Literatur im Fernsehen:Die Neue im Literarischen Quartett

Thea Dorn
(Foto: dpa)

Thea Dorn, Schriftstellerin und Moderatorin, nimmt Maxim Billers Platz im "Literarischen Quartett" ein - und wird wohl vieles ganz anders machen als ihr Vorgänger.

Von Jens Bisky

Als der Philosophieprofessor und Nietzsche-Kenner Rudolf Schreiner zum letzten Mal gesehen wurde, lag er in 54 Teile zerstückelt und in Gefrierbeuteln verpackt in den Postfächern seiner Institutskollegen. Und an den Glaswänden des Postraums stand in roten Lettern: "Schreiner ist tot. Die Wahrheit ist im Fragment."

So beginnt der Roman "Berliner Aufklärung". Darin verwirbelte die junge, gerade einmal 24-jährige Thea Dorn Mitte der Neunzigerjahre Philosophie und Fleischeslust, Theorieabfall und Freude am Sprachspiel. Der bezaubernd sarkastisch erzählte Krimi war auch eine beiläufige Verteidigung des klaren Denkens gegen Feigheit, Routinen, Konformitätsdruck, das Nachplappern. Das Gegenmittel war der Witz unverhoffter Begegnungen, der Funke, der entstehen kann, wenn geschiedene Sphären aufeinandertreffen.

Bei ihrem ersten Auftritt im Quartett empfahl sie Homers Odyssee

Berliner Erhellung in diesem Sinn wartet auf die Zuschauer des "Literarischen Quartetts" im ZDF. Die Schriftstellerin Thea Dorn wird anstelle des ausgeschiedenen Maxim Biller sechsmal im Jahr mit Christine Westermann, Volker Weidermann und wechselnden Gästen über neue Bücher streiten. Das könnte interessant werden. Thea Dorn hat reichlich Fernseherfahrung, sie war in vielen Talkshows, moderierte über Jahre die SWR-Sendung "Literatur im Foyer". Im Juni 2016 saß sie bereits im "Literarischen Quartett" und empfahl, weil doch Europa viele Sorgen bereitet und die Sprache des Buches so großartig ist, eine neue Übersetzung von Homers "Odyssee".

Die Traditionsbestände sind ihr Spielgeräte, Arbeitsmittel auch zur Erkundung der Gegenwart. Das verrät schon das Pseudonym, das sich die 1970 in Offenbach geborene Christiane Scherer in Anspielung auf Theodor W. Adorno gab.

Maxim Billers Schaukämpfer-Rolle wird sie wohl nicht übernehmen

Thea Dorn sagt sehr verbindlich "Guten Tag", aber oft so, dass es klingt wie: "Darüber müssen wir gleich genauer reden. Wo sind die Argumente? Her damit!" Daher scheint es fast ausgeschlossen zu sein, dass sie die Rolle Maxim Billers übernimmt, der streng urteilte, scharf verurteilte und den Streit führte wie einen Schaukampf. Die Zuschauer konnten sich zu Applaus oder Kopfschütteln animiert fühlen; die Lust mitzureden, Argumente weiter zu entfalten, blieb gering. Biller trat als Kunstrichter auf, Thea Dorn kennt man als eine, die selbstbewusst das Gespräch vorantreibt, weil die Wahrheit im nächsten oder übernächsten Satz lauert. Sie formuliert schnell und spitz und bringt etwas mit, was im "Literarischen Quartett" bisher fehlte. Sie kann knapp charakterisieren, könnte also einen Roman erst einmal beschreiben, ein Bild von ihm skizzieren, bevor er im Dauerfeuer der Urteile und Meinungen entschwindet.

Von der Kunst der Charakteristik profitieren nicht nur die Milieuschilderungen in ihren Romanen, Drehbüchern, Theaterstücken. Die Neugier befeuerte auch ihre Suche nach dem Eigenen der Deutschen. Das ist eine ihrer Leidenschaften. Gemeinsam mit Richard Wagner erkundete sie 2011 "Die deutsche Seele". Sie schilderten die an Höhen und Tiefen gleich reiche Landschaft zwischen "Abendbrot" und "Zerrissenheit" ohne Tümelei und Verkrampfung. In ihrem jüngsten Roman "Die Unglückseligen" erforscht eine Molekularbiologin die Langlebigkeit von Zellen, deren Unsterblichkeit. Und dann kommt ihr ein Herr in die Quere, der behauptet, der romantische Physiker Johann Wilhelm Ritter, Jahrgang 1776, zu sein; auch das eine unverhoffte, Funken ermöglichende Begegnung.

"Und du stehst auf Intelligenz?", hat der Regisseur Fatih Akin vor vielen Jahren Thea Dorn in einer Fernsehsendung gefragt. Ach, das wisse sie nicht, aber oft finde sie Intelligenz erotisch. Woran sie die denn erkenne bei einem anderen, wollte Fatih Akin wissen. Meistens, sagte Thea Dorn, gebe es eine Bemerkung, von der sie denke "He, da habe ich nicht mit gerechnet." Auf solche Bemerkungen warten wir beim nächsten Quartett am 3. März.

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