Magazin:Kleines Heft mit großen Zielen

Magazin: Joschka Fischer ist als Berater und Interviewpartner zur Stelle.

Joschka Fischer ist als Berater und Interviewpartner zur Stelle.

(Foto: Eastwest)

"Eastwest" erklärt Weltpolitik nun auch auf Deutsch. Aus dem PR-Organ von Italiens größter Bank ist ein ernstzunehmendes Politmagazin geworden.

Von Oliver Meiler

Hinter dem Petersdom, stadtauswärts, franst Rom schnell aus. Zum Beispiel entlang der Via Gregorio VII., sie windet sich in langen Schlaufen gen Westen, und Windrichtungen sind in dieser Geschichte nicht unwesentlich. Am oberen Teil der Straße, in einer Wohnung im Erdgeschoss eines Baus aus den Sechzigern, ohne Aussicht und ohne Allüre, entsteht alle zwei Monate ein geopolitisches Heft, das nur die ganz großen und relevanten Fragen der Welt im Blick haben will und in drei Sprachen erscheint: Italienisch, Englisch und neuerdings Deutsch. Es heißt Eastwest, Ostwest. Das soll keine geografische Einschränkung sein. Der Norden und der Süden werden einfach mal mitgedacht im großen Spannungsfeld zwischen der neuen und der alten Welt.

"Wir sind klein", sagt Fabrizia Falzetti, die Chefredakteurin, und zeigt ins Wohnzimmer, "alles da." An einem schmalen Tisch in der Mitte des Raums sitzen sechs Mitarbeiter um vier Laptops: Redakteure, eine Grafikerin, Sekretärinnen, eng auf eng. Sie aktualisieren gerade die Webseite. Es riecht nach Start-up und nach Kaffee aus der Mokkakanne. Am Boden stehen ungeöffnete Kartons, zum Rauchen gehen die Kollegen raus auf den Gartensitzplatz. Alles da, alles klein. Nur die Ambitionen, die sind ziemlich groß: "Wir wären gerne ein bisschen wie The Economist", sagt Falzetti. Internationale Themen in kurzen, konzisen Texten also, und mit analytischen Schwerpunktthemen in jeder Nummer: Trump, G 7, China. Nur eben nicht wöchentlich wie das Vorbild aus England, sondern sechs Mal im Jahr.

Seit einigen Monaten liegt das Magazin auch in deutscher Sprache an deutschen, schweizerischen, österreichischen Zeitungsständen auf. Und in Südtirol. Die Covers sind jeweils in knalligen Farben gehalten, kaum zu übersehen. Deutschland sei ein spannendes Abenteuer, sagt Falzetti, aber auch ein Wagnis.

Das Heft gibt es eigentlich schon seit 13 Jahren, nur hieß es bis vor kurzem East, Osten, und war viel eklektischer. Man fand darin auch Kultur- und Unterhaltungsrubriken. Lanciert hatte es einst Unicredit, Italiens größter Bankenkonzern. Ungewöhnlich war das nicht, in Italien hielten sich früher die meisten großen Banken Zeitschriften, etwas Geist neben all dem Geld und Gewinn. In der Bankenkrise aber schlossen die meisten. East hieß es früher deshalb, weil es sich mit den Chancen beschäftigte, die sich in Osteuropa eröffneten, einer Region, in der die Bank zu wachsen gedachte. Verantwortlich war ein früherer Diplomat aus Neapel, Giuseppe Scognamiglio, der bei Unicredit die Abteilung Public Affairs leitet - ein Mann mit einem mächtigen Netzwerk. Das Heft war seine Idee, er ist heute dessen Direktor.

Vor einigen Jahren beschloss die Bank, sich etwas zurückzuziehen. Sie öffnete das Aktionariat unter anderem der Denkfabrik European Council on Foreign Relations, der auch Joschka Fischer angehört, und einer Kommunikationsagentur. Unicredit hält heute noch vierzig Prozent an dem Unternehmen Europeye, das Eastwest herausgibt. "Alle denken, die Bank stopfe die Löcher im Budget, auch die Mitarbeiter", sagt Falzetti und lacht, "aber das ist nicht so." Am Anfang gab es Startkapital, danach gab es offenbar nichts mehr.

Dank seiner Kontakte gelang es Scognamiglio, viele prominente Persönlichkeiten zu gewinnen, die den wissenschaftlichen Ausschuss der Publikation bilden. Im Impressum sind gleich drei frühere italienische Premierminister aufgeführt, und zwar Romano Prodi, Enrico Letta und Giuliano Amato sowie unter anderem Philipp Rösler und Joschka Fischer. Bezahlt würden sie nicht, sagt Falzetti. Doch alle zwei Monate lädt Unicredit die Herrschaften zum Business Lunch in ihren Wolkenkratzer in Mailand ein, in die oberste Etage, ins "Roof", wo sie die Themen für die kommenden Ausgaben bestimmen.

Falzetti sitzt jeweils dabei und macht Notizen. In der Redaktion im Erdgeschoss in Rom setzen sie die Ideen dann um. Sie suchen nach passenden Autoren, vergeben Aufträge. Prodi füllt in jedem Heft die Rubrik "Gesichtspunkte". Scognamiglio schreibt den Leitartikel und interviewt berühmte Leute. So kommt das kleine Magazin zuweilen mit exklusiven Gesprächen und Meinungsbeiträgen daher, die es dem Netzwerk seines Direktors verdankt. Die publizistische Linie, sagt Falzetti, sei "zutiefst europäistisch" und "kontinental", will heißen: emanzipiert von der angelsächsischen Sicht auf die Welt. Über Italien berichtet das Heft nur, wenn es etwas zu berichten gibt, das auch in der übrigen Welt interessieren könnte - etwa über die Rolle Italiens in Libyen. Im kommenden Frühjahr, wenn die Italiener ein neues Parlament wählen, schafft es Italien vielleicht sogar mal aufs Cover.

Zuletzt wuchs das Heft sprunghaft. In Italien verdoppelte sich die verkaufte Druckauflage in kurzer Zeit auf 10 000 Exemplare. Das liegt wahrscheinlich daran, dass die Menschen die komplexe und zuweilen konfuse Welt, in der sie leben, besser verstehen möchten. Als dann vor einem Jahr der Anruf der Verlagsunion aus Berlin kam, die sich für einen Vertrieb des Heftes in Deutschland interessierte, sei das zunächst dennoch "wie ein Schock" gewesen. Mit der neuen Ausgabe wurde das Unternehmen gleich noch mal viel größer. Und da die meisten Autoren Italiener sind, hauptsächlich Journalisten und Experten auf Posten im Ausland, mussten die Texte nun nicht mehr nur ins Englische übersetzt werden, sondern eben auch auf Deutsch. Ziel sei es zunächst, dass das Heft sich selbst trägt.

Mittlerweile gibt Eastwest mehr Geld für Übersetzungen aus als für Texthonorare. "Die Übersetzungen sollen ja gut sein", sagt Falzetti, "das ist sehr viel Arbeit und teuer." Gerade gingen Anfragen für eine portugiesische und eine spanische Ausgabe ein. Zwei weitere, aufregende Schocks für ein kleines Team im Start-up-Modus an einer Ausfallstraße Roms.

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