Maischberger-Talk zu Rufmord:Die Hölle sind die anderen

Maischberger

Bunte Truppe bei Sandra Maischberger

(Foto: WDR/Melanie Grande)

Der Dopingvorwurf gegen Claudia Pechstein, eine falsche Verurteilung wegen Vergewaltigung, Suizid nach Cybermobbing und dann auch noch das Dschungelcamp. Sandra Maischberger will zeigen, wie sich Rufmord-Opfer wehren können - und hätte sich besser etwas beschränkt.

Von Hannah Beitzer

Claudia Pechstein hat einen Sieg errungen. Das Oberlandesgericht München ließ ihre millionenschwere Schadenersatzklage gegen den Eislaufweltverband ISU zu, ein in der Sportgeschichte einmaliger Vorgang. Sechs Jahre lang kämpft die Eisschnellläuferin nun schon gegen ein Urteil, das sie für falsch hält: Wegen Dopings wurde sie gesperrt, zu Unrecht, sagt Claudia Pechstein, sie darf nun weiter gerichtlich dagegen vorgehen. Über die Entscheidung des Oberlandesgerichts sagt sie bei Sandra Maischberger: "Für mich zählt das mehr als alle Medaillen zusammen."

Als Rufmord empfindet Pechstein das, was ihr passiert ist - Maischberger hält sie für einen geeigneten Gast, um in ihrer Sendung zu zeigen, wie man gegen Rufmord kämpfen oder zumindestens damit umgehen kann. Sie hat eine Reihe Gäste eingeladen, die von entsprechenden Schicksalen betroffen sind.

Pechstein sieht sich als Opfer

2009 wurde Pechstein vom ISU für zwei Jahre gesperrt, veränderte Blutwerte waren der Welt-Anti-Doping-Agentur aufgefallen. Pechstein wollte sich allerdings nicht als Dopingsünderin verstanden wissen, ihre Begründung: Sie leide an einer seltenen, ererbten Blutanomalie. Es gibt Experten, die ihr das bestätigt haben, andere Experten bezweifeln, dass das als Erklärung für die Blutwerte ausreicht. Pechstein sieht sich auch bei Maischberger als Opfer. "Ich konnte mir niemals vorstellen, dass so was passiert", sagt sie über die Sperre. Schließlich habe sie nie gedopt. Von den Medien fühlt sie sich unverstanden, in der Öffentlichkeit falsch dargestellt. "Diesen Stempel, den man auf die Stirn gepresst bekommt, den werde ich nie wieder loswerden", sagt sie. Die Gegenseite, die auch viel über diesen Fall zu berichten hätte und mit welchen Methoden Pechstein um ihr Ziel kämpft, sie kommt bei Maischberger nicht zu Wort.

Unschuldig in Haft - von Mitgefangenen bedroht

Außerdem ist da Ralf Witte, der von Maischberger als "unbescholtener Bürger" vorgestellt wird. Der Straßenbahnfahrer wurde von seiner 15-jährigen Babysitterin wegen mehrfacher Vergewaltigung angezeigt. Obwohl er für die angeblichen Tatzeitpunkte Alibis hatte, obwohl das Jungfernhäutchen des Mädchens weitgehend intakt war, obwohl am angeblichen Tatort keine DNA von ihm gefunden wurde, wurde er verurteilt und saß fünfeinhalb Jahre in Haft.

Dort wurde er von Mithäftlingen bedroht: "Kinderficker sagt man im Gefängnis dazu", erzählt Witte heute. Seine Frau hielt zu ihm, schließlich wurde der Prozess wieder aufgerollt und Witte freigesprochen. In sein Leben fand er trotzdem nicht zurück, er ist arbeitsunfähig, inzwischen in Rente. 50 000 Euro Schadensersatz hat er für die fünfeinhalb Jahre Gefängnis bekommen, 25 Euro für jeden Tag. Minus 6000 Euro Essensgeld - das müssen unschuldig Verurteilte selbst bezahlen. Witte will weiter klagen.

Oder Sylvia Pleuger, ehemalige Pflegedienstleiterin. Sie wurde von ihrem Chef gemobbt, üble Gerüchte verbreiteten sich auf ihrer Station: Sie würde Patienten bestehlen, sie gar umbringen. Pleuger hielt dem Druck nicht stand, kündigte. Heute ist sie Rentnerin und berät selbst Mobbingopfer. Dass sie damals weder einen Anwalt noch einen Arzt aufgesucht hat, bezeichnet sie im Nachhinein als Fehler.

Schließlich kämpft bei Maischberger Michaela Horn mit den Tränen. Ihr 13-jähriger Sohn Joel nahm sich das Leben, nachdem er in der Schule und auf Facebook Opfer von Mobbing wurde. Schon länger, so erzählt es Horn, hätten ihn Kinder in der Schule wegen seiner Klamotten und seines "uncoolen" Handys verspottet, auch "fett" hätten sie ihn genannt.

Und dann eben noch die Sache mit Facebook: Die Eltern konnten im Nachhinein konstruieren, dass ihm am Abend jemand eine Internetseite mit pornografischem Material auf die Facebook-Seite gepostet hatte, auf der er namentlich als schwul bezeichnet wurde. "Der Joel war noch so kindlich und so harmlos. Wir haben uns gedacht: Wer kann denn unserem Sohn so eine Seite schicken?", fragt Horn.

Für die Eltern besonders schlimm ist, dass sie erst nach drei Wochen herausfanden, was Joel dazu bewogen hat, sich das Leben zu nehmen. Der Vater fand es zufällig über den Verlauf des Internetbrowsers heraus. Bis heute steht die Seite mit dem Porno und Joels Name im Netz, Facebook verweigert den Eltern die Zugriffsdaten für den Facebook-Account des verstorbenen Kindes. Und die Ermittlungen wegen Cybermobbings wurden eingestellt.

Drängende Fragen bleiben offen

Dem letzten Gast Mola Adebisi ist es sichtlich unangenehm, nach Horn an die Reihe zu kommen. Der Moderator war im vergangenen Jahr Kandidat des Dschungelcamps, Zuschauer beschimpften ihn als Memme, als Macho, auch rassistische Anfeindungen musste sich Adebisi gefallen lassen. Er macht bei Maischberger klar, dass er sich nicht auf einer Stufe mit den anderen Gästen sieht: "Ich bin ja freiwillig in diese Sendung. Ich habe gedacht, ich bin ein Medienprofi und kann das meistern." Trotzdem, das Dschungelcamp und die Folgen hätten sein Leben erschüttert. Die Beziehung zu seiner Freundin ging in die Brüche, Aufträge blieben aus, Zusagen für Fernsehformate wurden zurückgenommen.

Was haben alle diese Fälle nun gemeinsam? Der als Experte geladene Medienanwalt Ralf Höcker, der unter anderem gerade für Jörg Kachelmann die Bild-Zeitung und die Bunte auf Schmerzensgeld verklagt, sagt, "dass man mit rechtlichen Mitteln etwas erreichen kann". Das stimmt irgendwie. Pechstein hat etwas erreicht, Witte ebenfalls. Auch den anderen macht Höcker Mut: fiese Interneteinträge können gelöscht, selbst Zwölfjährige für Mobbing abgemahnt werden. Doch richtig befriedigend ist das nicht. Pechstein wie Witte sagen: Es hat trotzdem mein Leben zerstört.

Es klingt so viel Wichtiges, so viel Großes an in dieser Runde, doch fehlt letztlich die Zeit, die drängenden Fragen zu beantworten: Warum fällt es Mobbingopfern oft schwer, sich zu wehren? Was ist mit den Opfern von Rufmord, die sich keinen Anwalt leisten können? Was treibt Menschen dazu, andere Menschen zu beschimpfen, zu verleumden, falsch zu beschuldigen? Welche Rolle spielen die Medien - gerade auch die sozialen Medien? Wird das alles tatsächlich durch das Internet immer schlimmer, wie es Maischberger mehrmals suggeriert? Denn: "da verbreitet sich das millionenfach".

Ein Dopingverdacht samt Medienberichterstattung, eine erfundene Vergewaltigung und ein Justizirrtum, Suizid, Cybermobbing, Rufmord am Arbeitsplatz, Shitstorms und Reality-TV - jedes dieser Themen böte genug Gesprächsstoff für eine eigene Talkshow. Für eine Stunde und 15 Minuten ist all das zu viel. Und wirkt fast ein wenig unsensibel Menschen wie Ralf Witte oder Michaela Horn gegenüber, die für ihre erschütternden Schicksale, für ihre Fragen, Zweifel und Gefühle wenig Raum erhalten.

So bleibt nur ein dumpfes Gefühl zurück: Menschen tun anderen Menschen schlimme Dinge an. Erwischen kann es jeden. Daran kann auch ein Anwalt nichts ändern.

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