung könne er sich vielleicht in zwei Jahren etwas zu Essen holen. "Armut steht Schlange", formuliert es der Ex-Lehrer. Er erzählt von großer Scham und damit verbundenen psychischen Problemen. Und er warnt vor Neid unter Mittellosen, Asylbewerbern und Hartz-IV-Empfängern, die sich nun um die offenbar nicht ausreichenden Töpfe schlagen müssten.

Deutschland 2017: Die Kanzlerin verkündet, den Menschen in diesem Land sei es noch nie so gut gegangen wie heute. Meint sie damit alle, die Mehrheit oder nur eine kleine Elite? Wie seit Beginn ihrer Kanzlerschaft vor zwölf Jahren versuchen die Medien, Angela Merkels bisweilen arg formelhafte Worte zu enträtseln. Sandra Maischberger probiert es am späten Mittwochabend in der ARD noch einmal mit einer Publikumsdebatte, diesmal unter dem Motto: "Millionär oder Minijobber: Ist Deutschland ungerecht?"

Eine erste "Publikumsdebatte" gab es bei Maischberger im November, damals zum Thema "Angst vor dem Islam". Weil die Redaktion positiv überrascht vom Medienecho war, das nicht so negativ wie sonst ausgefallen sei, wird das Experiment nun fortgesetzt. Wieder mit einem schmissigen, man könnte auch sagen: populistischen Thema. Wieder sind die Studiogäste eingeladen, zu diskutieren. Ganz normale Menschen aus allen möglichen Bevölkerungsschichten, vom Anwalt bis zur Putzfrau, die dem Aufruf der Redaktion gefolgt sind, ihre Meinung zu äußern. Die Politiker stehen an diesem Abend, im Gegensatz zu sonstigen Talkshows, nicht im Mittelpunkt. Sie sitzen mit im Publikum, wie Zaungäste, und dürfen nur ab und zu etwas sagen. Eine ungewohnte Rolle.

Die Politik weicht aus

Vielleicht ist das ein Grund, warum hier nicht die erste und auch nicht die zweite Garde an Politikern sitzt. Generalsekretärin Katarina Barley ist zwar die neue Talkshow-Queen der SPD und schlägt sich in dieser Rolle kulleräugig auch ganz wacker, aber wer ist Ralph Brinkhaus? Einer von ingesamt zwölf stellvertretenden Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und sonst nicht weiter auffällig - außer durch an diesem Abend viel geäußertes Verständnis für alle Beteiligten.

Dabei ist genau das das Problem: Von Verständnis können sich die Betroffenen nichts kaufen. Was sie benötigen, ist konkrete Hilfe. Stattdessen wiegeln die Politiker an diesem Abend ab, wo sie persönlich um Ratschlag gebeten werden, lenken ab, wo es um konkrete Antworten ginge, und weichen aus, wo die Moderatorin gezielt nachhakt. Das ist schade, denn es konterkariert das Format.

Martin Schulz und die soziale Gerechtigkeit

Der Sender hat gute Gründe, dem Volk mehr "aufs Maul" schauen zu wollen, die Deutschen mehr zu Wort kommen zu lassen und Wähler wie Zuschauer besser ins Programm zu integrieren. Denn die "Lügenpresse"-Vorwürfe gegenüber den Medien und die Entfremdung des "einfachen" Bürgers von der Politik sorgen bei vielen für Angst vor der AfD und dem Erstarken rechter Parteien - durchaus auch wegen zunehmender sozialer Ungerechtigkeit. "Der Staat unterstützt die Ungerechtigkeit, die durch die Marktwirtschaft entsteht", empört sich ein Zuschauer. Die Aufgabe der Politik sei es eigentlich, dagegenzuhalten. Doch in diesem Punkt versage sie zunehmend.

Wer in Not ist, ist selber schuld?

Ist denn wirklich alles so schlimm in Deutschland? Nein, finden viele Gäste im Publikum. Im Vergleich zum Rest der Welt, die gerade von Krisen geschüttelt wird, hätten es die Deutschen noch gut getroffen. Trotzdem gebe es zu viele ungelöste Probleme. Daran seien die Leute aber alle selber schuld, findet ein älterer Gast aus Berlin. Man dürfe nicht ständig nach Hilfe fragen, jeder sei für sein Leben selbst verantwortlich. Mit dieser Meinung bleibt er weitestgehend allein.

Die Nöte, die hier von den Zuschauern vorgetragen werden, sind nicht ausgedacht, keine Einzelfälle und alles andere als Kleinigkeiten. Die Familie mit vier Kindern, die mit dem Gehalt eines Krankenpflegers kaum auskommt, aber auch keine staatliche Unterstützung findet, ist da schon ein alter Hut. Weniger bekannt sind Fälle wie der eines Mannes, der in München zehn Monate lang unter der Brücke schlafen musste - trotz Jobs -, weil er nach einem Schlaganfall, schlechteren Jobchancen und dementsprechend weniger Geld im Portemonnaie einfach keine bezahlbare Wohnung fand. Das Amt konnte ihm nicht helfen.

Auf der anderen Seite berichtet Maischberger, dass die Zahl der Einkommensmillionäre in Deutschland immer weiter wachse, genau wie die Einkommenskluft zwischen Vorständen und Arbeitnehmern, und sie fragt: "Ist das gerecht?" Wie sei es möglich, dass eine Kanzlerin unter diesen Umständen davon spreche, dass es "Deutschland" so gut gehe wie nie, will die Moderatorin wissen. Eine Antwort erhält sie nicht.

Das Volk steht im Mittelpunkt - endlich

Nur die Frage nach dem hoffnungsvollen SPD-Spitzenkandidaten als Alternative wird ganz schnell beantwortet - wiederum von einem Zuschauer: Martin Schulz habe nun seit Beginn seiner politischen Laufbahn vor 30 Jahren genügend Gelegenheit gehabt, die soziale Gerechtigkeit nicht nur zu entdecken, sondern auch zu gestalten, und sei somit nicht wirklich ernst zu nehmen.

Apropos ernst nehmen: So betrüblich es auch ist, dass die Politik ihre Chance nicht genutzt hat, auf die Wähler und ihre Sorgen tatsächlich einzugehen, eines hat der Abend gezeigt: Die bessere Figur hat diesmal eindeutig das Publikum gemacht. Das ist bemerkenswert für ein Land, in dem es seit Monaten heißt, das Volk sei so kompliziert und die verantwortungsvolle Politik derzeit wirklich nicht zu beneiden. Vielleicht ist es ja genau andersrum.

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