Macron und die Medien:Die Wucht des Schweigens in Zeiten des Dauergeplappers

Emmanuel Macron

Emmanuel Macron mit Journalisten vor dem Bundeskanzleramt nach einem Treffen mit Angela Merkel.

(Foto: dpa)

Frankreichs Präsident Macron hat die Entrücktheit zum staatstragenden Stilmittel erhoben. Journalisten bleiben außen vor. Stattdessen soll eine eigene PR-Einheit künftig seine Botschaften vermitteln.

Von Joseph Hanimann, Paris

Jupiter sprach nicht jeden Tag zum Volk, dafür hatte er seinen Boten Merkur. Und auf Jupiters Machtstatus spielte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron nach seiner Amtsübernahme gern an. Insofern ist es folgerichtig, dass Macrons Partei, La République en Marche (LRM), im Juli ankündigte, sich künftig "wie ein Medium" zu begreifen, als Bote seines Herren sozusagen. LRM will nun selber Themen entwickeln und digital unters Volk bringen, die Leute emotional und lebensnah ansprechen. Man suche dafür Redakteure und Videojournalisten, wurde verkündet. Eigentlich nichts weiter als eine PR-Abteilung - aber die französische Presse nahm es persönlich. Überhaupt lässt sich eine gewisse Abkühlung des Klimas zwischen Presse und ihrem einstigen Lieblingskandidaten Macron beobachten. Von einer Aufkündigung der impliziten Nähe zwischen politischer Macht und den Medien ist man in Frankreich zwar weit entfernt. Aber ihre Rolle müssen die etablierten Medien in Jupiters Republik erst einmal neu finden. Er tut nämlich so, als ob er sie gar nicht braucht.

Wenn Gerüchte allzu sehr brodeln, muss "Mimi" ran, die Patronin der Pariser Tratschhexenküche

Macrons wichtigster Bote heißt Christophe Castaner. Er ist französischer Regierungssprecher, ein Mann von der forschen Art, zugleich unverfroren und smart, mit kurz geschorenem Bart. Um eine schmissige Antwort ist er nie verlegen. Alle Politiker hätten ein überdimensioniertes Ich, er aber sei sich dessen zumindest bewusst, sagte er vor ein paar Wochen und gestand offen: "Ich habe ein großes Maul, bin ein Angeber, will immer den schönsten Anzug und den bestgeschnittenen Bart tragen." Im Kontrast zum Getöse dieses Mannes konnte der Präsident während der ersten Monate seines Amts bequem in der neuen Rolle des Staatsmanns auftreten.

Im Moment muss Macron nun darauf reagieren, dass seine Popularität bei den Franzosen laut Umfragen auf Werte weit unter vierzig Prozent gefallen ist. Zunächst aber hat der Präsident die in Frankreich fast genauso wichtige Frage zu entscheiden, wie er sich während der Urlaubszeit in der Öffentlichkeit geben will. Das gehört zum Ritual jedes französischen Staatschefs, geschieht traditionell in Allianz mit einem der Pariser Boulevardblätter und ist politisch durchaus relevant. Nicolas Sarkozy suchte vor zehn Jahren durch Joggen und demonstratives Familienglück die Negativwirkung einer viel kritisierten Kreuzfahrt auf der Luxusyacht eines Freundes nach dem Wahlsieg wettzumachen. François Hollande zeigte sich im ersten Amtssommer als "Normalfranzose" an Badestränden und wirkte etwas gelangweilt - was zwar jeder Normalbürger im Urlaub kennt, Hollande aber politisch nicht half.

Macron bleibt seinem bisherigen Konzept treu. Jupiter macht keinen Urlaub, er spricht nicht, und schon gar nicht in Badehose. Er verbringe allenfalls ein paar Tage in der Regierungsresidenz La Lanterne in Versailles, heißt es aus dem Elysée. Dass er streng kontrolliert, was über sein Privatleben in die Öffentlichkeit gelangt, ist nach den Klatschepisoden der beiden Amtsvorgänger verständlich - Sarkozy ließ sich im Amt scheiden und heiratete die singende Carla Bruni; Hollande brachte die Journalistin Valérie Trierweiler mit in den Elysée-Palast, ließ sich tapsig bei einer Liebschaft erwischen und wohnte zum Schluss allein. Auftritte der 64-jährigen Präsidentengattin Brigitte Macron werden im Internet sowieso schon ständig mit Häme kommentiert, Macrons Vorsicht ist also verständlich. Wenn die Gerüchte allzu sehr brodeln, schaltet man Michèle Marchand ein, auch "Mimi" genannt. Sie ist mit ihrer Agentur "Bestimages" die Patronin in der Pariser Tratschhexenküche und hat im Elysée weitgehend freie Hand. Sie gehört zum inneren Kreis.

Während der ersten drei Monate vollzog Macron in seinem offiziellen Vermittlungsstil einen radikalen Wechsel. Aus der nahbaren Art des Kandidaten, der bei Wahlveranstaltungen inmitten seiner Anhänger auftrat, ist etwas geworden, was man mit dem Ausdruck "pyramidale Struktur des seltenen Worts" beschreiben könnte. Die Theorie dazu hat der inzwischen verstorbene Kommunikationsberater Mitterrands und Chiracs geliefert, Jacques Pilhan. Sie versteht Verlautbarungen aus dem Elysée als Solo von oben, wie die Tonspur eines großen Schauspiels mit viel Schweigen, ohne Gegenfrage und Widerrede.

Macron, der Präsident aus der Generation der digitalen Dauerkommunikanten, hat dieses Prinzip für seine Zwecke adaptiert - die Wucht des Schweigens gegen das Dauergeplappere. Auftritte müssen Seltenheitscharakter bewahren, gleichzeitig muss aber der öffentliche Mitteilungsraum flächendeckend bedient werden. Dafür reicht ein Pressesprecher nicht aus, notwendig ist ein ausgesuchter Hof von Vermittlern. An diesem Punkt kommt wohl das neue "Medium" der LRM ins Spiel.

Macron hat auch kein Problem damit, der Presse anzudeuten, dass sie sich schon auf die Hinterbeine stellen muss, um dem Präsidenten Paroli zu bieten. Der Verzicht auf das seit Giscard d'Estaing traditionelle Fernsehinterview zum 14. Juli wurde damit begründet, das Denken des Präsidenten sei zu komplex für das schnelle Frage-Antwort-Spiel. Die Entourage des Präsidenten trägt zu diesem Image der Entrücktheit bei. Macrons persönlicher Kommunikationsberater Sylvain Fort ist ein ehemaliger Musikkritiker und Autor eines gerade erschienen Buchs über Antoine de Saint-Exupéry. Zu den privilegierten Gesprächspartnern im Elysée gehört auch der Schriftsteller und ehemalige Le Monde-Direktor Éric Fottorino. Und das vom Schriftsteller Philippe Besson verfasste erste ausführliche Porträt des Präsidenten werde, so heißt es heute schon, eher ein literarisches als ein politisches Buch sein.

Lässigkeiten findet man selten. Selbst die üblichen halboffiziellen Plaudereien im Flugzeug mit locker hingeworfenen Bemerkungen gibt es nicht, und bei den öffentlichen Auftritten werden Journalisten auch schon mal harsch weggeschickt, wenn sie störend im Bild stehen. Die Aura des Unnahbaren scheint sich zum Markenkern des Kommunikationsprofis Macron zu entwickeln - während unter ihm eine Menge Profis arbeiten, um seine Inhalte unter die Leute zu bringen. Die haben dann vermutlich auch keinen Sommerurlaub.

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