Magazinbranche:Es juckt

Die Verlage haben die rüstigen Best-Ager als Zielgruppe der Zukunft ausgemacht. Die Rollen sind klar verteilt: Männer werden nicht alt, sie werden nur besser. Und Frauen? Die müssen ihren Darm sanieren.

Von Gerhard Matzig

Die These, wonach sich das Universum ausdehnt und irgendwann nicht nur in die Breite, sondern generell dahingeht, lässt sich am eigenen Körper anschaulich nachvollziehen. Trug man früher die Jeans erst in Kindergröße, dann, scheinbar jahrzehntelang, mit der Kennung 32/32, so wurde doch unvermeidlich daraus: 36/32. Und ein Ende ist nicht abzusehen.

Der Unterschied aber von vier Inches: Das ist, anders als Brigitte Wir als "Magazin für die" - mathematisch durchaus fragwürdige - "dritte Lebenshälfte" meint, neben der universalen Expansion die wahre Kränkung des Alters. In Brigitte Wir, der neuen Seniorenzeitschrift unter vielen anderen neuen Best-Ager-Magazinen, war kürzlich zu lesen: "Alt werden ist eine Beleidigung."

Davon abgesehen ist das Alter natürlich nicht nur eine Beleidigung. Sondern auch ein Markt. Altwerden ist eine Chance für Verlage, die, erstens, jung bleiben wollen und, zweitens, im Einklang mit dem Universum dynamisch-expansiv denken. Sie kennen eben - mathematisch nun schon wieder nachvollziehbarer - die Demografie-Zahlen: Gab es in Deutschland 1960 noch 22,1 Millionen unter 20-Jährige, so werden davon bis zum Jahr 2050 nur 12,1 Millionen übrig bleiben, rein statistisch betrachtet, während die Gruppe der über 60-Jährigen wächst. Von 12,7 Millionen Menschen 1960 auf 27,6 Millionen bis zum Jahr 2050. Was aber die Hersteller von Rollatoren, Möbelstücken, die "gegen schwere Füße" helfen, Seniorenhandys, Großschrift-Tastaturen oder Strumpf-Anziehhilfen erfreut, euphorisiert auch die Verlagsstrategen: Die Jungen halbieren, die Alten verdoppeln sich.

Wobei man in der Medienbranche nur ungern von den Alten spricht. Und seien sie auch noch so alt. Was ja an sich keine Beleidigung sein dürfte, sondern auch als biologisch-biografischer Tatbestand gelten könnte. Ganz zu schweigen davon, dass es ja auch zu verehren wäre - das Alter. Es gibt jedenfalls viele Worte, die das Alter vermeintlich aufhübschen: "Generation Gold", "Generation 50plus", "Silver Ager", "Golden Ager", "Third Ager, "Mid Ager" - oder, herrlich, "Master Consumer". Vor allem die Master Consumer werden umgarnt: Das Modelabel Céline warb zuletzt mit der 80-jährigen Autorin Joan Didion, Yves Saint Laurent verpflichtete die Musikerin Joni Mitchell, 71, und H&M engagierte das 86 Jahre alte britische Model Daphne Selfe.

Klar jedoch, dass die Einwohner der dritten Lebenshälfte nicht nur an dritten Zähnen oder greisentauglicher Mode Interesse haben, sondern auch an Texten und Themen, die etwas jünger und frischer, wenn auch auf aparte Weise "gereift" rüberkommen. Deshalb gibt es für die Third Ager seit einiger Zeit immer mehr Magazine. Neben Brigitte Wir heißen sie Plus Magazin ("das Magazin für Themen, die Frauen und Männer über 50 wirklich interessieren"), Donna ("für Frauen, die angekommen sind") oder Myway ("für Frauen in den besten Jahren").

Es fällt jedoch auf: Männer scheint es nicht zu geben, die angekommen sind oder sich in den besten Jahren befinden. Das wäre allerdings ein bedenkliches Indiz für eine unerhört Gender-inkorrekte Verlagspolitik. Schließlich leben in Deutschland auch 16 Millionen Männer über 50. Können die nicht lesen? Kriegen die von ihren Frauen nicht genug Taschengeld für den Kiosk? Das Heft Viva!, das sich wie das Plus Magazin explizit auch an Männer richtet, wird gerade eingestellt - und Letzteres bietet in der Januar-Ausgabe eher Themen, die nicht ganz so maskulin erscheinen. Wie etwa den "Zwiebel-Look", der ideal sei für Frauen, die gerne "kombinieren und kaschieren" - die Vier-Inch-Kränkung, sie kränkt immerhin alle. Oder die Sängerin Gitte, die "über starke Frauen und Sehnsucht nach Liebe" spricht. Oder: "Gut aussehen trotz Erkältung: Diese vier Schmink-Tricks helfen." Das gilt jetzt auch nicht für jeden Mann. Wir können ja nicht alle Bundestrainer sein.

Bei näherer Betrachtung der Magazine liegt aber dann doch keine Diskriminierung der Männer vor. Sondern umgekehrt: Gerade weil es keine Best-Ager-Magazine gibt, die sich auf den Kiosktischen ostentativ den Männern entgegenstapeln, liegt wohl auch ausweislich der Seniorenmagazin-Inhalte eher ein untotes Rollenklischee vor. Es ist nämlich so: Im Magazinbereich werden Männer nicht alt, sondern nur Master Consumer, während sich Frauen noch mal so richtig anstrengen müssen.

Zum Beispiel müssen Frauen den "Sex mit viel Humor" entdecken (Brigitte Wir). Sie müssen sich fragen: "Werde ich je wieder lieben können?" (Donna) Sie müssen sich über den "Wellnesstrend Darmsanierung" informieren (Myway) oder über die "Jeans-Modelle, die ihrer Figur schmeicheln" (Plus Magazin). "Ulla Popken führt auch Jeans für mollige kleine Frauen". Mollige kleine Frauen über 50: Das ist für Magazinmacher offenbar die allergrößte Kränkung des Universums - jedenfalls dann, wenn man findet, dass sich alte Menschen noch um ihre Kleider-, Jeans- oder Sonst-was-Größen scheren sollten.

Die Magazine behaupten zwar "unsere neue Gelassenheit" (Myway); tatsächlich gibt es aber gerade in den Best-Ager-Magazinen jede Menge neualte, zutiefst unentspannte Frauen-Stereotypen. Offensichtlich bietet das Alter den Frauen in erster Linie "Mundgesundheit in der Menopause" (Donna), "Juckreiz" (Brigitte Woman) und eine "revolutionäre Therapie bei Arthrose" (Plus Magazin), während die Cover, die am Kiosk Männer vorne drauf haben (gerne im ebenfalls vorgerückten, dann aber doch quasi alterslosen Alter wie Daniel Craig (InStyle) oder Leonardo DiCaprio (GQ), immer noch einen offenbar sehr viel juckreizfreieren Hedonismus verkünden.

Die Herren treffen Bären, jagen Fische - und niemand erklärt etwas zum Thema Menopause

In der ebenfalls relativ neuen Zeitschrift Walden leben sehr viele bärtige, alterslose Outdoor-Helden vornehmlich abseits der Zivilisation - und auch abseits von Frauen. Denn der Magazin-Untertitel "Die Natur will dich zurück" legt im Verlauf des Heftes nahe, dass Frauen, die in Walden inexistent sind, nicht soooo dringend zurückgewollt werden von der Natur. Was tun nun die Bärte? Sie deuten mit der Messerklinge auf Landkarten, treffen Bären, hacken Holz, bauen Hütten, jagen Fische - und treffen keine Frauen, die ihnen etwas zum Thema Mundgesundheit in der Menopause erklären könnten.

Man dachte ja, dass es schon Gleichberechtigung gibt. Aber in Wahrheit sind Männer in der Welt der Magazine dazu berechtigt, die Welt zu erobern, weshalb sie eher über gefährlich aussehende Fliegerjacken (InStyle) informiert werden als über die Gefahr, die beispielsweise der "Mütter-Rente" droht (Plus Magazin).

Die Frauen dagegen sind dazu berechtigt, in Brigitte Woman alles über den "Zauber des Neuanfangs" zu lesen. Vielleicht sollten auch die Erfinder solcher Magazine noch einmal über diesen Zauber nachdenken.

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