Live-Show in Berlin:Dominostein der Weisen

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Alles kann, nichts muss: Jan Böhmermann und Olli Schulz bringen ihren "Fest & Flauschig"-Podcast zum zweiten Mal in der Vorweihnachtszeit auf die Bühne.

Von Cornelius Pollmer

Wer den Podcast Fest & Flauschig bei Spotify hört, der entwickelt mit der Zeit gewisse Sentimentalitäten, zu seinem Personal, seinen Irritationen, seinen Leitmotiven. Das Ensemble führen Jan Böhmermann und Olli Schulz an, ihre wöchentliche Sendung wird aber auch getragen von den oft herausragenden Intros des Hörspielproduzenten Marco Göllner sowie Su Holders sanften Ordnungsrufen aus dem Off. Zu den Irritationen gehören Schmatzgeräusche, Wutausbrüche, im Grunde: das komplette Spektrum des Menschlichen. Ähnliches gilt für die Leitmotive. Pimmelwitze, Staatsbürgerkunde, anekdotische Räuberpistolen einer mutmaßlichen Sagengestalt namens "1000-Mark-André" - es geht oft um alles, gerne auch gleichzeitig. Fest & Flauschig, das ist Weltbetrachtung im Moulinex, das ist alles kann, nichts muss; erlaubt ist, was gefällt.

Wenn die Sendung als solche schon schwer zu beschreiben ist, dann wird es nicht leichter, wenn es an die Betrachtung des Montagabends im Berliner Tempodrom geht. Böhmermann und Schulz gastierten dort ein zweites Mal in der Manege des Roncalli-Weihnachtszirkus für einen karitativen Unterhaltungsabend coram publico. Im vergangenen Jahr war die Premiere abgebrochen worden, wegen des Anschlags auf dem Breitscheidplatz. In diesem Jahr bespielten die beiden das Tempodrom dafür in leicht fordernder Überlänge.

Wie ihre Sendungen folgte auch der Abend in Berlin keiner Dramaturgie im engeren Sinne

Schon die Anlage des Versuchs bleibt heikel und die Ernüchterung ist sonst oft groß, wenn ein Micha oder mehrere Mandys von Micha-und-den-Morgen-Mandys aus dem Radio klettern, um auf grell ausgeleuchteten Stadtfestbühnen die Vengaboys anzusagen. Gerade in dieser Hinsicht gelang die Verlängerung auf die Bühne zunächst hervorragend. Göllner trug sein Intro live vor und stellte für den Abend ein "lockeres Tablettenwichteln" in Aussicht. Su Holder war im wimmelbildlichen Rund des Tempodroms zwar ausfindig zu machen, wurde aber gerade so sparsam beleuchtet, dass ein gewisser Zauber des Ungewissen sie weiter umfunkeln wird. Auch sonst hatte man zunächst einmal gut damit zu tun, seine Vertrautheiten und Sentimentalitäten mit dem Rest des Publikums abzugleichen. Hörte man richtig, dass bei der bloßen Erwähnung des Begriffs "warme Brille" noch vor Erläuterung desselben alle kenntnisreich lachten? Ja, so war es, und in wenigen Jahren schon wird Gastro-Deutschland das Superfastfood aus Würstchen und Kartoffelsalat im großen Stil entdecken. Sah man richtig, dass Jenny Elvers irgendwann tatsächlich von einer Tribüne gleißte und den wiederkehrenden Einspieler der Sendung aufgriff, sie, Jenny Elvers, sei zurück und habe "Bock auf Euch"? Ja, doch. War es zu glauben, dass nach einer Weile der echte 1000-Mark-André angenehm unscheinbar auf die Bühne schlich und erzählte, wie er Marilyn Manson mal den Finger zwischen Zeige- und Ringfinger zeigte? Nicht sofort, aber dann schon.

Wie die wöchentlichen Sendungen, folgte auch der außergewöhnliche Abend im Tempodrom keiner Dramaturgie im engeren Sinne. Getreu der alten Regel von Rudi Carrell, dass ein Ass nur der aus dem Ärmel schütteln könne, der es vorher hineingetan habe, war allerdings für Böhmermann und Schulz Gutes vorbereitet worden: Bastian Pastewka lieferte Semino Rossis "Rot sind die Rosen" in einem perfekt unperfekten Playback, dass einem gleich selbst der Mund offenstand. Zudem verteilten Böhmermann und Schulz vorgepackte Geschenke an Sehnsüchtige und Geschädigte im Publikum ("Der Krückenmann soll noch eins aufmachen") und mühten sich in einem dann etwas länglichen zweiten Teil durch Hochzeitsspiele, die ein bisschen zu tief die stehende Luft des früheren Wetten,dass..?-Sommer-Irrsinns in der Stierkampfarena auf Mallorca atmeten.

Was über allem stand, war die interessant dynamische Bühnenbeziehung von Böhmermann und Schulz. Letzterer gab zu Protokoll, mit ersterem jetzt schon fünf Jahre zusammenzuarbeiten, "so lange hat noch keine Beziehung von mir gehalten. Jan, was ist dein Geheimnis?" - und beklagte sich zugleich halb- oder dreiviertelironisch über fehlende Nähe, "weil Jan noch nicht mal guten Bekannten die Hand gibt". Böhmermann nahm es mit vorsichtiger Regungslosigkeit und griff im Zweifel lieber ein weiteres Mal zur Bifi oder zum Dominostein denn zum liebevollen Wort. Selbst darin aber folgte er einer wiederkehrenden These der Sendung: Liebe vor Leuten hätte nichts zu bedeuten.

Wesentlich zu dieser Dynamik gehört das Ringen um Orientierung, was in dieser Welt gut oder schlecht, richtig oder nichtig ist. Das Mindeste, was alle in diesem Ringen teilen, ist gelegentliche Verwirrung, am Montag zum Beispiel in dem Moment, als Böhmermann die Spendenadresse seines Bitcoin-Wallets verlas - es trage die ID 16AUEfBxcUgvM6dky42vCs1JN9h5i59ux und verfüge über einen Betrag von Nullkommazweiirgendwas. Schulz bündelte die Ratlosigkeit vieler mit seinem Gesichtsausdruck und fragte zurück: "Wie viel ist das in D-Mark?

© SZ vom 20.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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