Magazin "Stern Crime":True Blood

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Der "Stern"-Ableger "Crime" erzählt die Geschichten wahrer Verbrechen. Kann das neue Heft vom Krimi-Boom profitieren?

Von Hans Holzhaider

Noch mehr Blut. "Unter den aufgerissenen Augen ein Halsschnitt, so tief und lang, dass eine breite Furche von Ohr zu Ohr klafft."

Noch mehr Sadismus. "Kannst du dir vorstellen, wie das Messer in sie fährt und das ganze Blut? Muss ein fantastisches Gefühl gewesen sein."

In jeder Buchhandlung stapeln sich die Krimis zu Türmen. Unglaublich, wie viele Menschen (sehr begabte und auch sehr gering begabte) ihre kreative Energie darauf verwenden, sich Geschichten auszudenken, die von Verbrechen und Verbrechern handeln, und unglaublich, wie viele Menschen diese Geschichten lesen. Lesen? Ach was: verschlingen. Sich die Nächte damit um die Ohren schlagen. Es gibt, zumindest im europäisch-nordamerikanischen Kulturkreis, kein literarisches Genre, das über zeitliche und geografische Grenzen hinweg so erfolgreich ist wie der Kriminalroman.

Krimi-Neuerscheinungen
:Die eiskalten Fünf

Eine mysteriöse Femme Fatale, nordirische Feindschaften und bizarre Morde auf der Wiener Opernbühne: Die SZ-Literaturredaktion hat die besten Krimis dieser Saison ausgewählt.

Warum ist das so? Friedrich Ani, selbst Autor höchst erfolgreicher Krimis, versucht eine Antwort: "Krimis haben etwas Entlastendes. Das gesellschaftliche Gleichgewicht wird durch ein Verbrechen erschüttert, und die Leser begleiten die Ermittler bei der Wiederherstellung dieses Gleichgewichts. Jemand heilt etwas. (. . .) Am Ende solcher Bücher soll immer wieder die Heilung stehen. Der Täter muss gestellt oder neutralisiert werden."

Nachzulesen ist das in Stern Crime, der neuen Zwei-Monats-Zeitschrift von Gruner + Jahr . Warum sollte, was im Buchhandel so trefflich funktioniert, nicht auch dem schwächelnden Zeitschriftenmarkt neue Leserschichten erschließen?

Der Unterschied: Crime handelt nicht von fiktiven, sondern von realen Kriminalfällen. Im ersten Heft: Die mysteriöse Mordserie an einem kanadischen Highway. Die Geschichte eines sehr menschenfreundlichen Bankräubers. Lynchjustiz in einem guatemaltekischen Dorf. Die Geschichte eines Sadisten und seiner Sex-Sklavin: "Sie wollte sich unterwerfen, er wollte Blut." Ein Kommissar, der seit 17 Jahren den Mörder eines 13-jährigen Buben jagt. Die Geschichte einer Mutter, die versucht hat, sich und ihre autistische, gewalttätige Tochter zu töten. Ein Interview mit einem Vernehmungsspezialisten.

Zehn bis zwölf Tollkirschen?

Nicht so ganz nachvollziehbar ist eine Handreichung über die Wirkungsweise der gängigsten Gifte. Muss man wirklich wissen, dass ein Erwachsener mit zehn bis zwölf, ein Kind aber schon mit drei bis vier Tollkirschen vom Leben zum Tode zu befördern ist?

Es sind, zum großen Teil, exzellent geschriebene Geschichten. Differenziert, sensibel, weit entfernt von gängigen Klischees. Die Polizeibeamten, die zu Wort kommen, rücken einiges zurecht, was ihre Tatort-Kollegen an Legenden aufgebaut haben. Keine Blut- und Sperma-Orgien (von den anfangs zitierten Ausrutschern abgesehen). "Was muss passieren, damit ein Mensch zum Täter wird", fragt Stern-Autorin Frauke Hunfeld in einem einleitenden Essay. "Wann ist ein Verbrechen gerechtfertigt? Müssen wir Ungerechtigkeit hinnehmen? Dürfen wir uns wehren? Muss Strafe sein? Wohin mit der Wut? Wohin mit der Schuld?"

Gute Fragen, und seriöse Versuche, sie zu beantworten. Ob sich das verkauft, (und ob sich das Niveau der ersten Nummer halten lässt) steht auf einem anderen Blatt. Wie sagt Friedrich Ani: "Am Ende soll immer wieder die Heilung stehen." Der Krimi-Autor kann dafür sorgen. Im wirklichen Leben führt die Krankheit leider oft zum Tode. Das trübt das Lesevergnügen.

Stern Crime soll künftig alle zwei Monate mit Mord und Totschlag neue Leserschichten erschließen. Die erste Ausgabe (Auflage: 150 000) erscheint diesen Samstag, hat 140 Seiten und kostet 4,80 Euro. (Foto: Gruner + Jahr)
© SZ vom 06.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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