Letzte Sendung von "Gottschalk live":Abschied aus der Todeszone

Heute Abend räumt Thomas Gottschalk die Stellung am öffentlich-rechtlichen Vorabend. Seine Show sollte etwas völlig Neues sein, doch die Zuschauer zeigten ihrem ehemaligen Liebling von Beginn an die kalte Schulter. Der Entertainer ist kein Einzelfall. Warum auch populäre Marken der Fernsehunterhaltung an Zugkraft verlieren können.

Christopher Keil

Wie schön, dass es die Europameisterschaft schon gibt, obwohl sie erst am Wochenende beginnt. Schweini sonnenbadet auf Capri, was insofern aufregend war, weil doch seine linke Wade eingedrückt wurde im fürchterlichen Champions League-Finale vor zwei Wochen und er seit Tagen einen Verband trägt, der auch noch schweinifarben ist, und man nun fachsimpelt, ob nicht der Körper im Schatten besser ruht, ausruht, heilt?

'Gottschalk Live' geht zu Ende

Der Fall Gottschalks ist schlicht: der richtige Mann zur falschen Uhrzeit, der falsche Sender für einen ambitionierten Versuch, der nie richtig durchdacht, geschweige denn vorbereitet wurde.

(Foto: dpa)

Schweinis Kollege Jérome Boateng wiederum wurde nachts mit einem blonden Nacktmodell in einer Berliner Hotelbar gesichtet und fotografiert. Ist das die richtige Vorbereitung auf eine Fußball-Europameisterschaft? Völlig egal, beides ist im Grunde: nichts, und es wurde durch das von der Bild-Zeitung veröffentlichte Bildmaterial zur Unterhaltung. Niemand nimmt das ernst, nur wer den Fußball ernst nimmt, kann das Freizeitverhalten von Bastian Schweinsteiger und Jérome Boateng ernst nehmen.

Früher hätte einem dazu Harald Schmidt die passenden Antworten gereicht. Er hätte das Treffen zwischen dem Nacktmodell und Boateng vielleicht auf die Ebene Merkel-Sarkozy gehoben. Oder er hätte Schweinis Capri-Tag, den er an der Seite von Freundin Sarah am Pool verbrachte, mit der Wii nachgestellt. Oder er hätte einfach nur "geil" gesagt, und es wäre gut gewesen.

Schweinis Sonnentage

Doch Schmidt sendet gerade nicht, er moderiert bald die Stuttgarter Opernpremiere von Don Giovanni für den Südwestrundfunk und von Herbst an ist er exklusiv bei Sky zu sehen, sehr exklusiv im Pay-TV. Bei ihm stellt sich die Frage, warum er kein relevantes Free-TV-Publikum mehr hat, das seine guten Shows sehen will. Jedenfalls waren sehr viele gute dabei in den letzten Wochen, die er noch auf Sat 1 verbrachte.

Und an diesem Mittwoch endet auch die Zeit von Thomas Gottschalk als Moderator des öffentlich-rechtlichen Vorabends. Dort, in der Todeszone, wie Gottschalk hinsichtlich des Zielgruppenpublikums, der statischen Sehgewohnheiten und des bisherigen Abschneidens der ARD selbst formulierte, sollte etwas völlig Neues in der deutschen Fernsehunterhaltung entstehen.

Gottschalk ist ein großer Entertainer für große Hallen, ein 62-jähriger blond gelockter Mann, der sich und anderen das Leben schön reden, dabei sehr komisch sein kann und auch noch gebildet ist. Man weiß es nicht genau, aber entweder machte ihn die opportunistische ARD klein, oder er machte sich zu klein und ließ sich in wenigen Wochen sein ursprüngliches Konzept entreißen: eine Talk-Illustrierte vor der Tagesschau aufzublättern mit allem drin, was zum Beispiel von Schweinis Sonnentagen und Boatengs Nächten übrig bleibt.

"Back to the roots" ist fehlgeschlagen

Zur Premiere am 23. Januar schauten 4,5 Millionen Menschen zu, danach wurden es immer weniger, manchmal waren es nur ein paar Hunderttausend. Es ist mittlerweile unwichtig, ob es jemals ein Konzept gab oder viele falsche Konzepte. Behauptet haben viele vieles. Seit Wochen wird die Show, die Gottschalk live heißt, aufgezeichnet, und seit etwa Mitte April lautet das Motto: "Gottschalk erfüllt Träume"

Dabei war es tatsächlich Gottschalks größter Traum, nach den Jahrzehnten als Direktor im deutschen Staatszirkus Wetten, dass . . ? völlig anders aufzutreten: back to the roots. Seine Karriere wurzelt im Radio, und wenn man es genau betrachtet, wollte Thomas Gottschalk eine interaktive Radioshow ohne Studiopublikum mit Internetanschluss und linearer Ausstrahlung.

Doch ihm fehlte, das steht fest, dafür sein Publikum, und das Publikum, das es zwischen 19.20 und 19.55 Uhr gab, hat ihn meistens bis auf vier, fünf Marktanteilsprozente weggeschaltet. Gottschalk hatte sich das anders vorgestellt, die überwiegende Zahl der sich mit Fernsehen beschäftigenden Journalisten auch, obwohl Gottschalk die Möglichkeit des Scheiterns einbezog in seine PR-Kampagne vorher.

Gründe für den Abstieg

Ein Blick nach Amerika, wohin sich auch die Deutschen ausrichten, wenn es darum geht, Qualität im Fernsehen zu beschreiben, bestätigt: Es kann zwar viele Gründe geben, warum sich die Sonne über einem Star verdunkelt, doch im Wesentlichen sind es zwei: der Wechsel des Arbeitsplatzes und das Unterschätzen des Formates, mit dem Aufstieg und Erfolg verbunden sind.

Der Journalist James Wolcott hat in der Juni-Ausgabe des Magazins Vanity Fair ein prominente Liste von "Absteigern" erstellt, darunter Oprah Winfrey, Howard Stern, Conan O'Brien - wobei sich Abstieg auf die Publikumsresonanz bezieht. Celebrities sind sie weiterhin, finanziell ausgesorgt haben alle, Beschäftigung auch. Vor allem Winfrey, die mit ihrer landesweiten Oprah-Show zur reichsten schwarzen Amerikanerin des 20. Jahrhunderts, also zur Milliardärin wurde, fiel sehr tief. Seit 2011 leitet sie ihren eigenen Kabelsender OWN, das Oprah Winfrey Network. Was sie seither dort anstellt, interessiert nicht mehr.

Niemand hätte so einen Sehbeteiligungsverlust vorhergesehen, schreibt Wolcott. Winfrey sei eine überragende Marke, eine besungene Wohltäterin, einflussreiche Persönlichkeit. Sie soll Barack Obama 2008 eine Million Stimmen im Kandidatenrennen der Demokraten besorgt haben. Sie ist berühmt, aber ihre Einschaltquoten sind es nicht mehr.

Bei Howard Stern, der auch Bücher schrieb, Schauspieler, Fotograf und Gastgeber von Fernsehsendungen ist, war es Hybris, die ihn veranlasste, den weiten terrestrischen Radiomarkt zu verlassen. Stern hasste Werbeunterbrechungen, hasste die Regeln der Medienaufsicht, die gegen alle Sender, für die er bis 2005 tätig war, Bußgeldzahlungen in Höhe von mehr als drei Millionen Dollar anordnete. Doch die Howard Stern Show, die bis zu 20 Millionen Hörer von der Ost- bis zur Westküste mobilisierte, war den Senderbetreibern jede Strafe wert.

2006 ging Stern, der bereits Millionär war, zu Sirius XM Satellite Radio, eine Abonnenten-Welle, und kassierte noch mehr Millionen. Weil er vereinbarte Bonuszahlungen nicht erhalten habe, verklagte er das Management 2011. Die zuständige New Yorker Richterin lehnte die Klage ab: Stern habe die fixierte Anzahl an Abonnenten nicht hinzugewonnen mit seinen Sendungen, um Ansprüche auf Aktien im Wert von 300 Millionen Dollar stellen zu können. Mittlerweile ist Stern Juror von America's Got Talent, der TV-Casting Show. 1994 wollte er Gouverneur des Staates New York werden.

Gefallener Zyniker

Für Conan O'Brien, den rothaarigen Zyniker, Comedian, Simpsons-Skript-Schreiber und Moderator lief bei NBC alles bestens. Er wurde 2009 der erste Late-Night-Gastgeber, der über ein Paar Monate auch noch die Tonight Show des mächtigen Networks präsentieren durfte. Als NBC Jay Leno unterstützte und ihn von der Prime Time, in der er Zuschauer verloren hatte, wieder in die Late Night brachte, rebellierte O'Brien.

Er hätte die Tonight Show nach Mitternacht beginnen sollen, das passte ihm nicht. Er glaubte das Publikum aufs einer Seite und wurde 2010 mit mehr als 30 Millionen Dollar abgefunden. Heute macht er seine dreisten Faxen beim Kabelkanal TBS beziehungsweise tourt mit einem nicht sehr beachteten Programm durch die Staaten.

Suche nach der Exit-Strategie

Dass Harald Schmidt nicht mehr wie früher Beachtung findet in Deutschland, hat sicher mit seinen diversen Wechseln zu tun: von Sat 1 zur ARD, in der ARD als Solist, dann mit Pocher, wieder als Solist, nur einmal die Woche, überwiegend lustlos, zurück zu Sat 1. Vermutlich hätte das nicht einmal ein starker Late-Night-Markt wie der amerikanische toleriert. Es kann aber sein, dass Schmidt beim Pay-TV künftig gut aufgehoben ist, weil derjenige, der ihn schätzt, ihn sich leisten kann.

Eines ist deutlich geworden: Wer in den 90ern Schmidt schaute, würde heute auch dann selten einschalten, wäre die Schmidt-Show im 17. Jahr bei Sat 1. Der deutsche Late-Night-Markt ist viel zu mickrig, um aus sich heraus Rivalitäten, Masse und Qualität zu produzieren, die dauerhaft wahrgenommen werden könnten.

Der Fall Gottschalks ist dagegen schlicht: der richtige Mann zur falschen Uhrzeit, der falsche Sender für einen ambitionierten Versuch, der nie richtig durchdacht und nicht sorgfältig genug vorbereitet wurde. Gottschalk wird nie wieder so viel Erfolg haben wie mit Wetten, dass . . ?, das weiß er selbst.

Und er weiß auch, dass er eine Exit-Strategie braucht. Vielleicht sind das ja die erklärten Einzelshows, die er im Ersten kriegen soll. Gottschalk wird populär bleiben, das hat ihm das Desaster der zurückliegenden Monate gezeigt. Auf seiner Beliebtheit wird er sich gut einrichten in Malibu oder im Schloss am Rhein. Bei Harald Schmidt wüsste man das nicht so genau zu sagen.

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